Das Haar von einem seiden schimmernden Kopftuch umflossen. Die Sprache: das nicht minder seidene Englisch der pakistanischen Oberschicht. Der Name: Ghinwa Bhutto. Ihre Partei: die PPPs, die Pakistan's People's Party - mit einem kleinen "S" dahinter. Wer Ghinwas Schwägerin im Presseclub von Karachi agieren sieht, könnte sich fragen: Gibt es in Pakistan überhaupt so etwas wie Entwicklung? Oder dreht sich nach dem Rücktritt von Präsident Musharraf die Geschichte endlos im Kreis? Allen, die das wissen wollen, sei Tariq Alis Buch empfohlen. Pakistan, ein Land zwischen Taliban und Atombomben? Mit Horrorszenarien hält sich der Autor gar nicht lange auf. Stattdessen durchpflügt er das vermeintliche Chaos und legt mit ein paar Griffen die Strukturen seines Landes offen.
Die Geschichte der Familie Bhutto ist dabei nur eines, aber eines der wichtigen Kapitel.
Nicht ohne makaberen Humor, erzählt Tariq Ali von dem Konflikt, den in den 90er Jahren die damalige Premierministerin Benazir und ihr Bruder Murtaza austrugen: Murtaza Bhutto gründete seine eigene PPP-Abspaltung und wurde bald darauf unter mysteriösen Umständen erschossen. Seine Witwe Ghinwa erbte die Führung der Partei, die jetzt nach dem Ermordeten PPP Shahid - Märtyrer Bhutto - hieß. Schwägerin Ghinwa warf Benazir die Ermordung ihres eigenen Bruders vor und opponierte politisch gegen sie. Dann wurde auch Benazir ermordet. Worauf nun Benazirs Mann deren Partei erbte und der Familienzwist sich in der nächsten Folge fortsetzt. Witwe gegen Witwer.
Das Land, an dem der Erfolg der ISAF-Mission in Afghanistan hängt - Schauplatz einer unglaublich geschmacklosen Telenovela. Die Bhutto-Story ist bloß die Tragödie in der Tragödie. Doch gerade durch solche Lupenblicke gelingt es Tariq Ali, Einblicke in die verborgene Mechanik des Landes zu geben. Und je weiter man im Buch liest, umso deutlicher begreift man: Nicht die Namen der Parteien, nicht die ihrer jeweiligen Führer, geschweige denn ihre politischen Strategien, oder ihre Programme vermitteln Antworten auf den künftigen Kurs. Verstehen muss man, wer diese PML-, PPP- oder sonstigen Politiker eigentlich sind, welchen Hintergrund sie haben.
Am Morgen des 14. August 1947 wachte eine Gruppe von überraschten Männern auf und fand sich an der Spitze eines neuen Staates namens Pakistan vor. Jetzt hatten sie ihr eigenes Land. Die meisten von ihnen waren angepasste Karrieristen, wenn nicht sogar Trittbrettfahrer, die aus muslimischen Großgrundbesitzerfamilien stammten, immer freudig mit dem britischen Empire kollaboriert hatten und erst vor Kurzem zur Muslimliga gestoßen waren. Ihre Gehirnzellen waren durch mangelnden Gebrauch recht rostig geworden. In den guten alten Tagen hatte ihnen ja die höhere imperiale Beamtenschaft das Denken abgenommen. Sie selbst hatten nur von oben kommende Anordnungen und Vorstellungen an ihre eigenen Untergebenen weitergeben müssen. Als sie nun mit echter Unabhängigkeit zu tun hatten, wurde ihre mangelnde Substanz offenbar.
Gedacht war Pakistan als ein Labor der islamischen Moderne. Als Heimstatt der über den Subkontinent versprengten Muslime, als Magnet im Sinne eines muslimischen Zionismus. Dies Ideal scheiterte allerdings daran, dass die Gründergeneration weder aus Intellektuellen, noch aus zupackenden Kibbuzim bestand, sondern aus Land-Edelleuten - über die Maßen saturiert.
Deshalb fühlten sich die neuen Herren auch von einem Teil des Volks bedroht: von den muslimischen Zuwanderern aus Indien, also denjenigen die sie mit viel Pathos in das neue Land gerufen hatten. Meist stammten die Flüchtlinge aus der Mittelschicht, meist waren es die Familien kleiner, gut ausgebildeter Beamter.
