Archiv


Ländliches Lust- und Frustspiel

Schon 2008, als Tom Drury mit "Die Traumjäger" erstmals auf Deutsch zu lesen war, fragten sich begeisterte Kritiker: Warum kennt man diesen Autor bei uns noch nicht? Drurys Erstling "Das Ende des Vandalismus" stellt diese Frage noch dringlicher, denn er ist viel besser als seine Fortsetzung.

Von Sacha Verna |
    Es ist erstaunlich, wie viel in einem Roman geschehen kann, in dem eigentlich nichts passiert. Na ja, Louise lässt sich von Tiny Darling scheiden und heiratet später Dan Norman, was gewisse Folgen hat. Aber "Folgen" ist schon zu viel gesagt. Das klingt nach Eifersucht, Krach oder zumindest nach Prozac mit Nebenwirkungen. Nichts dergleichen findet man in Tom Drurys "Das Ende des Vandalismus". Dabei würde Prozac manchen Figuren darin bestimmt nicht schaden.
    Also, ständig ist etwas los:

    " Sie schreiben nicht einmal mehr die Kirchenlieder an, und ich würde zu gerne mal wissen warum (...) Bis jetzt wurde es doch immer so gemacht, und plötzlich, man höre und staune, machen sie es nicht mehr. Was ist dann mit den Leuten, die Arthritis haben? Was ist mit denen, die ein bisschen brauchen, ehe sie die richtige Seite finden? Sind die in unserer Kirche nicht mehr erwünscht? und noch etwas, weil ich gerade daran denke. Ich weiß wirklich nicht, wer in letzter Zeit das Brot für die Kommunion schneidet, aber wer es auch sein mag, er muss erst noch lernen, was eine Oblate ist. Ich glaube nicht, dass jemals eine Jewell das Brot für die Kommunion so nachlässig schneiden würde, und ich glaube auch nicht, dass es eine Montrose täte. Oder eine Robeshaw, Mason, Kellson oder Cart." "

    Die betagte Nan Jewell hat ganz recht. Und die Oblaten bilden erst den Anfang, außerdem haben nämlich Jack Whites belgische Kaltblutpferde über Nacht angefangen, rückwärtszugehen. Derweil schnitzt Henry Hamilton an einem Kürbis für Halloween herum, obwohl vielleicht gar keine Kinder bei ihm aufkreuzen werden, wie damals, als er extra Divinity Toffees gemacht hat. Im Striplokal "Basement" kommt es zu einer Schlägerei, jemand stiehlt Landwirtschaftsmaschinen, und für ein Findelkind wird eine Benefizveranstaltung mit Umzug organisiert. Wenn das keine Action ist.
    Es ist die Action in Grouse County.

    "Lieber ein Niemand, den nichts anmacht, als ein Jemand, der jeden anmacht", "

    steht an der Eisenbahnbrücke südlich von Stone City, der Hauptstadt des Bezirks. Grouse County ist ein Landfleck im mittleren Westen oder in Neuengland oder sonst wo in der mäßig bukolischen Pampa der Vereinigten Staaten. Es ist fiktiv und für Tom Drury, was für Sherwood Anderson Winesburg, Ohio, war und für William Faulkner Yoknapatawpha County. Grouse County bringt Dichterinnen hervor, die die Leser der Regionalzeitung zum ersten Mai mit Versen beglücken wie:

    " Auf der ganzen Welt jubeln die Arbeiter;
    In den Vereinigten Staaten bekommen die Mädchen Geschenkkörbe!
    Was ist besser?
    Keine Ahnung -
    Es ist dennoch
    Interessant! "

    Tom Drury selber stammt aus Iowa. Dem hiesigen Publikum wurde er mit seinem 2008 auf Deutsch erschienen Roman "Die Traumjäger" vorgestellt. Auch "Die Traumjäger" spielt in Grouse County und dreht sich um Tiny Darlings Tun und Treiben ein Jahrzehnt nach seiner Scheidung von Louise. Der Roman wurde von der Kritik gelobt und die Frage gestellt: Warum kennt man diesen Autor bei uns noch nicht? Die Frage stellt sich angesichts von "Das Ende des Vandalismus" umso dringender, zumal dieser Roman viel besser ist als seine Fortsetzung. Statt ziemlich konventionellen Familienproblemebewältigungsstoff wie in "Die Traumjäger" liefert Drury mit "Das Ende des Vandalismus" ein ländliches Lust- und Frustspiel vom Feinsten. Das Allerfeinste daran ist, wie nahe Lust und Frust bei Drury beieinanderliegen. Ja, dass das eine oft nicht vom anderen zu unterscheiden ist. So sind Hochzeiten doch theoretisch freudige Angelegenheiten, nicht wahr? Nun, praktisch wird in Grouse County folgendermaßen geheiratet:

