Archiv


Länderfinanzausgleich ist "ein Gebot der Solidarität"

Der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) kritisiert die geplante Klage von Bayern und Hessen gegen den Länderfinanzausgleich. Er hält die Maßnahme für ein Wahlkampfmanöver. Er sieht jedoch auch Korrekturbedarf.

Norbert Walter-Borjans im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Wir zahlen einfach zu viel, viel zu viel, das sagen die Geberländer, nämlich Milliarden, vor allem eben Bayern und Hessen. Auch Baden-Württemberg sagt dies, meint dies auch, aber sieht zunächst einmal davon ab zu klagen gegen den seit Jahrzehnten umstrittenen Länderfinanzausgleich. So wollen München und Wiesbaden nun in die juristische Offensive gehen, eine gemeinsame Kabinettssitzung der beiden Landesregierungen soll das alles nun in die Wege leiten. Jetzt haben wir Nordrhein-Westfalens Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) am Telefon. Guten Morgen!

    Norbert Walter-Borjans: Ja guten Morgen!

    Müller: Herr Borjans, jetzt haben wir den Vorbericht nicht gemeinsam hören können. Horst Seehofer hat gesagt, das ganze System ist völlig bescheuert. Wie bescheuert ist das ganze?

    Walter-Borjans: Das wundert mich deshalb, weil dieses System ist die Folge einer Klage unter anderem des Freistaates Bayern und Hessen seinerzeit von 1999, mit dem ein neuer Vertrag dann ausgehandelt werden musste. Also ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts liegt dem zugrunde, damals für 15 Jahre ein neuer Vertrag ausgehandelt, von Bayern für gut gehalten, ausgelöst von Bayern, mitverhandelt von Bayern. Und nach acht Jahren dieser 15 Jahre Laufzeit, zufällig vor einer Landtagswahl, ist dieses System bescheuert. Da fragt man sich doch, wie kann das sein.

    Müller: Horst Seehofer hat ja schon viele politische Positionen der CSU auch in eine andere Richtung gedreht. Aber reden wir einmal von dieser Seite aus zu Gunsten Bayerns. Die Bayern müssen fast vier Milliarden Euro einzahlen. Sie, Nordrhein-Westfalen, das stärkste, größte Bundesland in Deutschland, bekommt 400 Millionen, wenn wir das richtig gelesen haben. Haben Sie da ein schlechtes Gewissen, sich aushalten zu lassen?

    Walter-Borjans: Das habe ich deshalb nicht, weil es nur die halbe Miete ist. Denn auch das ist damals verhandelt worden, dass dieser Länderfinanzausgleich aus zwei Teilen besteht. Er besteht zum einen aus dem Umsatzsteuer-Vorausgleich, das ist die erste Stufe. In diesen Vorausgleich zahlt Nordrhein-Westfalen zweieinhalb Milliarden. Und dann gibt es sozusagen mit der zweiten Stufe eine Spitzabrechnung, bei der dann festgestellt wird, wir haben 400 Millionen zu viel bezahlt, die bekommen wir wieder zurück und sind dann Nehmerland. Also unter dem Strich gehört Nordrhein-Westfalen zu den kräftigen großen Zahlerländern mit zwei Milliarden Netto pro Jahr. Also von Aushalten ist da keine Spur. Wir sagen aber auch, das ist ein Gebot der Solidarität. Die Bundesrepublik ist stark geworden, weil sie ausgeglichene Wirtschaftsräume hat, weil sie nicht wie andere Staaten, Frankreich, Spanien, ein, zwei Wirtschaftszentren hat und der Rest darbt. Und das ist ein Punkt, der uns, glaube ich, allen genutzt hat, und das ist ja auch die Grundlage dafür gewesen, dieses Finanzausgleichsgesetz damals, 1999, dann fortzusetzen und ab 2005 den neuen Vertrag bis 2020 laufen zu lassen.

    Müller: Herr Walter-Borjans, ich möchte da noch mal nachfragen, damit da Klarheit besteht, ohne jetzt finanztechnisch zu sehr in die Details zu gehen. Wir haben jetzt deutlich nachgelesen: Nordrhein-Westfalen ist dieses Jahr – das war mal anders – ein klares Nehmerland mit 400 Millionen.

    Walter-Borjans: Nur im zweiten Teil!

    Müller: Im zweiten Teil. Das heißt, unter dem Strich zahlt NRW zwei Milliarden ein?

    Walter-Borjans: Zwei Milliarden jedes Jahr.

    Müller: Also sind Sie ein Geberland?

    Walter-Borjans: In diesem gesamten Ausgleich zwischen den Ländern sind wir ein Geberland.

