Rainer B. Schossig: In seinem Bestseller "Die Korrekturen" hat der Schriftsteller Jonathan Franzen die Obsessionen und Sorgen einer typischen Familie aus dem mittleren Westen der USA aufgedeckt. Das war vor nun mittlerweile neun Jahren. Jetzt kommt sein neuer Roman, der vierte, und der heißt "Freiheit", ab morgen auch in deutscher Sprache in die Buchläden. Mit diesem Roman scheint Franzen jetzt endgültig dabei, sich als führende Figur der amerikanischen Literatur zu etablieren, durchaus auch mit viel Tamtam. In Berlin die Literaturkritikerin Ursula März! Frau März, Sie haben das Buch mit diesem uramerikanischen Titel "Freiheit" bereits gelesen. Warum so viel Lärm um Franzen?
Ursula März: Zum einen, glaube ich, ist es ganz plausibel. "Die Korrekturen" haben sich drei Millionen Mal verkauft und natürlich besteht da eine riesige, man muss schon sagen, internationale Neugier, was der Autor, der drei Millionen Bücher von einem Roman verkauft hat, in den letzten neun Jahren so geschrieben hat. Zum anderen sind "Die Korrekturen" ein Wahn. Ich habe sie sehr, sehr gerne gelesen, ich habe die Familie, die Lamberts, die sehr durchgeknallt ist, diese "Korrekturen"-Familie sehr gemocht. Es ist sehr anspruchsvolle und zugleich anschlussfähige Literatur. Das ist Literatur – auch der neue Roman scheint mir so -, die den Leser heimatlich umhüllt und zugleich unterhält. Darauf freut man sich, darauf freut sich wirklich die Welt.
Schossig: Anscheinend hat sich auch das "Time Magazine" darauf gefreut, denn die haben ihn ja schon sehr früh aufs Titelblatt gehoben. Das ist ja etwas, was nur wenigen Autoren bisher gelungen ist und was nun auch anscheinend etwas Kritik hervorrief. Was sind die Gründe, außer Futterneid und Konkurrenz?
März: Also da glaube ich, es gibt immer Kritik. Das ist nun wirklich sozusagen der Adelstitel. Es hieß auch und das stimmt natürlich auch, vor zehn Jahren war Stephen King zuletzt auf dem Titel, dann Nabokov und ein paar dieser Hausgötter der Literatur. Aber es gibt vielleicht – da haben Sie Recht – tatsächlich einen Zweifel. Ein so unglaublicher kommerzieller Erfolg, wie ihn "Die Korrekturen" erlebt haben, bringt ja immer auch die Skepsis hervor: handelt es sich hier wirklich um Literatur, oder handelt es sich hier um wirkliche anspruchsvolle gute Literatur? Denn wenn drei Millionen Menschen etwas lesen wollen, dann, denkt man, kann es auch nicht so ganz mit richtigen Dingen zugehen, und Franzen ist tatsächlich irgendwie umgeben so von der Frage, ist das jetzt Weltliteratur, oder ist es amerikanische Blockbuster-Literatur. Und ich glaube, seine "Genialität" besteht darin, genau zwischen beiden auf Messers Schneide zu balancieren. Es hat immer was von Blockbuster, von großer Familiensaga, von großem Donnergrollen, von happy Ends und auch nicht happy Ends, und zugleich sprachlich ist es auch wieder wunderbar gemacht.
Schossig: Und dann gibt es ja auch immer diesen Widerspruch zwischen dem Eigenbrödler, dem ganz stillen, zurückgezogenen Vogelbeobachter, und auf der anderen Seite dem jetzt anscheinend auch politisch werdenden. Er hat im "Time"-Interview gesagt, "wenn wir Freiheit zum entscheidenden Maßstab für die Kultur machen, dann sollten wir uns auch fragen, was uns Freiheit überhaupt bringt". Damit hat er sich jetzt etwa aufs politische Parkett begeben. Ist das auch ein Grund für den Medienumgang?