Als sie dann von der Masse von Flüchtlingen überrollt wurde, geriet die Führung der Muslimliga in Karatschi in Panik und teilte den indischen Muslimen mit, dass der neue Staat nicht für alle Muslime, sondern nur für die aus dem östlichen Pandschab bestimmt sei. Die Muslime in Delhi und Uttar Pradesh sollten bleiben, wo sie waren. In Wirklichkeit wollte (man) damit ausdrücken, dass es in (diesem)Staat keinen Platz für die Muslime aus der Mittelschicht (...) gab.
Von der Entstehung Pakistans über die Militärdiktatoren und der die Operation Enduring Freedom, die US-Militäraktion im Grenzgebiet zeichnet Tariq Ali die Geschichte Pakistans bis in die Gegenwart nach. Der rote Faden bleibt: Nicht der Islamismus, nicht der Terror oder der Kampf dagegen, ist ein Schlüssel, um Pakistan zu verstehen. Verstehen muss man vielmehr, wie die seit der Kolonialzeit ungebrochen weiterherrschende Feudalelite tickt: Sie stellt die Parteichefs. Sie stellt die Generalität. Sie bedient sich der Gelder aus dem Westen. Sie kauft und instrumentalisiert die Islamisten und pfeift sie bei Bedarf wieder zurück. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg.
Pakistan: Das ist eine Geschichte von Großgrundbesitzern, die mit allen zu Gebote stehenden Waffen gegen Bildung kämpfen. Also: keine Chance für das Land? Doch, meint der Autor: Die Zivilgesellschaft, Menschenrechtler, Journalisten, Anwälte, die sich nach Präsident Musharrafs Absetzung des obersten Richters selbstbewusst erhoben. Eine kleine Schar Gebildeter zwar nur - doch dank der Medien mit einer enormen Breitenwirkung. Und dann zitiert er, ganz am Ende, ein Gedicht. Eine pakistanische Version von "Die Gedanken sind frei":
Wie kann der, der sein Augenlicht verlor, malen?
Wie kann der, der seine Hände verlor, schnitzen?
Wie kann der, der sein Gehör verlor, komponieren?
(...)
Aber all dies ist wirklich geschehen.
Eine Empfehlung von Marc Thörner für "Pakistan. Ein Staat zwischen Demokratie und Diktatur". So der Titel des Buches von Tariq Ali, das dieser Tage im Diederichs Verlag erschienen ist, 334 Seiten dick und kostet Euro 19,95.
Die Geschichte der Familie Bhutto ist dabei nur eines, aber eines der wichtigen Kapitel.
Nicht ohne makaberen Humor, erzählt Tariq Ali von dem Konflikt, den in den 90er Jahren die damalige Premierministerin Benazir und ihr Bruder Murtaza austrugen: Murtaza Bhutto gründete seine eigene PPP-Abspaltung und wurde bald darauf unter mysteriösen Umständen erschossen. Seine Witwe Ghinwa erbte die Führung der Partei, die jetzt nach dem Ermordeten PPP Shahid - Märtyrer Bhutto - hieß. Schwägerin Ghinwa warf Benazir die Ermordung ihres eigenen Bruders vor und opponierte politisch gegen sie. Dann wurde auch Benazir ermordet. Worauf nun Benazirs Mann deren Partei erbte und der Familienzwist sich in der nächsten Folge fortsetzt. Witwe gegen Witwer.
Das Land, an dem der Erfolg der ISAF-Mission in Afghanistan hängt - Schauplatz einer unglaublich geschmacklosen Telenovela. Die Bhutto-Story ist bloß die Tragödie in der Tragödie. Doch gerade durch solche Lupenblicke gelingt es Tariq Ali, Einblicke in die verborgene Mechanik des Landes zu geben. Und je weiter man im Buch liest, umso deutlicher begreift man: Nicht die Namen der Parteien, nicht die ihrer jeweiligen Führer, geschweige denn ihre politischen Strategien, oder ihre Programme vermitteln Antworten auf den künftigen Kurs. Verstehen muss man, wer diese PML-, PPP- oder sonstigen Politiker eigentlich sind, welchen Hintergrund sie haben.
