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Labour-Politiker zu Brexit-Abstimmung
Bradshaw: "Haben überhaupt kein Vertrauen in Boris Johnson"

Der Labour-Abgeordnete Ben Bradshaw wird im Parlament gegen das neue Brexit-Abkommen stimmen. So könne man zeitnah eine neue Volksabstimmung über den EU-Austritt erreichen, sagte Bradshaw im Dlf. Vom Rest seiner Partei forderte er das auch - ansonsten könne das Ende ihrer politischen Karriere drohen.

Ben Bradshaw im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
Blick ins britische Unterhaus. Die Abgeordneten sitzen in den grünledernen Bänken, während Premierminister Boris Johnson eine Rede hält.
Am Samstag wird das Unterhaus in London über den von Premierminister Boris Johnson ausgehandelten Austrittsvertrag abstimmen (Imago / Xinhua)
Dirk-Oliver Heckmann: Es war eine Sensation, als die Nachrichtenagenturen gestern meldeten, es gibt einen Durchbruch bei den Brexit-Verhandlungen. Beide Seiten, die EU auf der einen und die Unterhändler der Briten auf der anderen Seite, haben sich auf einen neuen Deal geeinigt. Der sieht vor, dass der auf der Insel verhasste Backstop nicht mehr nötig ist. Es soll auch keine Grenze, keine Grenzkontrollen zwischen Irland und Nordirland geben. Stattdessen sollen die Kontrollen zwischen Nordirland und dem Vereinigten Königreich stattfinden. Allerdings ist völlig offen, ob es dazu morgen eine Mehrheit im Unterhaus gibt. Die DUP, die nordirische Partei, die Boris Johnson eigentlich stützt, und Labour haben bereits gesagt: Nein, wir können nicht zustimmen.
Darüber können wir jetzt sprechen mit Ben Bradshaw. Er ist Unterhaus-Abgeordneter der Labour Party. Schönen guten Morgen, Herr Bradshaw!
Ben Bradshaw: Guten Morgen, Herr Heckmann.
Heckmann: Herr Bradshaw, Labour war ja immer gegen einen No-Deal-Brexit. Jetzt haben Sie die Möglichkeit, einem Vertrag zuzustimmen. Tun Sie es?
Bradshaw: Nein, weil dieser Vertrag ist wesentlich schlechter als die Vereinbarung von Theresa May – aus mehr als zwei Gründen. Aber die zwei Hauptgründe sind, wie Sie gerade erwähnt haben, dass eine neue Grenze zwischen Großbritannien und Nordirland entstehen wird – etwas, was Boris Johnson vor ein paar Monaten gesagt hat, wozu ein britischer Premierminister nie zustimmen könnte. Aber zweitens und für uns viel wichtiger ist, dass diese Vereinbarung viel schlechter ist für unsere Wirtschaft, weil er eine viel entferntere Beziehung hat zwischen England, Wales und Schottland und Europa, und wie Sie wissen ist Europa unser Hauptmarkt, und das wird sehr schlecht für unsere Wirtschaft sein. Deshalb wird Labour dagegen wählen.
Das Foto zeigt den britischen Journalisten und Labour-Politiker Ben Bradshaw.
Der Journalist und Labour-Politiker Ben Bradshaw hat kein Vertrauen in Premierminister Boris Johnson (dpa / picture alliance / empics / PA Wire / Laura Lean)
Heckmann: Aber Boris Johnson hat ja bereits zugesagt in dieser politischen Erklärung, die ja beigefügt ist, dass ein Dumping beispielsweise bei Löhnen, bei den Standards nicht stattfinden wird.
Bradshaw: Ja. Aber das Problem ist: Alle diese Versprechungen sind aus dem eigentlichen Vertrag ausgenommen und in dieser zukünftigen politischen Deklaration gemacht. Wir haben, wie Sie, glaube ich, verstehen, überhaupt kein Vertrauen in diesen Premierminister, dass er solche Versprechungen hält, und deshalb werden viele Labour-Abgeordnete, die vielleicht vorher für eine Vereinbarung wählen würden, wenn es in dem Vertrag war, im Gesetz war, jetzt mit dieser einfachen Versprechung von diesem Premierminister, der nicht zu vertrauen ist, nicht für diesen Vertrag wählen werden.
