"Schon ganz lange weiß ich, dass, wenn Musik läuft, ich dann immer irgendwie das Zucken anfange."
Das Zucken mit der Zunge. Der Rhythmus, mit dem er einfach mit muss, der Posaunist Mathias Götz. Mathias Götz steht im Musikzimmer seiner Altbauwohnung in München-Obergiesing. Überall liegen Instrumente herum, selbst der Raum wird bei ihm zum Instrument.
"Der Boden knirscht und das kann man tatsächlich an ein paar Stellen auf dem Album hören. Also, wenn ich es durchhöre, weiß ich: Ah, da war wieder ein Parkett-Knarzer."
Der Sound von Holzdielen als Teil der Komposition - nicht leisetreterisch, sondern ein leichtes Tapsen als unaufdringliches Nebengeräusch auf dem Album-Debüt von Mathias Götz alias Le Millipede, auf dem es eh klimpert und klappert, raschelt und rasselt.
"Posaune kann ich halt spielen, alles andere kann ich nicht spielen. Ich drücke mit zwei Fingern auf dem Synthesizer rum. Und Percussion mache ich halt auch so nach Gefühl."
Rappel, Rappeln, Kiste
Das Musikzimmer von Mathias Götz, Jahrgang 1972, ist auch Spielzimmer seiner Tochter - oder umgekehrt. Vielleicht klingt deswegen seine Musik so nach Rappel, Rappeln, Kiste, nach Soundtrack einer in der Erinnerung verblassten Zeichentrickserie. Die Bilder dazu entstehen beim Hören. Man sieht sie förmlich vor sich, die nervösen Flügelschläge einer Biene Maja im Stück "Rote Laterne". Oder ein flirrend außerweltliches Abenteuer von Captain Future in "Kollege". Und klappert da nicht Pinocchio mit seinen ungelenken Gliedmaßen im Stück "Herbst"?
Das selbstbetitelte Debüt-Album von Mathias Götz "Le Millipede" - französisch für Tausendfüßler - ist auf Alien Transistor erschienen, dem Label der Brüder Markus und Micha Acher von der experimentierfreudigen Band "The Notwist" aus dem bayerischen Weilheim. Um "The Notwist" sind in den letzten Jahren eine Vielzahl solcher Bandprojekte entstanden: Alien Ensemble, Hochzeitskapelle, Rayon. Die Musiker spielen mal in dieser, mal in jener Formation, leihen sich gegenseitig Instrumente und teilen sich die Leidenschaft für eine Musik, in der es klimpert und klappert - mehr leise als laut. Es klingt nach Kinderzimmer, nach Puppen-Pop, nach Marionetten-Musik. Kein Wunder, die meisten Musiker sind wie Markus Acher junge Väter.
"Mit meinem kleinen Sohn, der wird jetzt vier, mit dem mache ich schon spaßmäßig Musik. Aber das geht noch nicht so richtig. Der ist schon so: Er geht immer zu Instrumenten und spielt, aber er spielt eher Musiker als dass er jetzt richtig Musik macht. Und meine Tochter, die lernt Geige. Da spiele ich dann immer mit der Gitarre mit, bei Stücken, die sie üben muss."
Eltern lernen von ihren Kindern
Eltern lernen von ihren Kindern. So klingt die Musik auf dem Label Alien Transistor nach Kinderstube, nach Erwachsenen, die Spielzeuginstrumente neu für sich entdecken - ein Experimentieren an der Wiege der musikalischen Sozialisation.
"Ich versuche eigentlich, nicht zu viel zu können, weil das ist eigentlich immer hinderlich aus so einem rein technischen Aspekt, zu viel zu wissen."
Nicht zu viel wissen, nicht zu viel können - auch Mathias Götz macht sich schon mal ganz unbedarft auf die Suche nach neuen Instrumenten und erlebt so auch die ein oder andere kindliche Überraschung.
"Mein Hauptinstrument an Synthesizern war eigentlich dieser kleine, weiße Casio VL Tone. Dann habe ich mir den so angeschaut. In der Beschreibung steht halt, dass ein Taschenrechner dabei ist. Und ich so: Hä, wie Taschenrechner? Dann hier so +/- und die Zahlen 0 bis 9. :, x, -, +, =. Und ich dachte: Was ist denn das? Ein Synthesizer mit einem Taschenrechner! Dann habe ich ihn erst mal wieder weggelegt und habe ihn dann später noch mal ausprobiert und habe dann auch festgestellt, also ich wusste das alles nicht, dass das der Synthesizer war, mit dem Trio diesen Hit hatte: Da Da Da."
Die Musik von Mathias Götz alias Le Millipede ist kein künstlerischer Anarchismus im Sinne von Dada, sondern vielmehr kindliches Staunen. Da Da Da. Was macht nicht alles ein Geräusch? Was ist nicht alles ein Instrument?
"Ich habe so eine Percussion-Tasche, die auch noch lustigerweise so ganz tolle Farben hat. Und wenn ich dann die Tasche ausleere und da fällt halt alles raus: von Glöckchen, Rascheln, Zimbeln, Holzmuscheln. Wenn dann Kinder da sind, die stehen dann immer davor und wollen immer mitmachen. Rasseln."
Faszination für okskure Spielzeuginstrumente
In der Rassel-Bande um das Label Alien Transistor ist der 1984 geborene Christoph Beck der jüngste Musiker. Seit Kurzem spielt er auch an Stelle von Martin Gretschmann bei The Notwist, feiert Erfolge mit der Kraut-Pop-Formation Aloa Input und zelebriert mit seinem Solo-Projekt Joasihno auch eine Art Kinderzimmer-Pop - dabei ist er nicht mal Vater.
"Ne, ich habe keine Kinder. Ne."
Aber eine große Faszination für obskure Spielzeuginstrumente.
"Ich bin immer sehr viel auf der Suche nach speziellen Keyboards. Und da verbringe sehr viel Zeit damit, im Internet nach Zeug zu suchen. Und ich bin dann auf einen Typen aus Portland gestoßen, Noise Toys heißt der oder nennt er sich. Und der baut alte Keyboards um. Also irgendwelche alten Spielzeuginstrumente oder irgendwelche blöden Casio-Keyboards. Die baut er um, aber massiv anders. Das gibts nur einmal auf der Welt, das sind dann sehr spezielle Geräusche. In der Zeit, wo ich mit Joasihno angefangen habe, habe ich total viel Múm gehört - diese isländische Band. Und die exerzieren das ja extrem, dieses Kinder-Instrumente-Musik-mäßige."
Es ist die Ästhetik von billigem und längst vergessenem Geräuschspielzeug, das die erwachsene Musik auf dem Label Alien Transistor so ungewöhnlich und auch unprätentiös macht. Kein Poser-Pop, kein Muckertum, sondern mehr Schaukelpferd als Rocker-Galopp.