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Lärm-Studie
"Wir haben bei allen drei Verkehrslärmarten deutliche Befunde"

Welche Gefahren birgt Dauerlärm? Nach einer Studie sind die Auswirkungen von Krach auf die Gesundheit insgesamt zwar nicht so schlimm wie angenommen. Aber: Lärm könne nicht nur die Entstehung, sondern auch den Verlauf von Erkrankungen negativ beeinflussen, erklärte Studien-Mitkoordinator Andreas Seidler im DLF.

Andreas Seidler im Gespräch mit Ralf Krauter |
    Autos auf einer Straße.
    Straßenlärm kann zu Depressionen führen. (dpa/picture alliance/Rolf Vennenbernd)
    Ralf Krauter: Um einige der Ergebnisse der NORAH-Studie genauer unter die Lupe zu nehmen, habe ich vorhin mit Professor Andreas Seidler gesprochen von der TU Dresden. Er hat die verschiedenen Untersuchungen zu Krankheitsrisiken koordiniert und war heute Vormittag bei der Pressekonferenz in Frankfurt mit dabei. Meine erste Frage an ihn war: Wie stark erhöht Verkehrslärm das Risiko für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall?
    Andreas Seidler: Wir finden deutliche Risiken für die Herzschwäche, und zwar gilt das für alle drei untersuchten Verkehrslärmarten – für den Fluglärm, für den Straßenverkehrslärm und für den Schienenverkehrslärm. Das heißt, wenn wir eine kontinuierliche Verlaufskurve, Risikokurve zeichnen, dann steigt pro zehn Dezibel Anstieg des Dauerschallpegels das Herzinsuffizienzrisiko abhängig von der jeweils untersuchten Verkehrslärmart so zwischen 1,6 und etwa drei Prozent.
    "Fluglärm zeigt vergleichsweise den geringsten Risikoanstieg"
    Krauter: Und wo ist der Fluglärm da anzusiedeln, ist er besser oder schlechter als andere Lärmarten?
    Seidler: Der Fluglärm zeigt vergleichsweise den geringsten Risikoanstieg. Der ist auch statistisch signifikant für die Herzschwäche, allerdings muss man beim Fluglärm auch Besonderheiten berücksichtigen. Wenn wir in Bereichen eines sehr niedrigen Dauerschallpegels, also unterhalb von 40 Dezibel, wenn wir da die Personen aufteilen und eine Gruppe gesondert uns anschauen, die bei diesem sehr niedrigen Dauerschallpegel nächtliche Maximalpegel oberhalb von 50 Dezibel Fluglärm aufweist, dann sehen wir eine siebenprozentige Risikoerhöhung für den Schlaganfall, und diese Risikoerhöhung ist statistisch signifikant. Das heißt, wenn wir es auf einen Nenner bringen wollen, dann zeigt sich in der NORAH-Studie zu Krankheitsrisiken für alle drei untersuchten Verkehrslärmarten ein Zusammenhang mit den drei untersuchten Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dieser Zusammenhang ist aber unterschiedlich stark und er ist auch abhängig von den Lärmcharakteristika, also insbesondere beim Fluglärm abhängig von der Berücksichtigung des Maximalpegels.
    "Straßenverkehrslärm erhöht Depressionsrisiko"
    Krauter: Ebenfalls auf Ihrer Agenda stand meines Wissens ja auch die Frage, ob Flughafenanwohner häufiger Depressionen bekommen als andere. Da gab es 2010 eine Studie im Umfeld des Flughafens Köln-Bonn, die nahegelegt hat, bei Frauen scheint Fluglärm das Risiko für eine Depression zu erhöhen. Zu welchem Schluss kommt die NORAH-Studie?
    Seidler: In der NORAH-Studie können wir einen Zusammenhang zwischen den einzelnen Verkehrslärmarten und dem Depressionsrisiko oder genauer gesagt dem Risiko, dass eine depressive Episode diagnostiziert wird, finden.
    Am klarsten ist der Zusammenhang beim Straßenverkehrslärm, da können wir einen kontinuierlichen Anstieg des Depressionsrisikos mit steigendem Lärmpegel finden. Beim Fluglärm ist das Depressionsrisiko schon bei relativ niedrigen Lärmpegeln sehr deutlich erhöht, allerdings finden wir im Sinne einer umgekehrten U-Kurve bei höheren Lärmpegeln dann wieder ein Absinken des Depressionsrisikos. Diese umgekehrte U-Kurve sehen wir auch beim Schienenverkehrslärm.
    Das heißt, wir haben bei allen drei Verkehrslärmarten deutliche Befunde, die einen Zusammenhang mit den depressiven Störungen nahelegen, allerdings ein bisschen interpretationsbedürftige Risikokurven beim Fluglärm und beim Schienenverkehrslärm.
    "Verkehrslärm beeinflusst den Verlauf von Erkrankungen"
    Krauter: Was war für Sie die wichtigste Erkenntnis dieser Studie, Herr Professor Seidler?
    Seidler: Zum einen ist für mich eine wichtige Erkenntnis, dass wir bei unserer größten Krankheitsgruppe, der Herzschwäche, der Herzinsuffizienz, für alle drei Verkehrslärmarten statistisch eindeutige Zusammenhänge finden. Eine weitere wichtige Erkenntnis ist, dass wir beim Herzinfarkt deutlich höhere Risiken finden, wenn wir nur diejenigen Versicherten betrachten, die einen tödlichen Verlauf des Herzinfarktes erleiden.
    Wir haben Krankheitsdiagnosen, also Herzinfarktdiagnosen, zwischen 2006 und 2010 erfasst, und wir stellen fest, dass, wenn wir nur die Gruppe einbeziehen, die bis 2014/2015 verstorben ist einbeziehen, dann sind die Herzinfarktrisiken deutlich höher. Und dann sind die Risiken auch für Fluglärm, Straßenverkehrslärm und Schienenverkehrslärm vergleichbar hoch, sodass dies bedeuten könnte, dass Verkehrslärm möglicherweise nicht nur die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen beeinflusst, sondern auch den Verlauf der Erkrankung.
    Krauter: Zur NORAH-Studie über die Gesundheitsgefahren von Verkehrslärm waren das Informationen von Andreas Seidler von der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin an der TU Dresden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Für den Deutschlandfunk hat Wissenschaftsjournalistin Anneke Meyer die Pressekonferenz zur NORAH-Studie besucht. Im Gespräch mit Ralf Krauter berichtet sie von den Ergebnissen.