Johnson muss Labour-Abgeordnete überzeugen
Heckmann: Trotzdem ist der sogenannte Backstop, der ja für viele ein Stein des Anstoßes gewesen ist, herausverhandelt. Auf der anderen Seite hat Boris Johnson auch noch mitbekommen, dass das nordirische Parlament alle paar Jahre darüber abstimmen kann, ob es bei der jetzt gefundenen Regelung bleibt oder nicht. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn, der hat heute Früh im Deutschlandfunk gesagt, er hält es für unwahrscheinlich, dass in Zukunft Nordirland sagen wird, nein, das soll beendet werden, wir wollen lieber eine feste Grenze, weil man dort auch gegen eine feste Grenze ist. Sind Sie auch dieser Meinung?
Bradshaw: Ja, ich bin auch der Meinung. Eigentlich war der Backstop für Labour nie ein Problem. Das war für die Unionisten, für die extremen Protestanten in Nordirland, für die DUP und auch für einige Konservative ein Problem. Für uns war das nicht ein Problem. Aber wie Sie gesehen haben, hat diese Lösung von Boris Johnson jetzt die Stimmen von der DUP verloren, und das heißt, dass er eigentlich wahrscheinlich keine Mehrheit haben wird am Samstag. Er kriegt nur eine Mehrheit, wenn er einige Labour-Abgeordnete überzeugt, für diese Vereinbarung zu wählen. Das wird für sie sehr hart sein, weil wenn sie das machen, wird das das Ende ihrer politischen Karriere sein.
Heckmann: Das ist schon klar. Dieses Signal wurde gestern bei dem Treffen der Labour-Abgeordneten schon gegeben. Auch an Sie, falls Sie überlegt hätten, mit Ja zu stimmen, dass Sie dann Ihre Zukunft vergessen können.
Bradshaw: Ja, weil das eine so große Entscheidung ist für unser Land und für unsere Partei, und wir hätten lieber, dass wir eine Vereinbarung haben, vielleicht eine Vereinbarung, die ganz, ganz anders ist als der Brexit, der vor drei Jahren den Wählern in unserer Volksabstimmung versprochen wurde. Wir würden dann lieber zurück zur Bevölkerung gehen und sie fragen: Jetzt wo sie wissen, wie Brexit aussieht, wollen sie das immer noch. Unser Ziel ist, gegen den Vertrag morgen zu wählen, und dann, wenn Boris Johnson diese Abstimmung verliert, nächste Woche für eine Volksabstimmung zu wählen. Wenn das passiert, glauben wir, dass wir nächste Woche eine Mehrheit im Unterhaus für eine neue Volksabstimmung haben werden.
"Wir wollen zuerst eine neue Volksabstimmung"
Heckmann: Das sehen die Konservativen anders. Es wird keine Mehrheit geben, wird da argumentiert, und dann gibt es stattdessen Neuwahlen. Das Ziel auch von Labour scheint klar laut britischer Beobachter, nämlich die Macht zu übernehmen. Nehmen Sie einen harten Brexit ohne Vertrag in Kauf für Ihr Machtspiel?
Bradshaw: Das wird nicht passieren, weil das schon illegal ist. Wir haben ein Gesetz durchgeführt, was Boris Johnson daran hindert, einen Brexit ohne eine Vereinbarung Ende Oktober zu erzielen. Wir wollen auch nicht Neuwahlen; wir wollen zuerst eine neue Volksabstimmung. Wir können Neuwahlen nach einer Volksabstimmung haben. Neuwahlen sind keine Lösung, uns aus der Brexit-Krise zu nehmen, weil es könnte sein, dass wir immer noch keine Mehrheit im Parlament haben. Viel besser ist zurück zum Volk. Das ist demokratisch. Jetzt, dreieinhalb Jahre nach der ersten Volksabstimmung, die Bevölkerung zu fragen, wollen sie diesen Brexit jetzt, wo sie sehen, wie er aussieht, das ist der demokratische Weg und das ist der Weg, was Labour und alle anderen oppositionellen Parteien und genug Konservative jetzt betreiben werden, und ich glaube, wir werden nächste Woche, wenn Boris Johnson morgen verliert, eine Mehrheit für eine Volksabstimmung haben.