    " "Liebe Gemeinde", sagte Pastor Matthews. "Wir sind hier versammelt, um Louise Montrose Darling und Daniel John Norman im gesegneten Stand der Ehe zu vereinen." Das sind Louise und Dan, die sich nach einem Probewinter für die Zweisamkeit auf Dauer entschlossen haben. Pastor Matthews:

    "Zuerst muss ich aber noch ein paar Bemerkungen machen, zu denen ich letzten Sonntag nicht mehr gekommen bin. Shirley Baker ist immer noch im Krankenhaus, ebenso auch Andy Reichardt und Bill Wheeler. Bill hat unverändert Ärger mit seinem schlimmen Husten, möchte Ihnen allen aber für Ihre Gebete danken. Marvin und Candace Ross haben ein Kind bekommen, die kleine Bethany; Mutter und Tochter sind wohlauf. Und Delia Kessler möchte allen danken für die liebevolle Anteilnahme, die ihr nach dem Tod ihres Großvaters Mort zuteilwurde ..." Soll sich das Brautpaar über diese Verzögerung vielleicht aufregen? Dan mit seiner zerknitterten Krawatte und dem Ausdruck unbekümmerten Glücks im Gesicht und Louise in ihrem gelben Kleid mit den weißen Blüten und mit dem rosenfarbenen Band im braunen Haar? Nein. In Grouse County scheint sich sowieso niemand wirklich ernsthaft über etwas oder jemanden aufzuregen. Die Gefühlsskala seiner Bewohner muss irgendwann in die Horizontale gekippt sein. Und in diesem Sinn gibt man sich denn auch das Jawort, als Pastor Matthews endlich so weit ist:

    " Louise schloss die Augen. Sie wusste nicht genau, was sie fühlte, fand dafür aber keinen anderen Ausdruck, als zu sagen, sie liebe ihn. Also sagte sie es. Es kam ihr so vor, als würde man sein Leben lang die Liebe immer nur ganz kurz aufscheinen sehen, immer nur in winzigen Teilchen. Sie küssten sich noch einmal, spontan und innig. Farina sang das Kirchenlied "Oh Liebe, die mich nie verlässt".

    " Leser seien gewarnt: Es treten in diesem Roman über fünf Dutzend Personen auf. Alle mit Vor- und Nachnamen, alle mit Vergangenheit, Gegenwart und ungewisser Zukunft. Ein Verzeichnis am Ende des Buchs hilft, den Überblick zu bewahren. Doch hat man sich erst einmal daran gewöhnt, dass in Grouse County ein Drama nichts und deshalb jedes Nichts ein potenzielles Drama ist, verliert man sich nur allzu gern zwischen Paul Francis, dem Piloten des Flugzeugs für Unkrautvernichtung, und Paula Kellogg, einer Quiltnäherin, zwischen dem Gebrauchtwagenfahrer Ronnie Lapoint und der Airbrushspezialistin Pansy Gansevoort, zwischen der verstorbenen Schwester von X und der verwitweten Cousine von Y.

    " Der Lebensmittelladen in Grafton schloss im Frühjahr. Ohnehin hatte niemand erwartet, dass Alvin Getty ihn wieder in Schwung bringen würde.

    " Noch so ein Pinselstrich in Tom Drurys Sittengemälde:

    " Die Regale leerten sich, während ausgefallene neue Produkte zur Schau gestellt wurden, in der Absicht, den Laden vor dem Ruin zu retten. Man konnte Marmelade kaufen, die von Trappistenmönchen hergestellt worden war, aber kein Brot, auf das man sie hätte streichen können.
    Etwas später kam Alvin auf die Idee, dass eine neue Art von Pudding die Wende herbeiführen könnte. "Der schafft eine leichte und fröhlichen Atmosphäre", sagte er zu Mary Montrose. "Na, das müssen Sie doch zugeben - das ist ein beliebtes Dessert." (...)
    "Es gibt wohl kaum einen Lebensmittelladen auf der ganzen Welt, der keinen Pudding verkauft", sagte Mary.
    "Aber nicht in diesen praktischen Bechern."
    "Ich fürchte, Sie haben Ihre Hausaufgaben nicht gemacht."
    "Nicht mit einem kleinen Löffel dabei."
    "Von einem Löffel wusste ich nichts", sagte Mary.
    "Der Löffel ist das Entscheidende", sagte Alvin.

