Er schreibe, sagte Matthias Pintscher zum Figaro, "um gespielt zu werden". Dafür schuf er denkbar beste Voraussetzungen, indem er in die ästhetische Schule des Wirtschaftswunderkomponisten Hans-Werner Henze ging, sich von Manfred Trojahn ausbilden und in Gegnerschaft zur Schimäre einer "Darmstädter Schule" ausprägen ließ – Literaturoper mit effektvoll-illustrierender und deutsch-deutender Musik war angesagt. Die Semper-Oper in Dresden präsentierte "Thomas Chatterton". Doch Helmut Lachenmanns "Mädchen mit den Schwefelhölzern" hatte parallel dazu nicht nur einen Meilenstein der Musikgeschichte gesetzt, sondern in den Opernmetropolen auch noch unerwarteten Succès gemacht. Daraufhin entdeckte Pintscher flugs, dass auch Lachenmann Ahnherr seines Tondichtens und Theatertrachtens sei. Das Resultat – "L'Espace dernier" – mutet an, als wolle da einer zugleich katholisch und muslimisch sein.
Texte sollten die Welt aus den Angeln heben – Arthur Rimbaud steht als vieldeutig faszinierende Figur am Anfang der literarischen Moderne. Seine 1875 explosiv hervortretende Sprachgewalt profilierte sich durch die Dissonanzen zwischen Sinngehalt und Klangmelodie, durch Revoltieren und Entgrenzung, Kommunarden- und Bohème-Erfahrung, Snobismus und Mystizismus, Fragmentierung und Zerstörung. Rimbauds Oeuvre – in wenigen Jahren aufs Papier geschleudert – wies den Symbolisten ebenso Wege wie den Expressionisten, den Surrealisten wie den Beatpoeten ein Jahrhundert nach dem "Skandal", den er bedeutete. Georg Trakl und Paul Claudel, Stefan George und Paul Celan knüpften an seinen Gedichten an und setzten in unterschiedliche Richtungen fort.
Und die Biographie hat es in sich. Ob er tatsächlich (und wenn ja, in welchem Umfang an den Kämpfen der Commune von Paris teilnahm, wird sich letztlich wohl kaum mehr klären lassen. Rimbaud machte Skandal durch seine homosexuelle Beziehung mit Paul Verlaine; er schrieb wie wahnsinnig – und hörte ebenso abrupt damit wieder auf; wandte sich dann dem Reisen zu, dem Zirkus und dem Handel in Afrika. Er makelte mit allem mögliche und unmöglichen (auch mit Waffen für den Negus).
Seit Jahren zeigt sich der Komponist Matthias Pintscher fasziniert vom prallen Leben und der kantigen Dichtung Rimbauds. Ihnen widmete er nun "L'Espace dernier" – ein Musiktheater, das nun keine Oper mehr sein will. Schon gar keine mit einem gediegenen Libretto. Sondern mit Textsplittern aus dem dichterischen Werk Rimbauds, vor allem dem Gedicht Départ ("Abreise"), aus Tagebuchnotizen der Schwestern Vitalie und Isabelle sowie dem schwarzen Reisebegleiter Djami zugeschrieben. Es geht um Getriebensein, um schweigendes Blau, um den unergründlichen Raum, um Abreise. Um das Ende der Sprache und den letzter Ort des Ortlosen.
Es klingt, obwohl es sich an den Grenzen des Verzweiflungswürdigen bewegt, alles sehr schön. Die zahlköpfige Instrumentalistenschar ist teils im Graben, teils in einem erhöhten Käfig an der rechten Bühnenflanke untergebracht, aber auch auf den Balkons im Zuschauerraum. Sie spielt sich die Motiv-Bälle über die räumlichen Distanzen hinweg zu, macht die Weite der Entfernungen hörbar und sogar die Leere. Das Dramatische aber, so meint der Komponist, müsse im Kopf jedes einzelnen Hörers entstehen. Dafür ist die Form eines szenischen Konzerts, wie es Kwamé Ryan und Alejo Perez in der Großen Opéra Bastille leiteten, durchaus hinreichend.
