Mario Dobovisek: Nach dem Willen der europäischen Staats- und Regierungschefs soll nicht Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, sondern Christine Lagarde, die IWF-Chefin, an die Spitze der EZB rücken - Bei mir im Studio ist Eva Bahner aus der Wirtschaftsredaktion – diese Personalie ist dann doch eine Überraschung?
Eva Bahner: Ja, zumal Lagarde selbst erst im vergangenen Herbst auf die Frage der "Financial Times", ob Sie am EZB-Chefposten interessiert sei, sechsmal mit "No" geantwortet hat. Inzwischen fühlt sich Christine Lagarde sehr geehrt, von den Staats- und Regierungschefs nominiert worden zu sein. Sie lässt ihr Amt als geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds in der Nominierungsphase erst mal ruhen. Es sieht also so aus, wenn das geschnürte Personalpaket durchgeht, dass die 63-jährige Französin die erste Frau an der Spitze der Europäischen Zentralbank wird und auch als gelernte Juristin die erste Nicht-Ökonomin.
"Man kann auf sie setzen, wenn es gilt, den Euro zu retten"
Dobovisek: Ist Lagarde dieser Aufgabe gewachsen?
Bahner: Sie hat keine ausgewiesene geldpolitische Expertise, anders als ihre Vorgänger war sie auch nicht Chefin einer nationalen Notenbank, sondern Lagarde ist gelernte Juristin, machte Karriere als Anwältin in den USA. In ihrer Rolle als IWF-Chefin, die sie jetzt ja schon seit 2011 ausfüllt, trifft sie sich allerdings regelmäßig mit Finanzministern und Notenbank-Chefs der G7 und der G20, das heißt, sie ist in der Finanzwelt zuhause, sie genießt dort Vertrauen, und hat sich einen Ruf als entschlossene Krisenmanagerin erarbeitet in der Euro-Schuldenkrise.
Das ist sicherlich auch ein Grund, warum Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts, Lagarde als eine gute Wahl bezeichnet. Weil sie bewiesen hat, dass sie auf charmante und verlässliche Art unterschiedliche Interessen ausgleichen kann, und die gibt es ja im EZB-Rat, in dem die Notenbank-Chefs der Euro-Länder sitzen. Es wird sich zeigen, ob sie als Politikerin, die sie ja bislang ist, auch in der Lage sein wird, die Unabhängigkeit der EZB zu verteidigen. Oder, ob diese Distanz ihr aufgrund ihrer hervorragenden Kontakte schwerfallen wird.
Sie hatte auch schon mal Ärger mit der französischen Justiz, ihr wurde Veruntreuung von Geldern vorgeworfen als französische Finanzministerin, das sei an dieser Stelle auch erwähnt. Aber auf jeden Fall kann man auf sie setzen, wenn es gilt, den Euro zu retten, sollte es erneut zu einer brenzligen Situation im Währungsraum kommen. Da wird sie dem Kurs Mario Draghis folgen, der Ende Oktober nach acht Jahren das Amt des EZB-Präsidenten abgeben wird.
Steigende Zinsen "sind nicht in Sicht"
Dobovisek: Das heißt, auf steigende Zinsen werden wir weiter warten müssen?
Bahner: Die sind nicht in Sicht, noch weniger mit Christine Lagarde als mit Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, der ja auch als Kandidat gehandelt wurde. Als Chefin des IWF stand sie bisher für eine ausgabefreudige Politik, sprich Steuern senken, Staatsausgaben erhöhen und Zinsen niedrig halten. Es war nie ein kritisches Wort von ihr zu hören über Mario Draghis Niedrigzinspolitik, das heißt, sie wird, sollte es zu einer Abkühlung in der Eurozone kommen im zweiten Halbjahr, sich nicht scheuen, die Geldschleusen erneut zu öffnen, möglicherweise ein neues Anleihekauf-Programm zu starten.
Aber, die EZB-Spitze bestimmt nicht alleine die Geldpolitik, sondern darüber wird im EZB-Rat abgestimmt – und da hätte Lagarde auch nur eine Stimme. Da wird sie dann auch wieder auf Jens Weidmann treffen, den Bundesbank-Präsidenten, der ja, wie die Vergangenheit gezeigt hat, auch mal dagegen halten kann, wenn die EZB sich zu sehr an den Grenzen ihres Mandats bewegt.