    " Das Entscheidende sind Unterhaltungen wie diese: belanglos und zugleich all das enthaltend, was das Zusammenleben von Menschen ausmacht, was es überhaupt erst möglich macht.

    Entscheidend sind im Niedergang begriffene Lebensmittelläden, die Trappistenmönchmarmelade verkaufen und als Zeichen für den Niedergang von etwas viel Größerem gedeutet werden können, für das Ende einer Ära, einer Lebensweise oder der Welt an sich. Lebensmittelläden, die vielleicht aber auch nur sich selber darstellen und Trappistenmönchmarmelade verkaufen und höchstens für "Das Ende des Vandalismus" stehen. Denn dieser Roman ist wohltuend frei von wabernder Interpretierbarkeit.
    "Schluss mit dem Vandalismus" ist übrigens in erster Linie das Motto eines Tanzabends:

    " Eine Band namens Brian Davis und der Schlackenhaufen spielte eigene Lieder sowie Cover-Versionen, die sie dem Thema des Abends entsprechend verändert hatte. (...)
    Mitten auf der Tanzfläche hatte die Betriebswirtschaftsklasse ein merkwürdiges Gebilde aufgebaut. Und zwar eine Reihe von langen, oben spitzen Holzlatten mit einem dazwischen eingebauten Doppelfenster und einem blinkenden gelben Alarmlicht auf der einen Seite.
    "Das ist so eine Art Installation aus unterschiedlichen Sachen, die dem Vandalismus oft zum Opfer fallen", sagte Mrs. Thorsen. (...) "Also Zaun, Fensterscheibe und Baulampe. Eigentlich wollten sie noch eine zweite Installation davon machen und bei der dann die Scheibe einschlagen und den Zaun besprühen, um das Vorher - Nachher zu zeigen. Ich weiß nicht, warum sie's dann doch nicht gemacht haben, weil, das wäre wahrscheinlich besser gewesen."

    " Oder auch nicht. Bei Tom Drury ist immer beides möglich. Und was heißt überhaupt besser? Besser für wen?
    Es gibt durchaus einige Hauptrollenträger in diesem Roman. Eben Louise, Tiny und Dan Norman. Es gibt auch so etwas wie eine lose Handlung mit Höhe- beziehungsweise Tiefpunkten. So erleidet Louise eine Fehlgeburt, und als Dan sich der Wiederwahl als Sheriff stellt, unternimmt Tiny alles, um diese zu verhindern.
    Doch im Rampenlicht steht zweifellos Grouse County selber. Genauer: Tom Drury entwirft das Panorama eines Diesseits, wie es überall dort existiert, wo sich die Zeiten schneller ändern als die Menschen. Das liegt nicht daran, dass die Leute in Grouse County noch keine Handys benützen und die Anschaffung eines CD-Spielers geradezu Sensationscharakter hat. Das liegt daran, dass "Das Ende des Vandalismus" aus dem Jahr 1994 stammt und Drurys Debüt aus einer technisch unendlich weit zurückliegenden Epoche bildet.
    Nein, die Atmosphäre des sturen Stillstands, den dieser Roman trotz der Daueraktivität seiner Figuren vermittelt, entspricht dem zutiefst menschlichen Gefühl, dass alles ein bisschen zu schnell geht. Dass vor allem das Leben ein bisschen zu schnell vergeht. Gegen die Körnchen der Sanduhr schaufelt die gesamte Menschheit seit Ewigkeiten an. Nicht nur in Grouse County. Auch in New York City und Kuala Lumpur.

    "Wenn Sie auch nicht zum Glück gelangen, so seien Sie doch stets eingedenk, dass Sie auf dem richtigen Wege sind, und bemühen Sie sich, nicht von ihm abzuweichen." Nicht zufällig hat Tom Drury dieses Zitat aus Dostojewskis "Die Brüder Karamasov" seinem Roman vorausgestellt. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Die Meinungen darüber, ob das nun ein Fluch oder ein Segen für die Menschheit ist, gehen bekanntermaßen weit auseinander. Allerdings braucht man in Grouse County gar keine großen Hoffnungen, um abends ins Bett zu gehen und am nächsten Morgen wieder aufzustehen. Man tut es einfach. So wie es Millionen und Abermillionen tun, überall auf der Welt.
    Es wäre freilich verfehlt, in "Das Ende des Vandalismus" bloß ein weiteres hübsches Histörchen über den sogenannten "Alltag" der sogenannten "kleinen Leute" zu sehen. Diese Topoi der literarischen Betulichkeit werden von Kritikern viel zu oft bemüht. Wie alltäglich ist für uns denn der Anblick von silbernen Wassertürmen mit roten Mützen inmitten sich endlos hinziehender Felder? Wie vertraut sind wir nur schon mit dem Fernsehprogramm in Grouse County, das der von Schlaflosigkeit gequälte Dan Nacht für Nacht über sich ergehen lässt?

