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Lässige Meisterschaft

Es werden ordentlich Waffen durchgeladen in diesem Buch – und verwendet:

Von Joachim Scholl |
    Während Roth das Feuer aus der STEYR-ACR eröffnete, gab Kiraly auf das ungepanzerte Begleitfahrzeug, in dem vier weitere Bodyguards saßen, sechs Schüsse ab und tötete die Männer mit seinem Zeigefinger. Kiraly schwenkte den Lauf nach rechts. Er sah, wie Paluccis Fahrer sich aus dem Wagen rollte und eine Pistole zog. Er schoss dem Mann direkt durch den Hals. Roth setzte mit Hartkerngeschossen ohne Unterlass Punktfeuer auf die Panzerscheibe. Palucci wälzte den Bodyguard, der versucht hatte, die Maschinenpistole einzuklinken, von seinem Schoß, nahm die Waffe in die Hand und wusste doch nicht, was sie ihm nutzen sollte. Er und Grasso hockten wie Hasen in der Falle.

    Aus der die beiden mächtigen Mafia-Bosse auch nicht mehr lebend herauskommen. Wer hat sich an sie herangetraut? Und warum haben sich die Italiener in Polen aufgehalten, um anscheinend mit einem russischen Waffenschieber einen größeren Deal abzuwickeln? Ging es wirklich nur um eine Ladung von geklauten Sturmgewehren? Das sind nur einige der vielen Fragen, die sich Richard Wolf, Präsident des deutschen Bundeskriminalamts, und seinen Kriminalisten zu Anfang stellen. Die Aktion in Polen ist von verdeckten Ermittlern des BKAs begleitet worden, die Waffenlieferung soll an ein bolivianisches Drogenkartell gehen, im Rostocker Hafen wartet ein Schiff. Ein Sondereinsatzkommando liegt auf der Lauer. Doch kurz vor dem Zugriff explodiert der Container, es gibt Tote – und der Fall weitet sich zu einer internationalen Affäre aus, die bis in die höchsten politischen Kreise, reicht. Bald steht Präsident Wolf im Zentrum eines gewaltigen Sturms von Intrigen, Verrat und Gewalt. Er kann niemandem mehr trauen, nicht einmal seinem Chef, dem deutschen Innenminister. Deshalb formiert er aus einem kleinen Kreis von Vertrauten die "Operation Rubikon" – und wer da mitmacht, riskiert wie weiland Cäsar alles: Job, Karriere, sogar das Leben steht auf dem Spiel...

    Um solch einen Stoff zu gestalten, muss man enorm viel wissen. Neben zahlreichen Experten war Andreas Pflügers erster und wichtigster Kontaktmann ein wirklich "hohes Tier": der ehemalige Präsident des Bundeskriminalamts, Hans Ludwig Zachert. Der war 1998 gerade aus dem Amt geschieden, man traf sich zu einem Essen, und Zachert hatte Lust zu erzählen, keine Dienstgeheimnisse natürlich, aber es war auch so genug:

    Vor allem ein Detail hat mich interessiert. Er hat mir von einer Gesetzesnovelle aus dem Jahr 1996 erzählt, wonach der BKA-Präsident zum politischen Beamten umgewandelt wurde, und mir war sofort klar, was das faktisch bedeutet: Wenn der BKA-Präsident einmal ermitteln muss, zum Beispiel gegen seinen Innenminister, der sein Dienstherr ist, dann kann er jederzeit entlassen werden, und zwar ohne Angabe von Gründen. Ich habe dann nachgehakt und, darf ich sagen, Wochen mit Herrn Zachert verbracht, in seinem Haus, und ihm so viele Fragen gestellt, es sind über 1000 Seiten Abschriften geworden – das waren unschätzbare Informationen, und aus diesen Gesprächen heraus ist dann die Idee entstanden, daraus einen Roman zu machen.

