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LABOR: Stagnierender Flynn-Effekt
Die Menschen werden dümmer

Die menschliche Intelligenz stagniert, neuesten Studien zufolge ist sie seit 1975 sogar rückläufig. Dass der Rückgang genetisch bedingt sein könnte, schließt die Forschung aus; aber die Ursachen sind unklar. Doch welche Fähigkeiten machen Intelligenz überhaupt aus - und wie wird sie gemessen?

Von Ulrike Mix |
    Computergrafik des menschlichen Gehirns von der Seite.
    Wissenschaftler haben bemerkt, dass der IQ der Menschen zu stagnieren beginnt - je nach Land zu einem anderen Zeitpunkt (imago / Science Photo Library)
    Wird die Menschheit immer dümmer? Junge Leute im Botanischen Garten von Tübingen scheinen sich darüber keine Sorgen zu machen. Die meisten lachen, was wohl deutlich machen soll, dass sie die Frage zumindest nicht als Problem wahrnehmen - auch wenn was Wahres dran sein könnte.
    "Derzeit würde ich eher sagen, dass die Menschheit ein bisschen dümmer wird, wenn man sich die Nachrichten anschaut."
    "Also wenn man in die USA guckt - die Anhängerschaft von Trump, die ja nicht wirklich kleiner wird. Ich weiß nicht, ob man das immer in Verbindung bringen kann mit diesem IQ."
    "Also ich bin jetzt ja an der Universität, deshalb kommt es mir so vor, als ob sie klüger werden - aber ich bin mir da auch nicht ganz sicher!"
    Schlussfolgerndes Denken als Vorteil
    In der Tat ist der Intelligenzquotient kein Richtwert dafür, wie sich Menschen verhalten und welche Entscheidungen sie treffen.
    Intelligenztests bewerten schlicht die Fähigkeit zum logischen Denken, erklärt die Psychologin Professor Elsbeth Stern von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich.
    "Intelligenz ist vorwiegend die Fähigkeit zum schlussfolgernden Denken und zur effizienten Informationsverarbeitung. Und man braucht sie vor allen Dingen dann, wenn man eben komplexe Aufgaben lösen muss. Und dann haben Menschen, die das effizienter können, die also besser aktuell mehr Information parallel halten können, die haben dann einen Vorteil."
    Um das logische Denken zu beurteilen, gibt es in Intelligenztests Fragen wie: 2,4,6,8 - was ist die nächste Zahl?
    In diesem sehr einfachen Beispiel: die 10.
    Oder: Wald verhält sich zu Bäumen wie Wiese zu Grün - Gräsern - Weite - Blumen?
    "Gräser - keine Ahnung - Gras - Ich hätt' jetzt spontan Blume gesagt."
    Richtig wäre: Gräser.
    Bildung trainiert das Gehirn
    Der durchschnittliche Intelligenzquotient ist in den entwickelten Ländern der westlichen Welt im 20. Jahrhundert stetig gestiegen. "Flynn Effekt" - nennt man das, nach dem Forscher, der das Phänomen als erster beschrieben hat, James Robert Flynn.
    Grund dafür war laut Elsbeth Stern vor allem die Bildung: Die Kinder gingen im Laufe des 20. Jahrhunderts immer länger in die Schule. Folglich wurde ihr Gehirn besser trainiert.
    "Also man entwickelt Intelligenz nur, wenn sie auch gefordert wird, wenn man anspruchsvolle Aufgaben bekommt. Dann lernt man besser schlussfolgerndes Denken, effizienter Informationen zu verarbeiten."
    Doch irgendwann war es vorbei mit der Intelligenz-Steigerung. Wissenschaftler bemerkten, dass der IQ zu stagnieren begann - je nach Land zu einem anderen Zeitpunkt.
    "In den westlichen Ländern haben sich die Umweltbedingungen so verbessert, die Medizin, die Schulbildung und auch außerschulische Lerngelegenheiten, dass die Menschen immer mehr Möglichkeiten hatten, die in ihren Genen vorgesehene Intelligenz auch zu entfalten. Und da hat man jetzt so den Höhepunkt erreicht."
    Es liegt nicht an den Genen
    Der Wirtschaftswissenschaftler Dr. Bernt Bratsberg und der Politikwissenschaftler Dr. Ole Rogeberg vom Frisch Centre in Oslo haben in ihrer Studie die Daten von über 800.000 norwegischen Männern verglichen, die in den Jahren zwischen 1962 und 1991 geboren wurden und im Rahmen ihrer Einberufung zum Militär einen normierten Intelligenztest machen mussten. Das Ergebnis: Der IQ stagnierte nicht nur. Ab dem Geburtsjahrgang 1975 ging er zurück.
    Das sei beunruhigend, findet Ole Rogeberg.
    "Die Ergebnisse, die Menschen bei einem Intelligenztest erzielen sind sehr wichtig. Denn in einer anderen Studie haben wir letztes Jahr herausgefunden: Menschen mit niedrigem IQ haben ein viermal höheres Risiko zu sterben als Menschen mit guten Ergebnissen."
    Weil die Intelligenz, die ein Mensch entfalten kann, durch seine Gene bestimmt wird, glaubten manche Wissenschaftler bisher, dass eine Stagnation oder ein Rückgang der Intelligenz ebenfalls auf Genmaterial zurückzuführen sein müsse. Es gab die These, dass gerade Menschen mit niedriger Intelligenz viele Kinder bekommen - und dass das langfristig zu einer Verringerung der Intelligenz geführt haben könnte.
    Diese These haben Bratsberg und Rogeberg jetzt widerlegt. Denn sie haben in ihrer Studie auch untersucht, wie Geschwister bei den Intelligenztests abgeschnitten haben. Also Menschen mit sehr ähnlichen Genen. Das Ergebnis: Auch bei Geschwistern ging in Norwegen der IQ ab dem Geburtsjahrgang 1975 runter.
    "Das bedeutet, dass nicht die Gene, sondern irgendein Umwelteinfluss die Intelligenz beeinflusst haben muss. Und zwar abhängig davon, in welchem Jahr die Kinder geboren wurden. Es geht nicht um Gene - sonst gäbe es keine Unterschiede zwischen Kindern, die die gleichen Eltern haben."
    Mögliche Einflüsse: Medienkonsum und Ernährung
    Veränderungen im Bildungssystem, erhöhter Medienkonsum, veränderte Ernährung - es gibt viele Faktoren, die den IQ beeinflussen können. Professor Elsbeth Stern von der ETH Zürich vermutet, dass die Bildung eine entscheidende Rolle spielen könnte. Doch was auch immer zu den schlechteren Ergebnissen geführt haben mag - es bestehe kein Grund zur Besorgnis.
    "Und man darf das auch nicht so dramatisieren. Die Veränderungen sind ja im wenige Punkte Bereich - also der Wendepunkt heißt nicht: Bis dahin sind alle schlauer geworden - und dann ging's bergab. Sondern es gab eben so leichte Veränderungen und die zeigen sich in dieser Stichprobe, in der norwegischen Stichprobe, besonders deutlich."