März: Das glaube ich nicht. Er hat sich, Franzen hat sich schon 2004 aufs Parkett begeben bei der Wahl, bei der zum zweiten Mal George W. Bush gewählt wurde. Er hat da schon gesagt, eigentlich hat er überhaupt keine Lust, Politik zu machen, er gehört keiner Partei an, aber die letzten Jahre, eben der Irak-Krieg, den er auch scharf verurteilt, waren so grauenhaft, das ist die schlimmste Epoche in der amerikanischen Politik, nun muss er einfach. Ich finde sozusagen seine politischen Statements alle korrekt, aber wiederum nicht besonders originell. Ich glaube, im Grunde seines Herzens ist er ein, wie Sie sagten, leidenschaftlicher Vogelbeobachter, und alle leidenschaftlichen Vogelbeobachter sind natürlich Naturschützer, und ich glaube, es bleibt dann halt auch nicht aus, wenn jemand jede Woche zwei Interviews gibt, dass er immer nach Politik gefragt wird. Ich glaube nicht, dass er ein ausgewiesen politischer Schriftsteller ist.
Schossig: Zum Schluss die Frage ganz kurz, die eigentlich am Anfang dieses Gespräches hätte stehen müssen. Hat Franzens "Freiheit" das Medienecho verdient?
März: Ja! Das ist ein solches Phänomen, es hat auf alle Fälle das Medienecho verdient, ganz sicher. Ich habe den Roman am Wochenende gelesen, in riesiger Eile, nur in den Fahnen, also in den Druckfahnen. Ich bin nicht so angetan wie von den "Korrekturen". Ich finde diesen Roman eine Spur zu bekömmlich, eine Spur zu verbindlich. Ich glaube, dass sich Franzen allzu sehr Mühe gibt, dem Leser unglaublich entgegenzukommen. Man kann über ein solches Phänomen gar nicht sagen, es verdient nicht das Medienecho. Das ist nun mal so. Er ist im Moment der Sieger.
Schossig: Schauen wir und lesen wir mal.
März: Genau!
Schossig: Danke an die Berliner Literaturkritikerin Ursula März zum Medienhype um Jonathan Franzens Roman "Freiheit". Der erscheint im Rowohlt-Verlag, morgen ausgeliefert.
Ursula März: Zum einen, glaube ich, ist es ganz plausibel. "Die Korrekturen" haben sich drei Millionen Mal verkauft und natürlich besteht da eine riesige, man muss schon sagen, internationale Neugier, was der Autor, der drei Millionen Bücher von einem Roman verkauft hat, in den letzten neun Jahren so geschrieben hat. Zum anderen sind "Die Korrekturen" ein Wahn. Ich habe sie sehr, sehr gerne gelesen, ich habe die Familie, die Lamberts, die sehr durchgeknallt ist, diese "Korrekturen"-Familie sehr gemocht. Es ist sehr anspruchsvolle und zugleich anschlussfähige Literatur. Das ist Literatur – auch der neue Roman scheint mir so -, die den Leser heimatlich umhüllt und zugleich unterhält. Darauf freut man sich, darauf freut sich wirklich die Welt.
Schossig: Anscheinend hat sich auch das "Time Magazine" darauf gefreut, denn die haben ihn ja schon sehr früh aufs Titelblatt gehoben. Das ist ja etwas, was nur wenigen Autoren bisher gelungen ist und was nun auch anscheinend etwas Kritik hervorrief. Was sind die Gründe, außer Futterneid und Konkurrenz?
