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LABOR: Hilfe für Studenten
Mein Therapeut, der Computer

Bei jedem sechsten Studenten liegt laut Barmer-Krankenkasse eine psychischen Erkrankung diagnostiziert. Psychologen der Universität Erlangen wollen Studenten eine niedrigschwellige Hilfe übers Internet anbieten: "StudiCare" soll weniger Therapie sein, sondern vielmehr ein Coaching, um den Alltag besser zu bewältigen.

Von Tobias Krone |
    Der Schatten eines Jugendlichen mit einem Laptop
    Wissenschaftler an der Uni Erlangen wollen mit Internetprogrammen Studierenden mit psychischen Schwächen helfen (dpa / Armin Weigel)
    Neues Studium, neue Leute. Und dann noch dieses Frühlingswetter. Für viele Studierende die optimale Zeit, um anzubandeln. Manche aber können solche Momente gar nicht genießen, erläutert die Doktorandin Fanny Kählke.
    "Zum Beispiel man ist auf einem Date. Man ist extrem aufgeregt, das Herz rast. Am Anfang ist es extrem unangenehm. Man möchte am liebsten wegrennen. Wenn man aber das macht, dann wird immer wieder, wenn man ein neues Date hat, diese Situation als extrem wahrgenommen, die ersten fünf Minuten, und man würde immer wieder fliehen."
    Wer unter einer sozialen Angststörung leidet, versteckt sich lieber vor anderen. Und gerade Studierende sind gefährdet.
    "Ich würde sagen, im Studium hat man die Möglichkeit, dass man vielen sozialen Situationen aus dem Weg gehen kann. Man sitzt in Vorlesungen vielleicht ganz hinten. Man hat ja auch oft keine Anwesenheitspflicht, das heißt man muss beim Seminar nicht erscheinen. Und dann verstärkt sich dieser Teufelskreislauf nochmal. Das heißt die sozialphobische Symptomatik wird immer schlimmer."
    Hilfe ohne persönlichen Kontakt
    Fanny Kählke sitzt an einem Computer in einem Erlanger Dachzimmer. In ihrer Doktorarbeit arbeitet sie daran, Menschen mit sozialer Angst zu helfen. Und zwar ganz niedrigschwellig – ohne persönlichen Kontakt. Ihre Therapie-Methode soll rein über ein so genanntes E-Training ablaufen, via Internet. Es ist nur eines mehrerer StudiCare-Programme, das Psychologen an der Uni Erlangen entwickelt haben, um Studierenden bei psychischen Schwierigkeiten zu helfen.
    "Wir stellen ganz verschiedene Programme zur Verfügung: Wie man lernen kann, mit Stress umzugehen, wie man seine Widerstandsfähigkeit fördern kann. Aber auch wie man beispielsweise Prüfungsängste bewältigen kann oder niedergeschlagene Stimmung bis hin zur Depression tatsächlich erfolgreich bewältigen kann. Und da lernt man in einer E-Learning-Einheit letztendlich, wie man vorwiegend selbständig solche Beschwerden entweder bewältigen kann oder zukünftigen Beschwerden entgegenwirken kann schon frühzeitig."
    Studierende, eine unterschätzte Problemgruppe
    Der Psychologe David Daniel Ebert initiierte und leitet StudiCare. Mitmachen kann jeder deutschsprachige Studierende kostenlos, indem er sich einen anonymen verschlüsselten Account bei StudiCare anlegt. Derzeit testen Ebert und seine Kollegen die Wirksamkeit des Programms an Studienanfängern an den Unis in Erlangen, Ulm und künftig auch Aachen. Mit den Studierenden widmet sich Ebert einer bisher unterschätzten Problemgruppe.
    "Tatsächlich wurden in der Vergangenheit Studierende immer als eine relativ gesunde Gruppe betrachtet. Wir haben jetzt gerade zusammen mit der Barmer einen großen Arztreport herausgegeben, wo wir uns die Versichertendaten dieser großen Krankenkasse angeschaut haben und gefunden haben, dass tatsächlich ein Sechstel aller Studierenden schon in dem System der Krankenkasse eine Diagnose einer psychischen Erkrankung hat."
    Als Ursache vermutet Ebert gestiegenen Prüfungsdruck. Zu den Zahlen, vermuten die Psychologen, komme noch eine hohe Dunkelziffer derer, die noch nicht für eine Therapie bereit sind.
    "Wir möchten in der Regel nicht krank sein. Es ist bei Rückenschmerzen genau dasselbe. Erst wenn’s gar nicht anders geht, dann suchen wir einen Arzt auf. Im Bereich der Psyche ist es so, dass im Schnitt acht bis zehn Jahre vergehen von dem Zeitpunkt, wenn sich eine Erkrankung entwickelt, bis jemand tatsächlich wirklich bereit ist, eine Behandlung aufzusuchen. Und da sehen wir, dass wir mit diesem Programm die Leute deutlich früher erreichen, weil der Schritt kleiner ist, erstmal niedrigschwelligere Hilfe zu suchen."
    Ein Coaching, um den Alltag besser zu bewältigen
    Mit dieser Philosophie versteht sich StudiCare auch weniger als Therapie, vielmehr als Coaching, um den Alltag besser zu bewältigen. Klar sei aber, dass bei schwerwiegenderen Problemen nur eine persönliche Therapie helfe, so die Psychologen. Mehrere Wochen lang analysieren sich die Studierenden am Computer oder Smartphone selbst – unter fachkundiger Anleitung der E-Learning-Module. Fanny Kählke erläutert den Modulplan gegen Soziale Angst.
    "Man hat so eine Art Protokolle. In die schreibt man immer die Situation rein, das heißt, wann kommt jetzt die Angst häufig, wann tritt sie auf? Wie fühle ich mich dann, welche Gedanken habe ich? Dann setzt man sich der Situation aus und reflektiert nochmal darüber und merkt, dass es eigentlich gar nicht so schlimm war. Und dann setzt der Lerneffekt ein."
    Um zu erfahren, wie wirksam die Programme sind, befragen die Erlanger Psychologen ausgewählte Teilnehmer davor und danach zu ihrem Wohlbefinden. Gleichzeitig wird eine Kontrollgruppe befragt, die StudiCare nicht benutzt. Bereits jetzt sprächen die Ergebnisse für das E-Training, so David Daniel Ebert.
    Noch finanzieren die Barmer Krankenkasse und die EU das Projekt. Künftig, so die Vorstellung von David Daniel Ebert, sollen Hochschulen und andere Krankenkassen Studierenden das niedrigschwellige Coaching ermöglichen.