Irgendetwas scheint schiefzulaufen bei der Auswahl von Medizinstudierenden in Deutschland. Könnte man jedenfalls denken, wenn man diese beide Bewerberinnen hört, die beide sehr gern Ärztinnen werden möchten. Trotz guter Abitur-Noten müssen sie aber um einen Studienplatz bangen.
"Weil viele Unis einfach nur nach Durchschnitt gehen und sagen: Wir haben soundsoviel Plätze, wir füllen die einfach auf mit den Besten. Und die Besten sind eins null. Und ja, das ist schon, finde ich, nicht richtig, was da läuft."
"Der Schnitt sagt ja auch eigentlich nichts darüber aus, ob man hinterher ein guter Arzt ist oder nicht. Und deswegen finde ich es eben gut, nicht nur darauf zu achten, welche Noten man im Abi halt hatte."
Hamburger Verfahren als Vorbild
So sah es auch das Bundesverfassungsgericht, und so sieht es auch Professor Wolfgang Hampe. Er leitet das Mediziner-Auswahlverfahren an der Uniklinik Hamburg-Eppendorf. Hier werden die Bewerber schon seit ein paar Jahren nicht mehr nur nach Noten, sondern auch anhand von Interview- und Testergebnissen ausgesucht. Ob das als Vorbild für alle medizinischen Fakultäten in Deutschland dienen kann, soll jetzt im Rahmen des Forschungsprojekts überprüft werden. Der Brief an Wolfgang Hampes Bürowand scheint jedenfalls dafür zu sprechen: Darin bedankt sich ein junger Mediziner für das spezielle Auswahlverfahren in Hamburg, das ihm seinen Traum von Arztberuf erst ermöglicht habe. Wie viele solcher Dankesschreiben der Professor wohl täglich bekommt?
"Dankesschreiben bekommen wir nur sehr selten! Das ist von daher nicht so ganz die richtige Validierungsmethode."
Dass ein Test "valide" ist, also objektiv, gerecht, überprüfbar und hochwertig, das ist eines der wichtigsten Kriterien für die Forschungsgruppe bei der Entwicklung neuer Auswahlverfahren. So will es das Bundesverfassungsgericht. Denn, so Stefan Zimmermann von der AG "Auswahlverfahren" an der Hamburger Uniklinik.
"Aus der Sicht der Bewerber ist das mit Sicherheit im Moment intransparent. Und man muss sicherlich auch taktieren, dass man überlegt, wo man sich bewirbt mit dem bestimmten Profil und den bestimmten Kriterien, die man erfüllt. Ob man jetzt eine Berufsausbildung abgeschlossen hat oder nicht. Oder ob man jetzt bei "Jugend forscht" einen Preis gemacht hat. Man muss immer dann genau im Moment gucken, wo das honoriert wird, und das ist im Moment sehr intransparent."
Bisher kann jede Uni fast zwei Drittel ihrer Studienplätze nach eigenen Kriterien vergeben, also zum Beispiel nur nach Noten. Damit soll in Zukunft Schluss. Die Forscher suchen nach Lösungen, die für alle medizinischen Fakultäten in Deutschland gleichermaßen gelten können. Und dabei könnte das schon bestehende Auswahlverfahren in Hamburg eine wichtige Rolle spielen.
Auch das Verhalten wird bewertet
Hier kann man auch einen Studienplatz ergattern, wenn man in einem Naturwissenschaftstest gut abschneidet, dem sogenannten "HamNat". Und indem man zeigt, dass man auch in puncto Sozialverhalten etwas drauf hat. Dafür muss man sich in mehreren kurzen Mini-Interviews bewähren, in denen es zum Beispiel um Geduld und Einfühlungsvermögen geht. Am Anfang und Ende jeder Befragung ertönt eine Trillerpfeife.
Klingt gut. Und man bekommt schließlich auch Dankesbriefe dafür. Aber: Ist dieses Verfahren wirklich so gut, wie es das Verfassungsgericht fordert? Taugt es tatsächlich als bundesweites Vorbild? Durch die Mini-Interviews entstehen der Uni zum Beispiel einige hundert Euro an Kosten pro Bewerber, schätzt Wolfgang Hampe. Das könnte mancher Fakultät zu teuer sein. Auch deshalb gäbe es Forschungsbedarf.
"Das ist genau ein Ziel, dass wir jetzt mit diesem Studierendenauswahlverbund verfolgen, dass wir zum Einen die Verfahren zur Auswahl nach psychosozialer Kompetenz verbessern wollen und neue Verfahren entwickeln wollen. Zum Anderen aber auch einen großen Bereich haben, wo wir Messmethoden im Studium entwickeln möchten, die dazu dienen zu gucken: Ist ein Student gut im Umgang mit Patienten?"
Praktikumserfahrungen als Vergleichswert
Wie aber soll man so etwas messen? Schließlich gibt es keine Noten fürs Sozialverhalten. Eine mögliche Lösung: Die Studierenden machen ein Wochen-Praktikum bei einem Allgemeinmediziner, der sie anschließend in puncto Sozialkompetenz bewertet. Mirjana Knorr von der Hamburger AG "Auswahlverfahren":
"Und da haben wir jetzt in der ersten Studie gesehen, dass tatsächlich auch ein Zusammenhang da war zwischen der Leistung in unseren Mini-Interviews und in diesem Block-Praktikum. Also wir konnten eine Tendenz sehen, dass eben gerade die, die da sehr gut bewertet wurden in den Interviews auch sehr, sehr gute Bewertungen gekriegt haben in diesen Block-Praktika."
Und statt teurer Mini-Interviews könnte es in Zukunft schriftliche Prüfungen geben, sogenannte "Situational Jugdement Tests", in denen die Bewerber ihre Sozialkompetenz unter Beweis stellen können.
"Das Andere, was wir gerne entwickeln möchten in dem Verbund-Projekt ist ein neuer kognitiver Test. Also ein Test, der sicherlich in Richtung naturwissenschaftliche Kompetenzen, aber auch in Richtung andere kognitive Kompetenzen, Konzentrationsfähigkeit, Merkfähigkeit zum Beispiel, räumliches Vorstellungsvermögen mit hingeht. Der dann für ganz Deutschland für alle Fakultäten zur Verfügung steht."
Die neuen Auswahlverfahren für Medizinstudierende scheinen also auf einem guten Weg zu sein. Schon zum Sommersemester 2020 sollen sie einsatzbereit sein. Verbund-Leiter Wolfgang Hampe findet den Zeitplan "sportlich". Gut möglich, dass es deshalb erst einmal Übergangslösungen geben wird, die dann nach und nach weiterentwickelt werden.