    " Auf Kanal 3 kam eine Werbung für Gold. (...) Man konnte jede Nacht Armbänder bestellen, Halsketten, jede Art von Tieren, Gestalten aus les Misérables - alles aus Gold. (...) Auf Kanal 5 kam ein Autorennen und danach eine Vorschau auf einen Science-Fiction-Film mit dem Titel "Die 9-Meter-Braut", in dem eine riesengroße Frau die Hauptrolle spielte, die ganz sexy mit einer Tunika aus einem Zelt oder einer Plane oder etwas Ähnlichem bekleidet war.
    Dan schaltete auf Kanal 7 und sah dort eine Frau, die auf einer seltsam verschatteten Bühne sang. (...) Dabei fuhr die Kamera zurück und zeigte, dass die Frau in einem Amphitheater sang, mitten in einer Landschaft voll dunkler Türme und Hügel. Sollte das der Himmel sein? Die Hölle? Italien? Dan hätte es nicht zu sagen gewusst. Er schaltete schnell auf Kanal 13, wo ein Mann mit Südstaatenakzent mit einem Küchenmesser auf eine Tischplatte einhackte, um die Unverwüstlichkeit des Messers vorzuführen.

    " Was die "Kleinheit" von Tom Drurys Figuren und ihrer "Alltäglichkeit" angeht: Wie viele Leser können für sich schon den Titel "Beauftragte für ländliche Entwicklung" in Anspruch nehmen oder einen Hühnerstall ihr Eigen nennen? "Klein" ist ein äusserst relativer Begriff. Besonders in Verbindung mit Leuten und Leben.
    Tom Drury ist kein Meister des psychologischen Porträts. Wer in "Das Ende des Vandalismus" emotionale Tiefgänge und analytische Ausgänge zu erforschen hofft, hofft vergeblich. Drury beschreibt einen neuen Traktor mit mehr Hingabe als die innere Befindlichkeit von Louise und Dan nach dem Begräbnis ihrer tot geborenen Tochter. Die beschreibt er nämlich gar nicht. Und das ist gut so. Es genügt das Bild des winzigen weissen Sarges im Innern des riesigen Leichenwagens und zuvor die Versicherung des Bestattungsunternehmers, wonach es für Säuglinge nur eine Sorte Sarg gäbe, und übrigens seien Säuglingssärge kostenlos. Trauer, Tod und Teufel? Bitte schön:

    " Louise saß auf einem Gartenstuhl im Schatten. Dan hielt während des gesamten Gottesdienstes den Sarg in den Armen und legte ihn dann ins Grab. Louise stand auf und warf eine weiße Rose auf das Kästchen. Hummeln summten in den Zweigen der Büsche, die in der Nähe standen. Alle stellten sich in eine Reihe, um eine Schaufel Erde ins Grab zu werfen. Das Baby versteckt sich.

    " Schon möglich, dass man der unzähligen Heuballen und Getreidesilos gelegentlich überdrüssig zu werden droht, an denen Dan auf seinen Einsatzfahrten zwischen Romyla und Chesley und Pinville vorbeikurvt. Aber dann ballert wieder einer wie Jack Russell ziellos im Moor herum, trifft einen geschützten Großen Blaureiher, behauptet steif und fest, es sei eine Wildente und das Ganze ein Versehen.
    Großer Blaureiher oder Wildente? Die komischsten Vögel sind die, deren irdisches Gewurstel Tom Drury so minutiös protokolliert, als hinge davon das Schicksal des bekannten Universums ab. Es sind Dus und Ichs, und auch wieder nicht, denn jeder von ihnen hat eine einzigartige Geschichte. Jeder wird von irgendjemandem geliebt und sei es nur von einem Hund. Jeder hat zu irgendetwas eine Meinung, die für jemanden wichtig ist, und sei es nur für ihn selber. Allein darum verdienen diese Leute Respekt und Aufmerksamkeit. Dafür, dass sie es bis hierher geschafft haben, erst recht.
    Man bedenke nur, was für Kindheitstraumata manche von ihnen hinter sich haben:

    " Mit fünf oder sechs Jahren hatte Albert sich einmal über Claude und Marietta furchtbar geärgert und daraufhin beschlossen, in die Wälder hinter der Farm der Robeshaws zu ziehen.

    " Claude und Marietta sind Alberts Eltern.

