Elena Budimir gähnt. Sie schaut aus dem Fenster, draußen ist es noch dunkel; Viertel nach 7. Die Schülerin ist bereits in der U-Bahn - noch neun Haltestellen bis sie bei ihrer Schule ankommt:
"Sehr oft denke ich mir, wenn ich zum Beispiel in der ersten Stunde eine Arbeit schreibe, dass ich die lieber in der fünften Stunde schreiben würde, weil man kann sich nicht so gut konzentrieren, weil man müde ist."
10.000 Schülerinnen und Schüler befragt
Woher Konzentrationsschwächen bei Schülern ab der 5. Klasse kommen und wie sie sich bis zur Oberstufe entwickeln - das untersuchen Forscher am Frankfurter Zentrum für Demografischen Wandel. Sie befragen dazu bundesweit rund 10.000 Schüler über einen Zeitraum von fünf Jahren; das heißt, dieselben Schüler bekommen von der 5. Klasse an bis zur 10. immer den gleichen Fragebogen vorgelegt. Im Moment sind die untersuchten Schüler im Schnitt 14 Jahre alt. Federführend für die Studie ist Sven Stadtmüller.
"Das zentrale Ziel ist, das Gesundheitsverhalten der Schüler zu analysieren. Wir haben da mehrere Facetten: wie ernähren sich die Kinder, wie sportlich aktiv sind die Kinder. Wir fragen aber auch ganz konkret, wie die Kinder ihren Gesundheitszustand einschätzen, ob sie mentale Probleme haben, ob sie häufig Kopfschmerzen haben, ob sie Schwierigkeiten haben, sich zu konzentrieren und dann können die Kinder auf einer Skala mit insgesamt fünf Antwortmöglichkeiten angeben beispielsweise ‚nie’ oder ‚einmal in der Woche’."
"Ich wach erst in der zweiten Stunde richtig auf"
Der Forscher blättert durch den mehrseitigen Fragekatalog. Frage 22: Wie hast du dich gefühlt, als du heute Morgen aufgestanden bist? Frage 40: Wie lange brauchst du für deinen Schulweg? Frage 44: Welche Mathematiknote hattest Du im letzten Zeugnis? Frankfurter Schüler antworten:
"Ich wohne eine Stunde weit weg. Ich schlafe ziemlich wenig wegen dem Weg und ich bin halt den ganzen Tag sehr müde. / Wenn ich mit der Bahn fahren muss, muss ich morgens um 6 Uhr früh aufstehen und das ist meistens viel zu früh. / Die Überwindung ist halt, wenn man weiß, dass man einen relativ langen Weg hat, dann morgens aus dem Bett zu kommen. / Ich wach erst in der zweiten Stunde richtig auf, in der Ersten schlaf ich immer noch ein bisschen. / Ich muss erst mal zur Bushaltestelle und dann muss ich in die Bahn rein. / Danach ist man halt erschöpft, vielleicht kriegt man dann noch eine Mathearbeit zurück und dann hat man halt nicht so eine gute Note."
Im Schnitt, so haben die Frankfurter Forscher ermittelt, sind Kinder von zu Hause bis zur Schule eine knappe halbe Stunde unterwegs. Es gibt aber große Unterschiede: 15 Prozent der Befragten brauchen jedoch mehr als 45 Minuten, 14 Prozent hingegen brauchen weniger als 10 Minuten. Sven Stadtmüller:
"Wenn wir uns diese beiden Gruppen anschauen - die einen mit einem sehr sehr kurzen, die anderen mit einem sehr sehr langen Schulweg - dann erkennen wir, dass sich diese beiden Gruppen sehr stark unterscheiden, wenn es darum geht, wie häufig die Kinder beispielsweise berichten, unter Konzentrationsstörungen zu leiden. Da erkennen wir immer durchgehend dass Kinder, die einen längeren Schulweg haben insgesamt in ihrem gesundheitlichen Wohlbefinden beeinträchtigter sind. Wobei man hier immer in Rechnung stellen muss, dass es nicht die Dauer des Schulwegs allein ist, der diese negativen Konsequenzen hervorruft, sondern tatsächlich der damit verbundene Schlaf.
Aus chronobiologischer Sicht später beginnen
Laut der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin, kurz DGSM, braucht man im Alter von 14 Jahren neun Stunden Schlaf. Doch gerade während der Pubertät verändere sich der Schlafrhythmus: Melatonin, das Schlafhormon, wird bei Pubertierenden erst später am Tag ausgeschüttet, so dass sie gegen 22 Uhr oft noch nicht müde sind, sagt Alfred Wiater, Direktor der DGSM:
"Aus chronobiologischer Sicht ist es ratsam, dass die Schule gerade für Jugendliche später beginnt. Denn die Leistungsfähigkeit ist in den ersten Stunden noch nicht in vollem Umfang gegeben- das würde sich dann auch bei den Noten für Klassenarbeiten niederschlagen. Zum Beispiel gibt es eine Studie, dass eine halbe Stunde mehr Schlaf bereits dazu führt, dass man ein Drittel weniger Fehler macht."
Die Sechstklässlerin Romy Musau nimmt ihre Kopfhörer ab. Sie meint, sie habe nicht nur zu wenig Schlaf, sondern auch zu viel Stress morgens in der Bahn. Mit Musik versucht sie dem zu entgehen: "Manchmal sind in der Bahn auch ziemlich viele Leute und dann schreien manche auch so herum und dann tut der Kopf schon ein bisschen weh."
Gute Gesundheitsbiographie wichtig
Gegen Müdigkeit und Stress rät der Schlafforscher Wiater: möglichst viel an die frische Luft und tagsüber das natürliche blaue Licht tanken. Dem blauen Licht der Handy- und Laptop-Displays hingegen sollten sich Schüler ab 20 Uhr nicht mehr aussetzen. Außerdem plädieren viele Chronobiologen für einen Unterrichtsbeginn ab 9 Uhr, wie er auch in anderen EU-Ländern üblich ist, zum Beispiel in Frankreich oder England. Mit Blick auf den demographischen Wandel hält das auch der Sozialforscher Sven Stadtmüller für eine Lösung:
"Wenn die Babyboomer in den Ruhestand gehen, dass diejenigen Kinder und Jugendliche, die dann nachkommen, dass es bei denen eben besonders wichtig ist, dass sie nicht nur mit einer guten Bildungsbiographie aufwachsen, sondern eben auch mit einer guten Gesundheitsbiographie."
Noch zwei Jahre läuft die Studie. Dann wird sich zeigen, wie sich auch bei 15- und 16-jährigen Schülern ein langer Schulweg in den Noten wiederfindet.