März: Also da glaube ich, es gibt immer Kritik. Das ist nun wirklich sozusagen der Adelstitel. Es hieß auch und das stimmt natürlich auch, vor zehn Jahren war Stephen King zuletzt auf dem Titel, dann Nabokov und ein paar dieser Hausgötter der Literatur. Aber es gibt vielleicht – da haben Sie Recht – tatsächlich einen Zweifel. Ein so unglaublicher kommerzieller Erfolg, wie ihn "Die Korrekturen" erlebt haben, bringt ja immer auch die Skepsis hervor: handelt es sich hier wirklich um Literatur, oder handelt es sich hier um wirkliche anspruchsvolle gute Literatur? Denn wenn drei Millionen Menschen etwas lesen wollen, dann, denkt man, kann es auch nicht so ganz mit richtigen Dingen zugehen, und Franzen ist tatsächlich irgendwie umgeben so von der Frage, ist das jetzt Weltliteratur, oder ist es amerikanische Blockbuster-Literatur. Und ich glaube, seine "Genialität" besteht darin, genau zwischen beiden auf Messers Schneide zu balancieren. Es hat immer was von Blockbuster, von großer Familiensaga, von großem Donnergrollen, von happy Ends und auch nicht happy Ends, und zugleich sprachlich ist es auch wieder wunderbar gemacht.
Schossig: Und dann gibt es ja auch immer diesen Widerspruch zwischen dem Eigenbrödler, dem ganz stillen, zurückgezogenen Vogelbeobachter, und auf der anderen Seite dem jetzt anscheinend auch politisch werdenden. Er hat im "Time"-Interview gesagt, "wenn wir Freiheit zum entscheidenden Maßstab für die Kultur machen, dann sollten wir uns auch fragen, was uns Freiheit überhaupt bringt". Damit hat er sich jetzt etwa aufs politische Parkett begeben. Ist das auch ein Grund für den Medienumgang?
März: Das glaube ich nicht. Er hat sich, Franzen hat sich schon 2004 aufs Parkett begeben bei der Wahl, bei der zum zweiten Mal George W. Bush gewählt wurde. Er hat da schon gesagt, eigentlich hat er überhaupt keine Lust, Politik zu machen, er gehört keiner Partei an, aber die letzten Jahre, eben der Irak-Krieg, den er auch scharf verurteilt, waren so grauenhaft, das ist die schlimmste Epoche in der amerikanischen Politik, nun muss er einfach. Ich finde sozusagen seine politischen Statements alle korrekt, aber wiederum nicht besonders originell. Ich glaube, im Grunde seines Herzens ist er ein, wie Sie sagten, leidenschaftlicher Vogelbeobachter, und alle leidenschaftlichen Vogelbeobachter sind natürlich Naturschützer, und ich glaube, es bleibt dann halt auch nicht aus, wenn jemand jede Woche zwei Interviews gibt, dass er immer nach Politik gefragt wird. Ich glaube nicht, dass er ein ausgewiesen politischer Schriftsteller ist.
Schossig: Zum Schluss die Frage ganz kurz, die eigentlich am Anfang dieses Gespräches hätte stehen müssen. Hat Franzens "Freiheit" das Medienecho verdient?
März: Ja! Das ist ein solches Phänomen, es hat auf alle Fälle das Medienecho verdient, ganz sicher. Ich habe den Roman am Wochenende gelesen, in riesiger Eile, nur in den Fahnen, also in den Druckfahnen. Ich bin nicht so angetan wie von den "Korrekturen". Ich finde diesen Roman eine Spur zu bekömmlich, eine Spur zu verbindlich. Ich glaube, dass sich Franzen allzu sehr Mühe gibt, dem Leser unglaublich entgegenzukommen. Man kann über ein solches Phänomen gar nicht sagen, es verdient nicht das Medienecho. Das ist nun mal so. Er ist im Moment der Sieger.
Schossig: Schauen wir und lesen wir mal.
März: Genau!
Schossig: Danke an die Berliner Literaturkritikerin Ursula März zum Medienhype um Jonathan Franzens Roman "Freiheit". Der erscheint im Rowohlt-Verlag, morgen ausgeliefert.