DIPF/Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation in Frankfurt am Main: Das Institut wurde 1951 mit Unterstützung der amerikanischen Militärbehörde in Frankfurt gegründet. Deshalb der erste Teil des Namens: DIPF: Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung.
Bundesweit bekannt ist das DIPF heute vor allem deshalb, weil es die internationale Vergleichsstudie PISA in Deutschland durchführt und alle zwei Jahre den nationalen Bildungsbericht erstellt. Schwerpunkt der rund 150 Bildungswissenschaftlerinnen und Wissenschaftler: Wie lernen junge Menschen? Von der Kita bis zur Hochschule? Deshalb laufen Projekte zur Rolle des Ganztagsunterrichts, zum digitalen Lernen oder zur Frage, wie Geflüchtete in den Schulalltag integriert werden können. Aktuell arbeiten die Forscherinnen und Forscher an der Frage, wie die Lesekompetenz von Kindern mit Migrationshintergrund verbessert werden kann.
Acht Uhr morgens in einer Offenbacher Grundschule: Neben den Kindern der vierten Klasse sind heute auch zwei Wissenschaftlerinnen vom DiPF da:
"Wie schon beim letzten Mal gilt, dass niemand außer uns vom meRLe-Team deine Antworten sehen kann, deshalb steht auf dem Fragebogen nicht dein Name sondern eine Nummer."
Mit den Fragebögen wird getestet, wie gut die Kinder lesen können. Denn die Lesekompetenz am Ende der vierten Klasse entscheidet darüber, wie erfolgreich ein Kind auf der weiterführenden Schule lernen wird. Der Test besteht aus unvollständigen Texten, in die die Schülerinnen und Schüler angebotene Wörter einfügen müssen. Ein Beispielsatz: "Bei den Beuteltieren kommen die Kleinen oder Klone oder Keime nach kurzer Tragezeit zur Welt." Wie nennt man den Nachwuchs der Beuteltiere?" Der passende Begriff muss eingesetzt werden. Nach einer Stunde ist der Test geschafft.
"Danke, gibst du mir auch noch dein Heft?"
"MeRLE steht für mehrsprachigkeitssensibles reziprokes Lehren. Und weil das nicht ganz so griffig ist, versuchen wir daraus immer schöne Akronyme zu bilden und haben MeRLE genommen, was im Französischen Amsel heißt, um dann schon gleich auf die mehreren Sprachen abzuzielen mit dem Akronym."
Und darum geht es in dem Projekt: Die Schüler, deren Muttersprache nicht Deutsch ist und die bei der Lesekompetenz besonders häufig Probleme haben, sollen sich zu zweit oder zu dritt mit einem deutschen Text beschäftigen. Aber, das ist das Neue und Besondere dieses Ansatzes, sie dürfen dafür ihre Muttersprache nutzen, erklärt Projektleiterin Dominique Rauch:
"Und das soll sie ermutigen über den deutschen Text, wenn es ihnen passt, auch in ihrer Familiensprache sich zu unterhalten, um ein tieferes Verständnis zu bekommen."
Gemeinsam lernt es sich besser
Damit das klappt, müssen mehrere Kinder in einer Klasse dieselbe Herkunftssprache teilen und kooperativ zusammenzuarbeiten. Die herkömmlichen Sprach- und Leseförderungen hätten zu wenig daran geändert, dass Kinder mit Migrationshintergrund überdurchschnittlich oft in der Schule scheitern. Das will Dominique Rauch verändern, nachdem sie jahrelang frustriert die PISA-Studie ausgewertet hat:
"Die Schüler mit Migrationshintergrund, das sind halt in den allermeisten Fällen auch mehrsprachige Schülerinnen und Schüler, die schneiden schlechter ab, als ihre Mitschüler ohne Migrationshintergrund. Und ich glaube, als ich da das dritte oder vierte Mal dasselbe Kapitel geschrieben habe, habe ich irgendwann gedacht, so, was könnte man denn jetzt mal machen anstatt in drei Jahren wieder denselben Bericht zu schreiben?"
Die Frankfurter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kooperieren eng mit den Schulen, um das Konzept des Projekts praxisnah zu gestalten: Die Aufgaben sind klar strukturiert, die Zeiteinheiten genau vorgegeben. Trotzdem gibt es auch spielerische Elemente:
Lernziele festlegen
Einen Stift nämlich, der auf Knopfdruck die Fragen zum deutschen Text auf Sprachen wie Arabisch, Türkisch oder Persisch vorspielt.
Der Rückgriff auf die Herkunftssprache soll die Kinder stärken, auch wenn sie ihnen nur als gesprochene Sprache geläufig ist. Der Stift ist dafür ein gutes Hilfsmittel. Und gleichzeitig können die straff strukturierten Unterrichtseinheiten mit den klaren Zielvorgaben die Kinder dabei unterstützen, das Lernen selbst zu lernen.
"Sich sozusagen am Anfang, bevor ich mich hinsetze und etwas erarbeite mich frage, was sind eigentlich meine Ziele, was möchte ich jetzt erreichen, was möchte ich machen? Sich das ganz konkret vorzunehmen und am Ende der Stunde zu gucken, wie hat das geklappt?"
Denn wie das geht, zu lernen, welche Strategien besonders geeignet sind, dafür gibt es bisher in den meisten Schulen noch kein verbindliches Konzept erklärt Viktoria Kramer, Mitarbeiterin am meRLe-Projekt:
"Lernstrategien sind im Kerncurriculum verankert, aber auf welche Weise dass dann im Unterricht vorgenommen wird, das ist nicht festgemacht und da haben wir die Rückmeldung erhalten, dass das für die Lehrkräfte schwierig ist das einzusetzen, weil es keine Vorgaben gibt dazu.
Wirkungen brauchen Zeit
Das Projekt meRLe läuft zurzeit in NRW und Hessen. Ausgewertet wird im Herbst dieses Jahres. Und wenn es die Erwartungen des DIPF bestätigt, soll es zum festen Bestandteil des Grundschulunterrichts werden. Aber Institutsleiter Marcus Hasselhorn bittet um Geduld."
"Um die Wirkung zu erzielen, die Sie ja auch berechtigterweise haben wollen, bedarf es eben mehr als des Atems von vier Jahren."