Die Pandemie zu verkraften, scheint für größere Sportvereine leichter zu sein als für kleinere. Die TSG Bergedorf verzeichnet fast 9000 Mitglieder. Vorsitzender Boris Schmidt versuchte, so viel wie möglich während der zwei Jahre aufrechtzuerhalten. Entscheidend sei aber das laufende Kalenderjahr: Der Betrieb läuft bei den großen Vereinen wieder an, die Einnahmen um die dabei entstehenden Kosten zu decken, würden aber fehlen. Denn der Verein hat während der Pandemie Mitglieder verloren, so Schmidt. Im Jahr 2020 seien das ungefähr 1300 gewesen:
„Denen laufen wir hinterher. Wir haben aber auch immer gesagt, wir wollen das bis zum Ende des Winters 22/23, also sozusagen im Frühjahr 2023, in einem Jahr, geschafft haben. Und wenn uns die Pandemie da keinen Strich durch die Rechnung macht, dann glauben wir auch, dass wir das schaffen.“
Kerstin Holze, DOSB-Vizepräsidentin sieht als Herausforderung vor allem Probleme, die die Pandemie in den Fokus gerückt hat: zu wenig flexible Sportstätten sowohl für Indoor- als auch für Outdoor-Sport, Sportangebote für Schulkinder, auch wenn Schulen geschlossen sind:
„Also die zwei Jahre waren sehr herausfordernd. Wir haben jetzt die große, große Anstrengung vor uns, alle die, die sich umorientiert haben, wieder für den Sport zurückzugewinnen. Ich glaube ganz fest, dass wir das schaffen. Aber, und das muss uns bewusst sein, das ruckelt sich nicht von allein zurecht. Hier braucht es wirklich eine Anstrengung von unterschiedlichsten Mitgestaltern, damit wir das wieder schaffen, die Gesellschaft aus den unbewegten zwei Jahren in Bewegung zu bringen.“
Vor allem neue Ehrenamtliche fehlen
Dabei geht es nicht nur um die aktiven Mitglieder, sondern auch um Ehrenamtliche, auf deren Engagement Sportvereine bauen.
„Die Entwicklung der Ehrenamtlichen ist das, was langfristig dafür entscheidend sein wird, ob wir die Leute wieder in den Sport kriegen oder nicht. Denn ohne die Ehrenamtlichen funktioniert unser organisierter Sport nicht“, sagt Holze, Vorstandsvorsitzende der Deutschen Kinderturnstiftung, im Deutschlandfunk-Sportgespräch.
Nicht nur die ehemaligen, sondern vor allem neue Ehrenamtliche muss der Sport gewinnen, fügt Vereinsvorsitzender Schmidt hinzu: „Eigentlich fehlt ein ganzer Jahrgang junger Menschen, der sich eben anders orientiert hat, weil der Sport nicht mehr angeboten worden ist in Zeiten der Pandemie.“
"Breitensport muss ganz gezielt gefördert werden"
Dirk Schimmelpfennig, Chef de Mission der deutschen Olympia-Mannschaft hat ein erstes Fazit zur Hälfte der Olympischen Winterspiele in Peking gefasst. Wichtig sei aber auch den Breitensport in Deutschland nach der Corona-Pandemie wieder in den Fokus zu rücken. Die Auswirkungen seien hier immer noch kritisch.
Dirk Schimmelpfennig, Chef de Mission der deutschen Olympia-Mannschaft hat ein erstes Fazit zur Hälfte der Olympischen Winterspiele in Peking gefasst. Wichtig sei aber auch den Breitensport in Deutschland nach der Corona-Pandemie wieder in den Fokus zu rücken. Die Auswirkungen seien hier immer noch kritisch.
Holze glaubt, für eine Neugewinnung müsse das Ehrenamt attraktiver gestaltet werden mit Wertschätzung und Anerkennung und Möglichkeiten zur Weiterqualifizierung und Trainerausbildung:
„Das heißt, unsere Aufgabe wird sein, uns mit Politik und Gesellschaft zusammenzusetzen und zu sagen: Wir haben einen Restart „Sport nach Corona“ im Koalitionsvertrag. Da müssen dann auch Ressourcen zur Verfügung stehen, um solche Sachen wie eine Ausbildungsoffensive gestalten zu können, um Ressourcen in diesem Bereich zu geben.“
Holze: Sport müsse Querschnittsthema werden
Schmidt fordert, dass auch die Vereine selbst aktiv werden müssen: „Also wir müssen deutlich aktiver rausgehen aus dem Verein, in die Öffentlichkeit, sozusagen in die Gesellschaft hinein, weil die Menschen nicht mehr alleine zu uns kommen, was in der Vergangenheit eher der Fall war.“
Er zählt zu den konkreten Maßnahmen zum Beispiel eine engere Kooperation mit Schulen, um dort auf die Arbeit im Verein aufmerksam zu machen. Holze sieht auch im DOSB einen wichtigen Kommunikationsleister für den Stellenwert des Sports in der Politik:
„Wir müssen den Sport als Querschnittsthema etablieren, so wie es der Umweltschutz geschafft hat. Das heißt in fünf, zehn oder 15 Jahren sollte bei jeder Entscheidung von der Bildungsreform bis zum Städtebau mitgedacht werden: Zahlt das auf das Ziel der bewegten Gesellschaft ein?“
Sozialer Austausch spricht für die Rückkehr in den Vereinssport
Während der Pandemie gab es nicht nur die Tendenz, weniger Sport zu machen, sondern auch individueller Sport zu machen und dafür nicht die Angebote der Vereine zu nutzen. Einen Austausch mit anderen bietet der individuelle Sport nicht. In Holzes Augen das entscheidende Argument für den Sport im Verein:
„In einer Gruppe ist das Gefühl, etwas beitragen zu können, und dass Lebenswirklichkeit und Lebensumstände auch durch mich beeinflussbar sind. Also unsere Sportvereine sind ja nicht nur Fitnesscenter für den Körper, sondern sie sind letztendlich auch ein Ort, wo Gesellschaft stattfindet, wo demokratische Prozesse stattfinden, wo Menschen, die sich außerhalb des Sportlebens vielleicht nicht treffen würden, in Berührung kommen“, so Holze im Deutschlandfunk.