Heckmann: Wenn morgen Boris Johnson diese Mehrheit für den Brexit-Vertrag nicht bekommt, was wird dann kommen? Was erwarten Sie jetzt konkret an nächsten Schritten?
Bradshaw: Im nächsten Schritt werden wir nächste Woche eine Abstimmung haben im Parlament, ob wir eine Volksabstimmung haben oder nicht.
"Mehrheit der Bevölkerung in Großbritannien will jetzt in der EU bleiben"
Heckmann: Wird Boris Johnson zunächst vorher eine Verlängerung beantragen? Das hat er ja immer ausgeschlossen.
Bradshaw: Ja, er muss das machen. Das ist unser Gesetz. Er hat keine Alternative und er hat eigentlich in den letzten paar Tagen gesagt, dass er das machen würde. Wenn es irgendwelche Tricks gibt bei ihm, dann können wir auch in extremer Weise ein Misstrauensvotum im Parlament haben und ihn durch einen neuen Regierungschef ersetzen. Es gibt ziemlich viele Dinge, die wir machen können, um einen No-Deal-Brexit zu verhindern. Wir haben nicht nur das Gesetz; wir haben auch eine große Mehrheit im Parlament, die dagegen ist.
Heckmann: Herr Bradshaw, wenn Labour jetzt wie angekündigt Nein sagt morgen bei der Abstimmung, dann können die Tories Sie aber als Blockierer eines Brexit hinstellen bei Neuwahlen, die ja irgendwann stattfinden werden. Ist das nicht ein hohes Risiko, das Sie eingehen?
Bradshaw: Das ist ein Risiko. Aber die Mehrheit der Bevölkerung in Großbritannien will jetzt in der EU bleiben. Alle Meinungsumfragen zeigen das. Alle Meinungsumfragen zeigen, dass eine noch größere Mehrheit für eine neue Volksabstimmung ist, um diese Sache zu entscheiden, und nicht dafür ist, dass es nur von Abgeordneten im Parlament entschieden wird. Auch Leute, die 2016 für den Brexit gewählt haben, glauben, dass es richtig wäre, demokratisch diese Frage zurück zu der Bevölkerung zu geben.
Heckmann: Sind Sie enttäuscht von der Europäischen Union, dass man Boris Johnson doch bei entscheidenden Punkten entgegengekommen ist?
Bradshaw: Nein! Ich glaube, dass die Europäische Union genau das Richtige gemacht hat, und es ist jetzt richtig, was bei uns im Parlament passiert. Und ich bin auch zuversichtlich, wenn Boris Johnson morgen verliert bei dieser Abstimmung, dass die Europäische Union uns die Verlängerung doch gibt, die wir brauchen, um dann entweder Neuwahlen oder wahrscheinlicher Weise eine neue Volksabstimmung durchzuführen. Im Endeffekt wäre es für die Europäische Union lieber, wenn wir überhaupt nicht aus der EU austreten würden.
"Jeremy Corbyn hat gute Arbeit geleistet in den letzten Wochen"
Heckmann: Herr Bradshaw, wie zufrieden sind Sie denn mit der Führung durch Jeremy Corbyn? Erst pro Brexit, dann dagegen, gegen ein zweites Referendum, dann dafür. Bei Corbyn wissen viele nicht, was sie bekommen. Ist das nicht ein riesen Problem?
