Von allen Planeten in allen Sonnensystemen, die wir kennen, könnten wir auf keinem anderen leben - kein Wasser, keine Luft zum Atmen. Und auch auf der Erde gab es bis vor ungefähr zweieinhalb Milliarden Jahren zwar eine Atmosphäre, Sauerstoff hat sie aber so gut wie keinen enthalten. Das änderte sich, in Schüben über einen Zeitraum von mehr als einer Milliarde Jahre.
Doch woher kam der Sauerstoff? Man geht davon aus, dass eine Heerschar von Mikroben ihn produziert hat: fleißige Cyanobakterien im Meer, die schon damals Photosynthese betrieben haben. Warum die Winzlinge im Lauf der Erdgeschichte mal mehr und mal weniger Sauerstoff produziert haben könnten, dazu hat der Ökologe Arjun Chennu vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung zusammen mit seiner Kollegin Judith Klatt vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie eine interessante Theorie entwickelt.
Das Interview in voller Länge:
Sophie Stigler: Sie sagen, das Ganze könnte mit der Erdrotation zusammenhängen – früher hat sich die Erde schneller gedreht und die Tage waren kürzer. Wie kamen Sie auf die Idee?
Arjun Chennu: Die Idee kommt von unseren Untersuchungen im Middle Island Sinkhole im Lake Huron in Michigan. Das ist ein sehr besonderer Ort. Einer der wenigen auf der Erde, wo wir Ökosysteme finden können wie vor Milliarden von Jahren. Wenn man da runtertaucht, dann ist da unten, in 20 Metern Tiefe, eine Grundwasserquelle. Aus der sprudelt kaltes Wasser, das kaum Sauerstoff enthält und sich nicht mit dem Seewasser mischt. Das fließt dort ins Sinkloch – wie ein Wasserfall unter Wasser. Der Boden dort ist lila und weiß, von komplexeren Lebensformen keine Spur, eine Bakterienwelt. So hat wahrscheinlich die Erde einen Großteil ihrer Geschichte ausgesehen.
Stigler: Und in diesem Wasserfall leben Cyanobakterien…
Chennu: Genau. Cyanobakterien und andere. Sie produzieren Sauerstoff und wir wollten rausfinden, wie die Tageslänge das beeinflusst. Also haben wir Proben genommen und sie im Labor unterschiedlich lang beleuchtet. Wir haben einen 18-Stunden-Tag simuliert, mit neun Stunden Tageslicht und neun Stunden Dunkelheit. Und einen 21-Stunden-Tag und einen 24-Stunden Tag und so weiter.
"Längere Tage führen dazu, dass mehr Sauerstoff frei wird"
Stigler: Wie viel kürzer waren denn die Tage vor rund zwei Milliarden Jahren, als die Cyanobakterien mit ihrer Arbeit angefangen haben?
Chennu: Es gibt Studien die sagen, dass die Tage früher etwa 21 Stunden lang waren, und das über einen Zeitraum von einer Milliarde Jahren, - weil die Erde sich schneller gedreht hat. In der Frühzeit von Erde und Mond waren sie vielleicht nur sechs Stunden lang.
Stigler: Man könnte jetzt denken: Ist doch egal – so oder so kriegen die Bakterien die Hälfte der Zeit Sonne und die Hälfte Dunkelheit – vereinfacht gesagt. Also warum ist es wichtig, ob sich Tag und Nacht alle sechs oder alle 12 Stunden abwechseln?
Chennu: Gute Frage. Man könnte denken: Das gleicht sich ja aus. In zwei 12-Stunden-Tagen kommt insgesamt genauso viel Licht an wie in einem 24 Stunden-Tag. Aber wieviel Sauerstoff ausgetauscht wird, hängt nicht direkt vom Licht ab. Sondern das ist ein langsamer Prozess, der davon abhängt, wie sich die Sauerstoffkonzentration in den Bakterienmatten und im Wasser unterscheidet. Also, wieviel Sauerstoff produziert wird und wieviel abgegeben wird, das sind zwei unterschiedliche Dinge.
Stigler: Und wozu führt das?
Chennu: Einfach ausgedrückt: Längere Tage führen dazu, dass mehr Sauerstoff frei wird. Das ist so, weil sich nach mehr Sonnenstunden ein größeres Gefälle in der Sauerstoffkonzentration der Bakterien und im Wasser aufbaut. Dadurch wird ein bisschen mehr Sauerstoff abgegeben – nicht viel, aber genug, um einen Unterschied zu bewirken.
Lange Zeit eine Welt von Bakterien- und Mikrobenmatten
Stigler: Kann man das belegen, dass die Tageslänge auf der frühen Erde und der Sauerstoffgehalt miteinander zusammenhängen?
Chennu: Wenn man die beiden Kurven vergleicht, die Tageslänge und den Sauerstoff in der Atmosphäre, dann sieht man eine beeindruckende Ähnlichkeit. Der Sauerstoffgehalt steigt, nachdem sich die Photosynthese entwickelt hat, dann erreicht er ein Plateau und bleibt lange gleich und steigt schließlich wieder an. Das passt sehr gut zur Tageslänge der neuesten Modelle. Deswegen schlagen wir vor: Wenn man das über lange Zeit betrachtet, als die Erde noch eine Mattenwelt von Bakterien- und Mikrobenmatten war, dann folgt der Sauerstoffgehalt der Tageslänge. Das haben auch andere schon festgestellt und wir liefern jetzt einen Mechanismus dafür.
Stigler: Sie sprechen von einer Mattenwelt. Es ist schwer vorstellbar, dass Bakterien alleine für den Sauerstoff auf unserer Erde verantwortlich sind. Dann müsste ja die Erde quasi komplett von einem Teppich überzogen sein. Wie sicher ist man denn, dass es wirklich die Cyanobakterien alleine waren?
Chennu: Dazu brauchen wir wirklich viel Phantasie. Unsere Welt heute ist voller Wälder, Tiere und anderer komplexer Lebensformen. Alle brauchen Sauerstoff – sie atmen oder produzieren ihn. Aber die sind erst seit rund 400 Millionen Jahren. Also lange, lange Zeit gab es vor allem mikrobielles Leben auf dem Planeten. "Mattenwelt" trifft es ganz gut. In Fossilien sehen wir diese mikrobiellen Matten auch. Komplexere Lebewesen konnten, soweit die Theorie, erst mit Sauerstoff entstehen. Und Bakterien, speziell Cyanobakterien, haben die Photosynthese erfunden, bei der als Nebenprodukt Sauerstoff frei wird. Und dieses Nebenprodukt hat vielleicht die größte Veränderung in der Erdgeschichte bewirkt, hin zu dem Planeten, den wir heute kennen.
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