Am Morgen des 14. August 1947 wachte eine Gruppe von überraschten Männern auf und fand sich an der Spitze eines neuen Staates namens Pakistan vor. Jetzt hatten sie ihr eigenes Land. Die meisten von ihnen waren angepasste Karrieristen, wenn nicht sogar Trittbrettfahrer, die aus muslimischen Großgrundbesitzerfamilien stammten, immer freudig mit dem britischen Empire kollaboriert hatten und erst vor Kurzem zur Muslimliga gestoßen waren. Ihre Gehirnzellen waren durch mangelnden Gebrauch recht rostig geworden. In den guten alten Tagen hatte ihnen ja die höhere imperiale Beamtenschaft das Denken abgenommen. Sie selbst hatten nur von oben kommende Anordnungen und Vorstellungen an ihre eigenen Untergebenen weitergeben müssen. Als sie nun mit echter Unabhängigkeit zu tun hatten, wurde ihre mangelnde Substanz offenbar.
Gedacht war Pakistan als ein Labor der islamischen Moderne. Als Heimstatt der über den Subkontinent versprengten Muslime, als Magnet im Sinne eines muslimischen Zionismus. Dies Ideal scheiterte allerdings daran, dass die Gründergeneration weder aus Intellektuellen, noch aus zupackenden Kibbuzim bestand, sondern aus Land-Edelleuten - über die Maßen saturiert.
Deshalb fühlten sich die neuen Herren auch von einem Teil des Volks bedroht: von den muslimischen Zuwanderern aus Indien, also denjenigen die sie mit viel Pathos in das neue Land gerufen hatten. Meist stammten die Flüchtlinge aus der Mittelschicht, meist waren es die Familien kleiner, gut ausgebildeter Beamter.
Als sie dann von der Masse von Flüchtlingen überrollt wurde, geriet die Führung der Muslimliga in Karatschi in Panik und teilte den indischen Muslimen mit, dass der neue Staat nicht für alle Muslime, sondern nur für die aus dem östlichen Pandschab bestimmt sei. Die Muslime in Delhi und Uttar Pradesh sollten bleiben, wo sie waren. In Wirklichkeit wollte (man) damit ausdrücken, dass es in (diesem)Staat keinen Platz für die Muslime aus der Mittelschicht (...) gab.
Von der Entstehung Pakistans über die Militärdiktatoren und der die Operation Enduring Freedom, die US-Militäraktion im Grenzgebiet zeichnet Tariq Ali die Geschichte Pakistans bis in die Gegenwart nach. Der rote Faden bleibt: Nicht der Islamismus, nicht der Terror oder der Kampf dagegen, ist ein Schlüssel, um Pakistan zu verstehen. Verstehen muss man vielmehr, wie die seit der Kolonialzeit ungebrochen weiterherrschende Feudalelite tickt: Sie stellt die Parteichefs. Sie stellt die Generalität. Sie bedient sich der Gelder aus dem Westen. Sie kauft und instrumentalisiert die Islamisten und pfeift sie bei Bedarf wieder zurück. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg.
Pakistan: Das ist eine Geschichte von Großgrundbesitzern, die mit allen zu Gebote stehenden Waffen gegen Bildung kämpfen. Also: keine Chance für das Land? Doch, meint der Autor: Die Zivilgesellschaft, Menschenrechtler, Journalisten, Anwälte, die sich nach Präsident Musharrafs Absetzung des obersten Richters selbstbewusst erhoben. Eine kleine Schar Gebildeter zwar nur - doch dank der Medien mit einer enormen Breitenwirkung. Und dann zitiert er, ganz am Ende, ein Gedicht. Eine pakistanische Version von "Die Gedanken sind frei":
Wie kann der, der sein Augenlicht verlor, malen?
Wie kann der, der seine Hände verlor, schnitzen?
Wie kann der, der sein Gehör verlor, komponieren?
(...)
Aber all dies ist wirklich geschehen.
Eine Empfehlung von Marc Thörner für "Pakistan. Ein Staat zwischen Demokratie und Diktatur". So der Titel des Buches von Tariq Ali, das dieser Tage im Diederichs Verlag erschienen ist, 334 Seiten dick und kostet Euro 19,95.