Ihr Imperium reichte von Syrien bis Spanien, von Oberägypten bis Nordengland: Zur Blütezeit lebten 75 Millionen Menschen unter römischer Herrschaft – ein Viertel der Weltbevölkerung, schreibt der Althistoriker Kyle Harper in seinem Buch "Fatum" – Schicksal: "Die Römer hatten ein riesiges Mittelmeerreich in einem besonderen Zeitabschnitt der Klimageschichte geschaffen, der als Holozän bekannt ist."
Im Holozän, das mit dem Ende der jüngsten Eiszeit begann, zeigte sich das Klima von einer milden und ungewöhnlich stabilen Seite. Dass, so Kyle Harper, begünstigte den Aufstieg Roms zur Weltmacht: Immer mehr Menschen konnten ernährt werden und die Wirtschaft prosperierte: "Die Römer hatten ein vernetztes, urbanisiertes Reich errichtet, das bis an die Randzonen der Tropen reichte, mit Ausläufern in die ganze bekannte Welt."
Günstiges Klima förderten Roms Aufstieg zur Weltmacht
Für die Bürger waren ihre Kaiser die Herrscher der Welt, das Reich der Gipfel der Zivilisation, alle anderen Barbaren. Doch die Römer verdankten ihre mächtige Position einem glücklichen Moment der Geschichte, schreibt Kyle Harper:
"Das Imperium erreichte seine größte Ausdehnung und höchste Prosperität in einer Phase, die römisches Klimaoptimum genannt wird. Neben Handel und Technologie war das Klima ein stiller Partner in einem scheinbaren circulus virtuosus von Macht und Prosperität."
Ein Goldenes Zeitalter schien angebrochen zu sein, mit wachsendem Wohlstand für alle – doch letztendlich kam auch dieses mächtigste, ausgedehnteste und langlebigste Gemeinwesen der Menschheitsgeschichte zu Fall. Über die Ursachen für den Niedergang des römischen Reiches zerbrechen sich Gelehrte und Historiker seit anderthalbtausend Jahren den Kopf. Mehr als 200 Erklärungsansätze soll es geben. Nun hat Kyle Harper eine weitere Facette zugefügt, die auf naturwissenschaftlichen Ergebnissen beruht:
"Eisbohrkerne, Ablagerungen in Seen und Meeressedimente geben Aufschluss über Klimaveränderungen in der Sprache der Geochemie. Jahresringe und Gletscher sind Protokolle der Geschichte der Umwelt. Und die Isotopenchemie von Knochen und Zähnen kann uns Geschichten über Ernährung, Migration und biologische Biographien der schweigenden Mehrheit erzählen."
Der Historiker stützt sich auf neue wissenschaftliche Daten
"Fatum – Das Klima und der Untergang des Römischen Reichs" reiht sich in Forschungen ein, die in den vergangenen Jahren Aufschwung genommen haben: Historiker und Naturwissenschaftler arbeiten zusammen, um die Folgen von Klima- und Umweltveränderungen auf die Menschheitsgeschichte zu enträtseln. Die Analyse für Rom zeigt, dass sich das Klima verschlechterte – erst schleichend, es wurde wechselhafter, bis im sechsten Jahrhundert mehrere Vulkanausbrüche kurz hintereinander die Temperaturen abstürzen ließen und die "Spätantike Kleine Eiszeit" auslösten. Zudem erschütterten drei Pandemien das Reich. Die Erreger wurden aus Gebieten jenseits der damaligen Grenzen des römischen Reiches eingeschleppt.
"In römischer Zeit gab es einen Quantensprung in der globalen Vernetzung. Kaufleute zogen durch die Sahara, entlang der Seidenstraßen und vor allem über den Indischen Ozean und zu den Häfen am Roten Meer, die das Imperium angelegt hatte."
Globalisierung gab es damals schon - samt gefährlicher Nebenwirkungen
Mit den Händlern zogen auch die Erreger. Jede der Pandemien raffte Millionen dahin, und die Skelette ihrer Opfer verraten, dass sie dabei einfaches Spiel hatten. Die Menschen waren geschwächt: durch Parasiten, Malaria, chronische Krankheiten, mangelnde Hygiene. Die letzte und schwerste Pandemie traf Rom durch den Klimaabsturz: Weil die Ernten ausfielen und Hunger herrschte, befahl Kaiser Justinian, Nahrungsmittel aus weit entfernten Regionen einzuführen. Und so kam über Straßen und mit Schiffen die Beulenpest ins Reich.
"Allein der Anblick von Schiffen erregte Angst und Schrecken. Johannes (von Ephesus) berichtet von grausigen 'Geisterschiffen mitten auf hoher See, deren Matrosen plötzlich von Gottes Zorn ergriffen worden waren und deren Schiffe zum Grab ihrer Kapitäne wurden; und sie trieben hilflos auf den Wellen mit den Leichen ihrer Eigentümer'."
"Allein der Anblick von Schiffen erregte Angst und Schrecken. Johannes (von Ephesus) berichtet von grausigen 'Geisterschiffen mitten auf hoher See, deren Matrosen plötzlich von Gottes Zorn ergriffen worden waren und deren Schiffe zum Grab ihrer Kapitäne wurden; und sie trieben hilflos auf den Wellen mit den Leichen ihrer Eigentümer'."
Beim Kollaps der Weltmacht spielte auch die Natur ein Rolle
Klimawandel, Seuchen, demografische Zusammenbrüche mit allen ihren Folgen für die Gesellschaft, dazu der wachsende Druck von Invasoren auf die Grenzen – all das beförderte den Fall des römischen Reiches. Wobei die Invasoren, so die These, selbst wiederum auf den Klimadruck in ihrer Heimat reagierten. Es ist ein faszinierendes Bild einer untergehenden Gesellschaft, das Kyle Harper zeichnet.
"Während die Römer selbst den Untergang ihres Reichs nicht verstehen und ihn sich kaum vorstellen konnten, bedeutete er letztlich den Sieg der Natur über menschliche Ambitionen. Akteure in diesem Drama waren Kaiser, Barbaren, Senatoren und Feldherren, Soldaten und Sklaven. Doch Roms Schicksal wurde ebenso bestimmt durch Bakterien und Viren, Vulkanausbrüche und Sonnenzyklen."
In Althistorikerkreisen haben die neuen Facetten, die Kyle Harpers Buch "Fatum" den bekannten Debatten zugefügt hat, Diskussionen ausgelöst. Das Buch stimmt nachdenklich – auch und gerade zu Beginn des 21. Jahrhunderts und im Zeichen der Corona-Pandemie.
Zielgruppe: Nicht nur für Geschichtsinteressierte spannende Lektüre
Erkenntnisgewinn: Die Natur ist keine passive Bühne für die Geschichte der Menschheit. Sie entscheidet über Aufstieg und Fall von Weltreichen.
Spaßfaktor: In Zeiten von Corona ist es das ideale Buch für die heimische Klausur
Fatum: Das Klima und der Untergang des Römischen Reiches
Sachbuch von Kyle Harper
C.H. Beck Verlag, München, 2020
Mit 42 Abbildungen, 9 Tabellen und 26 Karten. 567 Seiten, 32 Euro.
Sachbuch von Kyle Harper
C.H. Beck Verlag, München, 2020
Mit 42 Abbildungen, 9 Tabellen und 26 Karten. 567 Seiten, 32 Euro.