Michael Simon bebilderte das dunkel raunende Oratorium vom Ende der Sprache und dem letzten Raum mit mancherlei Anspielungen auf neuere Kunstgeschichte, arbeitet drastisch mit Hell-Dunkel-Kontrasten, mannigfaltigen Schattenspielen und videogespendeten Wort-Kaskaden. Der Frauenchor, ganz in Weiß, unterstreicht die epische Komponente, die doch dem verständlichen Wort weithin misstraut. Ohne Erwähnung bleiben die real revolutionären Anfänge der Rimbaud-Biographie. Freilich klammert Pintscher auch die kunstrevolutionären Momente, das Aufsässige der Texte aus. So scheint die bessere Hälfte des Unternehmens vergeigt. Rimbauds Sache wurde kleinbürgerlich domestiziert und vergleichgültigt in der großen lauwarmen Musikwanne. Ganz nach dem Motto des Komponisten: "Wo Leere ist, ist Rimbaud".
Texte sollten die Welt aus den Angeln heben – Arthur Rimbaud steht als vieldeutig faszinierende Figur am Anfang der literarischen Moderne. Seine 1875 explosiv hervortretende Sprachgewalt profilierte sich durch die Dissonanzen zwischen Sinngehalt und Klangmelodie, durch Revoltieren und Entgrenzung, Kommunarden- und Bohème-Erfahrung, Snobismus und Mystizismus, Fragmentierung und Zerstörung. Rimbauds Oeuvre – in wenigen Jahren aufs Papier geschleudert – wies den Symbolisten ebenso Wege wie den Expressionisten, den Surrealisten wie den Beatpoeten ein Jahrhundert nach dem "Skandal", den er bedeutete. Georg Trakl und Paul Claudel, Stefan George und Paul Celan knüpften an seinen Gedichten an und setzten in unterschiedliche Richtungen fort.
Und die Biographie hat es in sich. Ob er tatsächlich (und wenn ja, in welchem Umfang an den Kämpfen der Commune von Paris teilnahm, wird sich letztlich wohl kaum mehr klären lassen. Rimbaud machte Skandal durch seine homosexuelle Beziehung mit Paul Verlaine; er schrieb wie wahnsinnig – und hörte ebenso abrupt damit wieder auf; wandte sich dann dem Reisen zu, dem Zirkus und dem Handel in Afrika. Er makelte mit allem mögliche und unmöglichen (auch mit Waffen für den Negus).
Seit Jahren zeigt sich der Komponist Matthias Pintscher fasziniert vom prallen Leben und der kantigen Dichtung Rimbauds. Ihnen widmete er nun "L'Espace dernier" – ein Musiktheater, das nun keine Oper mehr sein will. Schon gar keine mit einem gediegenen Libretto. Sondern mit Textsplittern aus dem dichterischen Werk Rimbauds, vor allem dem Gedicht Départ ("Abreise"), aus Tagebuchnotizen der Schwestern Vitalie und Isabelle sowie dem schwarzen Reisebegleiter Djami zugeschrieben. Es geht um Getriebensein, um schweigendes Blau, um den unergründlichen Raum, um Abreise. Um das Ende der Sprache und den letzter Ort des Ortlosen.
Es klingt, obwohl es sich an den Grenzen des Verzweiflungswürdigen bewegt, alles sehr schön. Die zahlköpfige Instrumentalistenschar ist teils im Graben, teils in einem erhöhten Käfig an der rechten Bühnenflanke untergebracht, aber auch auf den Balkons im Zuschauerraum. Sie spielt sich die Motiv-Bälle über die räumlichen Distanzen hinweg zu, macht die Weite der Entfernungen hörbar und sogar die Leere. Das Dramatische aber, so meint der Komponist, müsse im Kopf jedes einzelnen Hörers entstehen. Dafür ist die Form eines szenischen Konzerts, wie es Kwamé Ryan und Alejo Perez in der Großen Opéra Bastille leiteten, durchaus hinreichend.
Michael Simon bebilderte das dunkel raunende Oratorium vom Ende der Sprache und dem letzten Raum mit mancherlei Anspielungen auf neuere Kunstgeschichte, arbeitet drastisch mit Hell-Dunkel-Kontrasten, mannigfaltigen Schattenspielen und videogespendeten Wort-Kaskaden. Der Frauenchor, ganz in Weiß, unterstreicht die epische Komponente, die doch dem verständlichen Wort weithin misstraut. Ohne Erwähnung bleiben die real revolutionären Anfänge der Rimbaud-Biographie. Freilich klammert Pintscher auch die kunstrevolutionären Momente, das Aufsässige der Texte aus. So scheint die bessere Hälfte des Unternehmens vergeigt. Rimbauds Sache wurde kleinbürgerlich domestiziert und vergleichgültigt in der großen lauwarmen Musikwanne. Ganz nach dem Motto des Komponisten: "Wo Leere ist, ist Rimbaud".