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Kommentar zum Kuss von Rubiales
Ein Beispiel für männlich dominierte, veraltete Sport-Strukturen

Nach dem WM-Finale küsst Spaniens Verbandspräsident Luis Rubiales die Fußballerin Jennifer Hermoso bei der Siegerehrung auf den Mund. In den sozialen Netzwerken wird daraufhin diskutiert, ob es sich um sexualisierte Gewalt handelt.

Kommentar von Andrea Schültke |
Irene Guerrero of Spain is kissed by Luis Rubiales President of the Royal Spanish Football Association after winning the FIFA Women s World Cup 2023 Final match between Spain Women and England Women at Stadium Australia, Sydney, Australia on 20 August 2023. Copyright: xPeterxDovganx 38130169
Der spanische Verbandspräsident Luis Rubiales küsste alle Spielerinnen bei der Siegerehrung auf die Wange - Jennifer Hermoso auf den Mund. (IMAGO / Uk Sports Pics Ltd / IMAGO / Peter Dovgan)
„Es hat mir nicht gefallen“ - das sagt Jenni Hermoso einer Mitspielerin auf die Frage nach der Kussszene. Festgehalten auf einem Video aus der Umkleide der Weltmeisterinnen unmittelbar nach der Siegerehrung.
Ein ungewollter Kuss auf den Mund ist sexualisierte Gewalt. Unter diesem Begriff fasst die Wissenschaft jegliche Grenzüberschreitung zusammen, von Beleidigung bis hin zu Vergewaltigung.
„Es hat mir nicht gefallen“ heißt: Jenni Hermoso hat den Kuss auf den Mund nicht gewollt.
Sie hätte in dieser Situation aber gar keine Chance gehabt, zu entkommen. Denn der Verbandspräsident hielt den Kopf der Athletin fest und zog sie zu sich heran.

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Eine übergriffige Szene, aus der sich Jenni Hermoso gar nicht hätte befreien können. Es ist eine Respektlosigkeit des Funktionärs gegenüber der Athletin, sie überhaupt in eine solche Situation zu bringen. Das geht gar nicht. Hätte Luis Rubiales etwa nach einem Titelgewinn einen männlichen Spieler auf den Mund geküsst?

Beispiel für männlich dominierte Strukturen im Sport

Ein Sportfunktionär, deutlich älter als die Athletin, nutzt hier seine Macht über die Sportlerin aus. Die wiederum ist abhängig von den Entscheidungen, die der Funktionär im Verband trifft.
Da passt es vielleicht sogar ins Bild, dass Hermoso später in einer offiziellen Mitteilung des Verbandes die Szene selbst relativiert.
Das Verhalten von Luis Rubiales ist ein Beispiel und ein Symbol für männlich dominierte, veraltete Strukturen im Sport. Von diesen Strukturen haben sich die Spielerinnen mehr und mehr emanzipiert – und das auch bei dieser WM gezeigt.
Männliche Funktionäre wie Luis Rubiales aber haben das offenbar immer noch nicht verstanden, stehen diesen Frauen im Weg. Ihnen fehlt der Respekt vor den Weltklasseathletinnen. Und ihnen fehlt die Erkenntnis: Die Spielerinnen sind keine Püppchen, die man sich nehmen und nach Lust und Laune betatschen kann.

Schweigen nützt den Falschen

Funktionäre wie Luis Rubiales an der Macht sind absolut von gestern. Und solange sie an ihren Führungspositionen kleben, sind Reformen schwer durchzusetzen. Mehr kompetente Frauen in Führungspositionen im Sport wird es nicht geben, solange die Rubiales‘ dieser Welt ihnen das Leben als Sportfunktionärin schwer machen. Welche kluge Frau würde sich das freiwillig antun?
„Es hat mir nicht gefallen“, sagt vielleicht daher jetzt auch die Öffentlichkeit. #MeToo hat sensibilisiert. Auch deshalb haben weltweit live ausgestrahlte Bilder eines sexualisierten Übergriffs eine Diskussion angestoßen - über das Verhalten des spanischen Verbandspräsidenten und über sexualisierte Gewalt im Sport und darüber hinaus.
Und das ist gut so. Denn immer und immer wieder darüber zu sprechen sorgt für Veränderung. Und Schweigen nützt ohnehin nur den Falschen.