Es muss ein warmer Sommertag gewesen sein: Die 149 Männer, die am 15. Juli 1937 auf der Baustelle für das neue KZ Buchenwald auf dem Ettersberg bei Weimar ankommen, tragen auf dem historischen Foto ihre Mäntel über dem Arm. Sie sind die ersten, die Vorhut, müssen das Lager mit aufbauen; und sie kommen aus dem KZ Sachsenhausen. Manche haben schon einige Jahre in anderen KZs hinter sich. Ein Drittel von ihnen sind politische Häftlinge, zwei Drittel sogenannte "Berufsverbrecher". Meist Kleinkriminelle, keiner von ihnen war ein Schwerverbrecher. Aber ebenso wie die politischen Häftlinge, passten sie nicht ins Bild der idealisierten "Volksgemeinschaft", wie Henning Borggräfe, Historiker beim Internationalen Suchdienst Bad Arolsen, ausführt.
"Hintergrund hierfür ist die schon in der Weimarer Zeit unter Kriminalisten entwickelte Strategie der Kriminalprävention. Auch der Begriff des Berufsverbrechers stammt eigentlich schon aus dem Diskurs der 1920er-Jahre. Und nach der Machtübernahme unter dem NS-Regime konnten solche Pläne dann sehr rasch umgesetzt werden. Und die Kriminalpolizei nutzte letztlich vor allem die Gelegenheit, diese Männer loszuwerden."
Borggräfe hielt seinen Vortrag über das Schicksal der ersten 149 Häftlinge von Buchenwald nicht etwa in der Gedenkstätte Buchenwald auf dem Ettersberg, sondern im Weimarer Stadtmuseum. Harry Stein, Historiker der Gedenkstätte, erklärt, warum:
Das gehört zusammen, weil die Konzentrationslager auch eine Sache dieser NS-Gesellschaft sind. In der Gesellschaft werden im Grunde die Ausgrenzungstheorien gemacht und praktiziert; die Polizei wird hier aktiv, die Menschen, die in die Konzentrationslager kommen, kommen aus der Gesellschaft.
"Zwischen uns und Weimar liegt Buchenwald", hatte der aus dem Exil zurückgekehrte Germanist Richard Alewyn schon 1949 gemahnt. Gerade daran will die Gedenkstätte in diesem Jahr erinnern, da vor 80 Jahren nicht nur das KZ gegründet, sondern auch der Grundstein für die monströse "Halle der Volksgemeinschaft" in Weimar gelegt wurde. Diese Halle auf dem Areal des Weimarer Gauforums sollte 15.000 Menschen fassen. Rikola-Gunnar Lüttgenau, stellvertretender Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, zieht die direkte Linie vom Gauforum nach Buchenwald.
Ein Granit gewordener Albtraum des Größenwahns
"Es ist kein zeitlicher Zufall, dass der Baubeginn des Gauforums zusammenfällt mit der Errichtung des Konzentrationslagers. Denn das eine ist nicht ohne das andere zu denken; es sind zwei Seiten einer Medaille. Diese auf Linie gebrachte, inszenierte Volksgemeinschaft funktioniert dadurch, dass Menschen ausgeschlossen werden – eben in einem KZ wie Buchenwald."
Dem Gauforum – ein Granit gewordener Albtraum des Größenwahns – sind in Weimar Mitte der 30er-Jahre ein Park und fast ein ganzes Wohnviertel zum Opfer gefallen. 150 Häuser wurden enteignet und abgerissen, 1.600 Menschen umgesiedelt, damit das Gauforum entstehen konnte: Repräsentationsbauten für die NSDAP und ihre Gliederungen, für die SA und die Deutsche Arbeitsfront. 60.000 Menschen sollten auf dem Platz Adolf Hitlers aufmarschieren können – die gesamte Einwohnerschaft von Weimar. Das Gauforum ist so ein wichtiges Zeugnis nationalsozialistischer Herrschaft, zumal es das einzige Gauforum deutschlandweit ist, das zumindest in großen Teilen realisiert wurde. In seiner Monstrosität sollte es sich gar nicht in die kleinteilige Stadt Weimar integrieren, sondern wie eine mittelalterliche Burg alle Maßstäbe sprengen. Das gelingt ihm bis heute. Der damals im faschistischen Italien einflussreiche Architekt Marcello Piacentini schrieb 1939: "In Deutschland setzt sich der Meter heute aus Tausend Zentimetern zusammen." Historiker Harry Stein, der in diesen Tagen mehrfach durch das Gauforum und dessen Umgebung führt, weist auch auf eine Straße hin, die damals als Ersatz für die abgerissenen Häuser unter dem Namen "X-Straße" gebaut wurde.
"Ja, die X-Straße wurde erst mal so benannt, weil man glaubte, wenn der Krieg gewonnen ist, hat man neue Helden. Und die neuen Helden sollten im Umfeld dieses Gauforums natürlich Namen und Plätze kriegen."
Zum "Endsieg" kam es zwar nicht, von den 149 Männern, die Buchenwald vor 80 Jahren als erste bezogen, erlebten aber mindestens 44 das Kriegsende nicht. Da sie zumeist Kriminelle waren, blieb ihnen in Ost- wie Westdeutschland eine Anerkennung als NS-Opfer verwehrt.