    Müller: Und Sie wollen auch ein Geberland bleiben und finden das auch in Ordnung gegenüber denjenigen wie zum Beispiel Bremen oder Berlin, die nicht so richtig buchstabieren können, was es heißt, vernünftig zu wirtschaften?

    Walter-Borjans: Das hat ja gar nichts miteinander zu tun. Das wird ja jetzt in dieser Wahlkampfauseinandersetzung auch miteinander verknüpft. Es geht ja lediglich um den Ausgleich der Finanzkraft, weil die Länder unterschiedliche Chancen und Möglichkeiten haben. Dass Frankfurt Bankenstandort ist, ist kein Ergebnis guter hessischer Landespolitik, sondern das ist, wie jeder weiß, anders zu Stande gekommen, und Sie wissen, dass in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern keine Landesregierung eine Chance hätte, einen Bankenstandort zu bauen. Dass Nordrhein-Westfalen einen großen Strukturwandel durch Kohle und Stahl hatte, das hat nichts zu tun mit einer guten oder schlechten Landespolitik in Bayern oder in Nordrhein-Westfalen, sondern das hat was mit der Wirtschaftsstruktur zu tun. Ich glaube, der Strukturwandel ist sehr gut vonstatten gegangen.

    Müller: Damit ist jede Regierung unschuldig für das, was sie einfährt?

    Walter-Borjans: Sie ist zunächst mal unschuldig für ihre Einnahmen, weil die Situation ist ja nicht eine Folge kurzfristiger Landespolitik, ob sie Unternehmen und Menschen haben, die hohe Steuern bezahlen, sondern es geht darum – das ist doch aber auch das Gebot des Grundgesetzes -, dass wir sagen, es soll ein Ausgleich erzielt werden. Ob das Verfahren so, wie wir das haben, optimal ist, darüber lässt sich streiten. Wie gesagt, es ist 1999 vom Bundesverfassungsgericht erfordert worden, 2001 abgeschlossen worden, gilt von 2005 bis 2020. Wir alle sagen, 2020 brauchen wir was neues, wir müssen darüber nachdenken, wo es Ungleichgewichte gibt, wir glauben in Nordrhein-Westfalen auch, dass manches an Bundesprogrammen zum Beispiel nicht so stark wie der Finanzausgleich in den Osten Deutschlands laufen die Bundesprogramme in den Süden Deutschlands, auch das sind Dinge, die natürlich dann mit auf den Tisch müssen. Also das sind alles Dinge, die müssen justiert werden, das ist keine Frage. Nur das macht man nach einem abgeschlossenen Vertrag, der noch sieben Jahre Laufzeit hat, nicht mit dem Verfassungsgericht, sondern da setzt man sich, so wie die Ministerpräsidenten mit Horst Seehofer und mit Herrn Bouffier beschlossen haben, zusammen, gibt den Finanzministern einen Auftrag, den haben sie, eine Bestandsaufnahme zu machen und ein neues System für 2020 folgende auszuhandeln.

    Müller: Ich muss noch mal kurz reingehen. Wir haben nicht mehr viel Zeit, weil wir so spät angefangen haben. Also bis 2019 läuft die ganze Geschichte. Sie sagen, okay, da ist einiges im Argen, wir müssen neu darüber reden, aber nicht bis dahin. Das heißt, wir müssen jetzt noch sieben Jahre ungerechte Länderfinanzausgleichspolitik ertragen?

    Walter-Borjans: Ja, aber ungerecht - wir haben einen Vertrag, der läuft seit 2005 15 Jahre. Noch mal: von Bayern und Hessen angestoßen. Das ist ja schön, wenn man - Auch wir sagen, ja, es gibt einen Bedarf, einen Korrekturbedarf. Über den kann man ja nachdenken, wenn man beispielsweise über die Ströme der Bundesprogramme redet, die es ja auch gibt, die nicht gebunden sind bis 2020. Aber wenn man jetzt mitten in die Laufzeit eines Vertrages hineingeht und sagt, an den will ich mich nicht mehr halten, den habe ich zwar abgeschlossen, aber der ist mir jetzt zu ungünstig, wie viel Vertrauen soll denn dann in den Folgevertrag bestehen, den wir anschließend abschließen und der ja auch wieder eine lange Laufzeit haben soll.

    Müller: Herr Minister, die Musik ertönt, wir müssen zum Ende kommen. Ich danke ganz herzlich, dass das noch geklappt hat. Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Nordrhein-Westfalens Finanzminister Norbert Walter-Borjans. Danke, Ihnen einen schönen Tag.

    Walter-Borjans: Ich bedanke mich ebenfalls.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.