    " Er nahm eine Dose Bohnen, einen Dosenöffner, eine Gabel und Die fünf chinesischen Brüder mit. Er setzte sich also unter eine Tanne, um zu lesen, und bald schon fragte er sich, ob er nicht doch das falsche Buch mitgenommen habe, denn es überlief ihn jedes Mal ein kalter Schauer, wenn er das riesige Gesicht des ersten Bruders sah, der das ganze Wasser des Meeres (das er ausgetrunken hatte) bei sich zu behalten versuchte. Aber er las die Geschichte doch zu Ende, und dann hatte er Hunger, und er schaffte es, die Dose zu öffnen und die Bohnen zu essen. Aber als er auf das kleine Stückchen Schweinefleisch zwischen den Bohnen stieß, wusste er nicht, was das war, und bekam Angst und rannte weinend nach Hause.

    " Kein Wunder, dass Albert als Teenager nur Unfug im Kopf hat und mit Sprüchen wie "Armageddon" und "Tina Rules" öffentliche Gebäude verschmiert. Wobei mit "Tina" in "Tina Rules" die von den Talking Heads gemeint ist, wie Albert dem herbeigerufenen Ordnungshüter freundlich erklärt.
    Tom Drury versteht sich hervorragend auf die Imitation eigentümlicher Tonfälle und auf Dialoge, deren nichtigem Inhalt er fesselnden Neuigkeitswert verleiht. Er inszeniert seine Szenen so perfekt, dass man vor dem Drive-in-Restaurant "Leuchtturm" den trägen Zungenschlag der plaudernden Schlange stehenden zu vernehmen meint. Man hört die Hamburger auf dem Grill brutzeln und riecht das alte Fett, in dem die Pommes schwimmen. Und als am Kopfende der Schlange Tumult entsteht, fühlt man sich im eigenen Ausflüglerfrieden gestört:

    " Ein Kunde, der eine rote Lederjacke mit der in weißen Stoffbuchstaben aufgenähten Aufschrift "Kampfsportschule Geoff Lollard" trug, schrie gerade den Mann hinter der Theke an. (...)
    "Du steckst echt in der Scheiße, du grinsender Hurensohn", schrie der Kunde. "Ich weiß, wo du wohnst! Ich weiß, wann hier geschlossen wird! Ich weiß auch, wo du arbeitest! Du arbeitest nämlich hier! Hör auf zu grinsen, verdammt noch mal! Ich stech' dich ab. Ich schwör 's, das mach ich."
    "Mann, Pete", sagte der Angestellte. Er hatte eine hohl klingende, traurige, singende Stimme, die den Mann in der roten Kampfsportjacke rasend zu machen schien. "Also wirklich, Pete, beruhige dich doch."
    Pete verfluchte den Angestellten weiter. Er packte einen glänzenden Serviettenspender und verfolgte damit den Angestellten die ganze Theke entlang.
    "Das ist doch nicht dein Ernst, Pete", rief der Angestellte, und Pete schleuderte den Serviettenspender mit einer wilden Bewegung auf ihn. Der Angestellte duckte sich, und der Serviettenspender riss einen Frittierkorb von seinem Aufhänger an der Wand hinter der Theke.
    Der Angestellte erhob sich wieder. "So, super, Pete, den hast du jetzt kaputt gemacht", sagte er. "Ich hoffe, du bist zufrieden, weil, der ist kaputt."

    " Der ist kaputt, und das ist Action in Grouse County. Das wäre aber auch Action vorm Gasthaus Fischerrosl am Starnberger See.
    Tom Drury macht sich nie über seine Akteure lustig. Seine Millers und Kesslers sind weder Landpomeranzen noch Bauerntölpel, sie sind ebenso wenig wandelnde Symbolträger wie wandelnde Klischees. Trotzdem oder eben deshalb ist "Das Ende des Vandalismus" ein einziger großer gelungener Witz übers Menschsein und die Menschlichkeit und der Humor darin so trocken wie die Erde in Grouse County nach einer Dürre. Vor einem der Orte in Drury-Land steht ein Schild mit der Aufschrift:

    " Grafton. 321 Einwohner. Halten Sie doch mal an und sehen Sie sich um.

    " Tun Sie das.


    Tom Drury: Das Ende des Vandalismus. Roman. Aus dem Amerikanischen von Gerhard Falkner und Nora Matocza. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2010. 400 Seiten. 21.90 Euro/34.90 Franken.
    Tom Drury: Das Ende des Vandalismus (Buchcover)
    Tom Drury: Das Ende des Vandalismus (Buchcover) (Klett-Cotta)