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Länderspiel-Absage
Betretene Gesichter und Rechtfertigungen

Eigentlich sollte das Länderspiel in Hannover zu einem Symbol der Solidarität auch mit den vom Terror schwer gezeichneten französischen Nachbarn werden. Doch kurz nach 19 Uhr forderte die Polizei die Zuschauer zur Umkehr auf. Heute bitten viele Politiker um Verständnis für die Entscheidung.

Von Alexander Budde |
    Bundesinnenminister de Maizière erläutert die Gründe für die Absage des Länderspiels
    Bundesinnenminister de Maizière erläutert die Gründe für die Absage des Länderspiels (dpa/picture alliance/Ole Spata)
    Betretene Gesichter am Tag nach der Absage: Auf einer Pressekonferenz in Hannover verteidigt Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil von der SPD die ursprüngliche Entscheidung, das Länderspiel ungeachtet der Pariser Terrorakte stattfinden zu lassen. Sie sollte nämlich ein Zeichen aussenden, die Freundschaftspartie der DFB-Elf gegen die Niederlande. Das Länderspiel sollte stattfinden, so hatte es der DFB nach einigem Zögern entschieden – und zum Symbol der Hoffnung werden, zu einem Bekenntnis zur Freiheit und Toleranz: Stephan Weil:
    "Das allgemeine Risiko, dass weltweite Konflikte und ein inzwischen international agierender Terrorismus mit sich bringt, dieses allgemeine Risiko darf nicht dazu führen, dass wir unser Leben eingrenzen!"
    Er glaube, dass die Ereignisse des gestrigen Abends vielen Bürgern unter die Haut gegangen seien, so Weil. Die Sicherheitslage im Lande sei aber stabil. Ausdrücklich lobt der Ministerpräsident den professionellen Einsatz der Polizeikräfte, auch die Zuschauer, die mit vorbildlicher Gelassenheit auf die Absage reagiert hätten:
    "Wenn es konkrete Hinweise gibt, wenn es ein konkret beschreibbares Risiko gibt, dann muss der Schutz von Menschenleben Vorrang haben. Wir müssen uns nur einmal eine Sekunde lang fragen, wie wir denn heute die Lage einschätzen würden, wenn gestern beispielsweise ein Terroranschlag stattgefunden hätte!"
    Die Entscheidung, das Spiel abzusagen und das Stadion zu räumen, traf Bundesinnenminister Thomas de Maizière in Absprache mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, mit den Sicherheitsdiensten sowie im direkten Zusammenwirken mit seinem niedersächsischen Ressortkollegen. Boris Pistorius spricht von einer bitteren Entscheidung, die allen Verantwortlichen sehr schwergefallen sei. Sie sei aber auch ohne Alternativen gewesen, denn im Laufe des Abends hätten sich die Hinweise auf einen unmittelbar im Stadion drohenden Terroranschlag immer mehr verdichtet. Festnahmen oder Sprengstofffunde habe es keine gegeben.
    Entscheidung war wohlbegründet
    Pistorius warb bei der Pressekonferenz um Verständnis und Vertrauen, dass die Entscheidung gleichwohl gut begründet gewesen sei. Im Zweifel könnte die präventive Absage verhindert haben, dass ein Sprengsatz deponiert, dass die Sicherheitsbehörden möglicher Täter habhaft werden konnten. Die Forderung der Öffentlichkeit nach Aufklärung sei berechtigt, doch ein jeder müsse sich die Frage stellen:
    "Wollen wir einzelne Veranstaltungen aufgrund von Hinweisen, die wir aus unterschiedlichsten Quellen bekommen, sichern - und anschließend preisgeben, was die Informationen genau zum Inhalt hatten, und damit uns der Möglichkeit selbst berauben, das auch in Zukunft noch tun zu können - nämlich Veranstaltungen abgewogen abzusagen oder durchführen zu können. Das genau wäre nämlich die Konsequenz!"

    Eigentlich sollte das Spiel zu einem Symbol der Solidarität auch mit dem vom Terror schwer gezeichneten französischen Brudervolk werden , zu einer friedfertigen Begegnung von Sportlern, Politikern, Bürgern - gestärkt noch im Zusammenhalt. Das Hannoveraner Rathaus erstrahlte in den Farben der französchen Nationalflagge, eine Lichterkette wurde gebildet, die einmal um das Stadion herumreichen sollte.
    35.000 sollen am Dienstagabend auf dem Weg zum Stadion gewesen sein, einige Fans waren wohl auch schon durch die soeben erst geöffneten Tore ins Rund der HDI-Arena gelangt. Doch dann – gegen viertel nach sieben, rücken schwer bewaffnete Einsatzkräfte vor, per Lautsprecherdurchsage fordert die Polizei die eintreffenden Menschen zur Umkehr auf, das Stadion wird komplett geräumt: ruhig, geordnet läuft das ab, die meisten Besucher äußern Verständnis für die Entscheidung, viele sind aber auch enttäuscht:
    "Das ist genau das, was die wollten!"
    "Verständlich, natürlich ärgerlich für die Fans!"
    "Wir wollten ein Zeichen setzen – und das Zeichen wird jetzt abgesetzt, wegen Terrorgefahr!"
    Zu diesem Zeitpunkt war der Bus mit der Nationalmannschaft bereits umgekehrt. Für die eingesetzten Polizeikräfte war der Einsatz damit aber noch lange nicht vorbei. Außer dem Spiel wurden ein Jazz-Konzert sowie eine Lesung des Komikers Helge Schneider aus Sicherheitsgründen abgesagt. Im Bahnhof wurde ein IC geräumt und durchsucht, nachdem Fahrgäste beobachtet hatten, dass ein Mann ein verdächtiges Paket auf der Gepäckablage abgelegt und den Zug verlassen hatte – ohne auf die irritierten Fragen der Reisenden zu antworten. Ein Spürhund schlug an, Entschärfer der Bundespolizei fanden beim Röntgen elektronische Bauteile vor, die sich nach Einschätzung der Behörden jedoch als Attrappe erwiesen. Die Ermittlungen dauern an.