    "Was ist ein Bankraub gegen die Gründung einer Bank?" – Andreas Pflüger hat dieses berühmte Bonmot von Bertolt Brecht für seine Zwecke umgewandelt: Wer fürchtet sich noch vor dem Gesetz, wenn er selber das Gesetz ist? Daraus entwickelt der Autor den grandios teuflischen Plan seiner Geschichte, für die er mehr als fünf Jahre recherchierte. Das intrikate Geflecht der bundesdeutschen Sicherheitsorgane von BKA, BND und MAD, die Details von Personenschutz und Überwachungstechniken, die verwickelten Strukturen der organisierten Kriminalität, ihre Hierarchie, ihre Waffen – jedes Detail sollte, musste stimmen. Mit Reisen um die halbe Welt war es selbst für den versierten Drehbuch-Profi ein Mega-Projekt, das alle bisherigen Dimensionen sprengte. Für sein Personal dachte sich Andreas Pflüger etwas Besonderes aus. Dem Präsidenten Wolf, einer großartig gebrochenen Figur, stellte er eine zweite Hauptperson zur Seite: seine Tochter Sophie, die ihren Vater hasst. Als Oberstaatsanwältin bei der Generalbundesanwaltschaft leitet sie die Ermittlungen im BKA, Wolf bekommt die Tochter sozusagen auf’s Auge gedrückt. Die Konflikte sind natürlich programmiert, geben dem Plot aber genau die psychologische Dichte, die vielen Thrillern fehlt.

    Das war zuallererst der Gedanke: Ich mache hier im Grunde das gleiche wie "Der Pate" von Coppola. Nur ist meine Familie Corleone keine Verbrecherfamilie, sondern meine Familie heißt BKA! In dieser Familie gibt es einen Patriarchen, das ist der BKA-Präsident, es gibt eine verstoßene Tochter, eine verlorene Tochter, es gibt zwei Söhne, die dieser Mann hat – der eine der beiden Söhne wird ihn verraten, der andere Sohn wird für ihn sterben. Das war der Grundgedanke: Diesen Roman zu erzählen wie eine Familiengeschichte.

    Operation Rubikon ist Andreas Pflügers erster Roman, und mit geradezu lässiger Meisterschaft bewegt sich der Autor in einer epischen Dramaturgie, die über Hunderte von Seiten ihre Spannung hält und kaum an einer einzigen Stelle schwächelt. Die Action ist fantastisch inszeniert, mit feinem Gespür für Rhythmus und Timing. Man ist zwischendurch einfach baff, wie gut das gemacht ist, auch stilistisch, in einer klaren und eleganten Sprache. Es sei ganz schön anstrengend gewesen, so einen Roman zu schreiben, erzählt Andreas Pflüger, eine richtiggehend, körperliche Strapaze. Trotzdem überwog der Spaß, vor allem an neuen Freiheiten:

    Das Drehbuch-Schreiben unterscheidet sich von einem Roman in vielerlei Hinsicht. Ich habe es als befreiend empfunden, dass ich nicht die üblichen Rücksichten nehmen musste, die ein Drehbuch-Autor nehmen muss – schon allein in Bezug auf die Ökonomie eines Films. Es ist nun mal nicht möglich, so opulent und ausschweifend zu erzählen, wie das in einem Roman möglich ist. Ich kann mich nicht in fünf verschiedenen Erdteilen bewegen in einem Fernseh-Zweiteiler, schon das war eine große Freude. Und es war auch endlich niemand da, der mir in einer Szene sagt, schmeiß‘ den Vollmond raus, denn auf den müssen wir extra warten, und ich habe ihn dann einfach reingeschrieben, das war sehr schön.

    Man kann ohne Übertreibung sagen: Operation Rubikon ist der beste deutsche Thriller, den es je gegeben hat, und der erste seit langem mit internationalem Format.
    Wobei festzuhalten ist, dass Andreas Pflüger die amerikanischen und englischen Stars seiner Generation – etwas David Baldacci oder Michael Ridpath – weit hinter sich lässt. Diese schielen immer nach Hollywood, können bei aller Professionalität an keinem Klischee vorbeigehen. Operation Rubikon orientiert sich deutlich an den alten Meistern, ohne sie zu kopieren. Kenner werden sich freuen an dem einen oder anderen Motiv von John le Carré oder Frederick Forsyth, das Andreas Pflüger listig einbaut. Etwa, wenn Profikiller Kiraly auf dem Friedhof am Berliner Mehringdamm sein Präzisionsgewehr auf den BKA-Präsidenten richtet. Noch nie hat dieser Schakal sein Ziel verfehlt, noch nie...

    Andreas Pflüger
    Operation Rubikon
    Herbig Verlag, 795 S., EUR 24,90