249 Namen sind es, die auf jeweils einem Feldstein eingraviert sind, die an dem ehemaligen Gleisbett der Buchenwaldbahn liegen. 249 Steine, 249 Namen von jüdischen Kindern und Jugendlichen und jungen Sinti und Roma.
Sandra Siegmund von der KZ-Gedenkstätte Buchenwald führt durch die lange, schmale Schneise, die durch den malerischen Wald auf dem Ettersberg führt, vorbei an den 249 Steinen. 67 fehlen noch, dann steht für jedes Kind, jeden Jugendlichen, die auf zwei Transporten im August und Oktober 1944 nach Auschwitz ins Gas fuhren, ein Stein.
Heute sind Jugendliche damit beschäftigt, die Schneise, den Gedenkweg Buchenwaldbahn freizuhalten, die Entwässerungsgräben von Laub und Ästen zu befreien. Sie nehmen am Sommercamp der Vereinigung Junger Freiwilliger teil. Dabei ist auch Victoire Bendraud. Sie ist 18 Jahre alt, kommt aus Lyon und meißelt gerade einen Namen in einen Stein. Sie weiß noch nichts über ihn, will aber im Archiv der Gedenkstätte versuchen herauszufinden, wer er war. Eine Stunde braucht sie pro Buchstaben. Also insgesamt 11 Stunden.
Während der Arbeit macht sie sich Gedanken, wer dieser Junge gewesen sein könnte, warum er im KZ war, wie sein Leben ausgesehen haben könnte. Deswegen ist er ihr so wichtig, später noch ins Archiv zu gehen.
Teilnehmerin: Am Ort des Geschehens verstehen zu lernen
Zu Hause in Lyon geht sie auf eine Wirtschaftsschule. Ihre Mutter ist Geschichtslehrerin, konnte ihrer Gründe, zwei Wochen ihrer Ferien in Buchenwald zu verbringen, gut verstehen. Ihr Vater fand den Wunsch etwas seltsam. Victoire Bendraud aber ist sehr froh, hier zu sein. Es sei etwas anderes, am Ort des Geschehens zu lernen, zu verstehen.
Insgesamt sind es 20 junge Leute zwischen 18 und 26, die am Sommercamp teilnehmen. Sie kommen aus Rußland, Japan, Italien … insgesamt elf Ländern. Solche Camps veranstaltet die Vereinigung Junger Freiwilliger in 70 Ländern der Welt, um junge Menschen einander näher zu bringen. Und auch in Buchenwald haben sie, trotz des Grauens, Spaß miteinander.
Eine zweite Gruppe von Jugendlichen arbeitet in der Restaurierungswerkstatt der Gedenkstätte. Dort wird gereinigt, geputzt, untersucht, konserviert, was bei Grabungen gefunden wurde. Mehrere Müllhalden des KZs werden noch für viele Jahre Zeugnisse der Vergangenheit preisgeben: Teller, Löffel, Zahnbürsten, Schmuckstücke, Gebisse, Colaflaschen der amerikanischen Befreier. Einiges davon haben die Jugendlichen selbst ausgegraben, aber der viele Regen in den vergangenen Tagen machte andauernde Arbeit draußen unmöglich.
Jugendliche stammen aus den am Zweiten Weltkrieg beteiligten Ländern
Dafür sitzen nun vier junge Leute mit weißen Kitteln und Gummihandschuhen am Tisch und reinigen Fundstücke. David Østergaard aus Kopenhagen reinigt mit Watte und Wasser ein Glasgefäß. Ein Tintenfaß reinigt er, aus durchsichtigem Glas. Darin hat er auch noch einen Bleistiftstummel entdeckt. Nun sucht er nach speziellen Markierungen oder Gravuren. Er vermutet, dass das Stück von der SS-Verwaltung stammt, die es auf den Müll geworfen hat, als es zerbrochen war. Ausgegraben wurde es aber nicht erst jetzt, sondern vor 20 Jahren. Seitdem lag es völlig verschmutzt im Lager.
David Østergaard hat gerade das Gymnasium abgeschlossen und will Psychologie studieren. Warum er hier ist? Ihm ging es nicht nur darum, Buchenwald näher kennenzulernen, sondern die Geschichte aus den verschiedenen Perspektiven der anderen Teilnehmer zu betrachten, die aus vielen am Zweiten Weltkrieg beteiligten Ländern stammen. Gerade für ihn aus Dänemark, das im Kalten Krieg etwas abseits stand, sei es enorm interessant, mit Polen oder Tschechen darüber zu sprechen, was das Ende des Krieges für ihre Länder bedeutete.
Noch drei Tage sind die 20 Jugendlichen in Buchenwald. Dann kehren sie zurück – beladen mit Erinnerungen und Erfahrungen.