Bradshaw: Taktisch ist Jeremy Corbyn in den letzten Wochen und Monaten eigentlich sehr gut gewesen. Wir haben mehrmals jetzt einen Tory-Brexit verhindert. Wir haben jetzt mehrmals für eine neue Volksabstimmung gewählt. Das ist jetzt unsere Position und das ist die Position, die die Partei und unsere Wähler und die Mehrheit im Land wollen. Und wir haben auch dieses Gesetz durchgeführt, was Boris Johnson hindert, Ende Oktober ohne eine Vereinbarung aus der EU rauszufallen. Eigentlich haben wir das alles gemacht, ohne eine Mehrheit selber im Parlament, gut und positiv mit anderen Parteien und mit den moderaten Konservativen gearbeitet, um diese Erfolge zu erzielen. Eigentlich hat er eine gute Arbeit geleistet in den letzten Wochen.
Heckmann: Noch mal zum Abschluss gefragt mit Blick auf die Abstimmung morgen. Müssen Ihre Kolleginnen und Kollegen der Labour Party im Unterhaus mit dem Ausschluss aus der Fraktion rechnen, wenn sie doch für den Deal stimmen sollten?
Bradshaw: Das weiß ich nicht. Das ist nicht meine Entscheidung. Das wird eine Entscheidung für Jeremy Corbyn. Aber ich hoffe das. Wenn wir eine Parteidisziplin haben, dann soll diese Disziplin echt sein und hart.
Heckmann: War das Thema gestern bei dem Treffen der Labour-Abgeordneten?
Bradshaw: Ich war nicht dabei.
Boris Johnson wird viel Geld für Überzeugung versprechen
Heckmann: Aber Sie sind bestimmt gut informiert.
Bradshaw: Ja. Ich glaube nicht, dass diese Sache noch entschieden ist. Aber diese Labour-Abgeordneten werden unter viel Druck kommen von beiden Seiten. Von Boris Johnson wird wahrscheinlich in den nächsten 24 Stunden viel Geld für ihre Wahlkreise versprochen, um zu versuchen, sie zu überzeugen. Auf der anderen Seite werden meine Labour-Kollegen und ich versuchen, sie zu überzeugen, nicht mit Boris Johnson zu wählen. Der Unterschied zwischen ein und zwei Stimmen könnte morgen entweder gewinnen oder verlieren. Es wird eine sehr, sehr enge Sache und es ist überhaupt nicht möglich vorauszusehen, wie es geht. Ich bin ein bisschen zuversichtlich, dass wir gewinnen, aber ich könnte nicht hundertprozentig sicher sein.
Heckmann: Ist Ihnen denn schon von konservativer Seite aus ein Angebot gemacht worden? Beziehungsweise wie würden Sie reagieren, wenn das Telefon bei Ihnen klingelt?
Bradshaw: Nein. Mein Wahlkreis hat für das bleiben in der EU gewählt. Meine Stadt Exeter ist wirtschaftlich stark, trotz des Schadens, den der Brexit schon eingeleitet hat, und ich bin immer aus Prinzip ein Remainer gewesen. Ich werde immer glauben, auch was morgen passiert, dass unsere Zukunft auf dieser Insel viel besser mit dem Kontinent zu verbinden ist, und auch wenn wir austreten, dass wir irgendwie in den nächsten zehn oder 20 Jahren wieder eintreten werden.
Heckmann: Das heißt, Sie haben die Hoffnung, dass der Brexit wieder rückgängig gemacht werden kann?
Bradshaw: Oh, absolut! Das war immer meine Hoffnung. Ich habe auch immer gedacht, dass wir 2016 die Volksabstimmung verlieren würden, weil die Wähler aus vielen anderen Gründen eigentlich für das Austreten gewählt haben. Das hat überhaupt nichts mit der EU zu tun, sondern weil sie unzufrieden waren mit der konservativen Regierung oder unzufrieden mit der Ungleichheit in unserem Land. Aber wenn das britische Volk die Wirklichkeit von dem Brexit sieht, was sie jetzt sehen, würden sie ihre Meinung ändern. Das ist jetzt passiert, wenn man die Meinungsumfragen ansieht, aber wir müssen ihnen die Möglichkeit geben, ihre Meinung wieder zu äußern und entweder für diese Vereinbarung mit Ja zu stimmen oder mit Nein zu stimmen, damit wir in der EU bleiben können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.