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Lächelndes Pathos mit Aufforderungscharakter

Wo immer man sich in den letzten Tagen umhörte, der Deutsche Pavillon zählte nie zu den Favoriten auf den Goldenen Löwen. Gestaltet wurde dieser vom verstorbenen Künstler Christoph Schlingensief.

Von Carsten Probst |
    Wo immer man sich in den letzten Tagen umhörte, der Deutsche Pavillon zählte nie zu den Favoriten auf den Goldenen Löwen. Genannt wurden der Englische Pavillon mit Mike Nelsons beeindruckender begehbarer Installation in Form einer typischen lichtlosen Wohnhöhle aus den Armenvierteln des Nahen Ostens; genannt wurde gleich danach Yael Bartanas politisch und ästhetisch auf vielen Ebenen brisante Bespielung des polnischen Pavillons mit einer Filmtrilogie über die Rückkehr des Judentums nach Polen; genannt wurden auch der Russische Pavillon mit seiner Aufarbeitung des Gulag und mit einigem Abstand sogar auch der Griechische Pavillon, der als ehrliche Abrechnung mit dem Zustand des Landes verstanden wurde: die heroische Fassade hinter einem Bretterverschlag verschwunden, das Innere geflutet und nur über einen schmalen Steg begehbar. Sogar der Ägyptische Pavillon wurde in Betracht gezogen wegen seiner symbolischen Ausstrahlung, da dort an einen Künstler erinnert wurde, der bei den Unruhen auf dem Kairoer Tahrir-Platz ums Leben gekommen war, erschossen von Tschetniks des Mubarak-Regimes.

    Zwar wird auch im Deutschen Pavillon an einen jüngst verstorbenen Künstler erinnert, aber Christoph Schlingensief starb bekanntlich nicht auf einer der Barrikaden der momentanen Weltenwicklung. Wer die "Kirche der Angst vor dem fremden in mir" im Hauptraum des Pavillons betritt, erlebt keine Darstellung von Opfern für die Demokratisierung, wie Ai Weiwei es ist, sondern eine ironische, aber dennoch auch höchst pathosbeladene Selbststilisierung des Künstlers als Gekreuzigten.

    Man kann Susanne Gaensheimer, der Kuratorin, und ihrem Team bescheinigen, dass sie die feine Selbstdistanzierung Schlingensiefs vom Künstlertum und der Wahrnehmung von Kunst heute mit der Umsetzung des Pavillons bewahrt hat. Es gab einige heftige Verrisse über dieses Mausoleum mit Wagnerklängen mitten im von den Nazis überarbeiteten Pavillonbau. Es gab aber auch andere, und ich selbst gehöre zu ihnen, die sagten: Nach allem, was sie vorab gehört hätten, hätten sie Schlimmeres vermutet.

    Diese Gruppe kam zu dem Schluss, dass alles in allem der Deutsche Pavillon ganz gut gelungen ist, besser sogar als viele andere, etwa der amerikanische oder der französische. Nun muss ich mich also selber fragen: Liegt es daran, dass ich Deutscher bin, dass ich trotzdem dachte, der Polnische oder Britische Pavillon seien relevanter und stärker. Ist es mein eingebauter Selbsthass, vielleicht die dereinst von Martin Walser beschworene, eingebaute Auschwitz-Keule, die meinen deutschen Blick auf deutsche Leitungen trübt und sie am Ende schlechter macht als sie ist. Fliegen nur deshalb einer Israelin wie Yael Bartana, die gegen alle antisemitischen Widerstände den polnischen Pavillon bespielt, meine Sympathien zu? Ich glaube nicht.

    Die Biennalen-Jury liebt das Spiel mit den Erwartungen. Das gekonnte, lächelnde Pathos des Deutschen Pavillons wird manche beeindruckt haben, die finden, davon gäbe es in der Kunst generell heute zu wenig. Vielleicht sehen manche Juroren bei Schlingensief auch so etwas wie eine Zusammenfassung der Biennale-Themen: Der politischen Konflikte um Erinnerung und Vergangenheit, um die richtige Gesellschaftsform, um Utopien und die ideale Weltgemeinschaft. Die Kirche der Angst vor dem Fremden in mir ist dann wie eine symbolische Aufforderung an den Westen, diese Angst zu überwinden und sich dem Wandel, der überall geschieht, zu stellen.