„Und wenn ich gucke, was die letzten zwei Jahre dieser Gesellschaft und den Menschen hier auch abverlangt hat, dann ist es ganz, ganz wichtig, dass wir aus unseren Wohnungen wieder rauskommen und uns begegnen, dass wir uns auseinandersetzen, das wir miteinander reden.“
Auch Boris Schmidt erlebt in seinem Verein mit, welche wichtige Rolle der soziale Kontakt im Verein einnimmt: „Nach dem Sporttreiben sitzt man auch noch mal zusammen, trinkt Kaffee, unterhält sich, und das ist alles in der Zeit weggefallen. Bei Kindern und Jugendlichen haben wir festgestellt, dass die, nachdem die eine Zeit lang überhaupt keine Trainingsgruppe hatten, völlig andere Verhaltensweisen aufgezeigt haben, also viel ruhiger und ängstlicher geworden sind.“
Offensive für Sportflächen
Mit dem kommenden Sommer und den Möglichkeiten, draußen Sport zu treiben, ist es für die Vereine wieder einfacher, ihre Angebote aufrechtzuerhalten. Holze wünscht sich, dass dafür generell mehr freie Flächen in Städten genutzt werden:
„Zum Beispiel die Schulhöfe. Das sind steuerfinanzierte Flächen. Die sind am Wochenende in vielen Bundesländern einfach geschlossen, weil sie zur Schule gehören. Das erschließt sich mir nicht."
Boris Schmidt geht noch einen Schritt weiter und fordert eine Offensive für Sportflächen: „Wir brauchen einfach ganzjährig nutzbare Outdoor-Sport Flächen. Und da geht es nicht nur darum, Fußball zu spielen, sondern es geht darum, dass wir Entspannungskurse, Yoga-Angebote, Qigong, Bewegungslandschaften, all sowas auch draußen machen können. Also überdachte Sportflächen, damit man sie ganzjährig nutzen kann, weil die Temperatur ist nicht immer das Problem. Man kann sich auch warm anziehen“, appelliert Schmidt.
„Und da würde ich mir wünschen, dass die Politik eben in einem Sonderfond in irgendeiner Form Mittel zur Verfügung stellt, dass diejenigen, die dort investieren wollen und solche Flächen bauen, dass diese das auch ermöglicht bekommen."
Turnhallen für Flüchtlinge keine optimale Lösung
Neben der Pandemie kommt mit dem Ukraine-Krieg noch eine weitere Herausforderung auf Sportvereine zu. Viele Flüchtlinge aus der Ukraine kommen in umfunktionierten Turnhallen unter. Für Holze sollte das aber nicht die erste Wahl für Unterbringungen sein:
„Weil was aus meiner Sicht nicht die optimale Lösung ist, zu sagen wir nehmen pauschal über all die Turnhalle, weil die ist nicht geeignet.“
DOSB: Sporthallen nicht primär als Unterkünfte nutzen
Die Solidarität des deutschen Sports mit der Ukraine ist groß. Doch es ist auch ein Balanceakt. Denn die ersten Turn- und Sporthallen dienen bereits als Notunterkünfte für Geflüchtete. Der DOSB appelliert an die Politik andere Lösungen zu finden.
Die Solidarität des deutschen Sports mit der Ukraine ist groß. Doch es ist auch ein Balanceakt. Denn die ersten Turn- und Sporthallen dienen bereits als Notunterkünfte für Geflüchtete. Der DOSB appelliert an die Politik andere Lösungen zu finden.
Oft würde es andere Möglichkeiten geben. In jedem Falle müssten aber Politik, Sport und Integrationshelfer zusammen überlegen, was die beste Lösung ist.
Ein Vorteil ist immer, dass der Sport flexibel ist, so Schmidt. Das hätte auch die Flüchtlingskrise 2015 gezeigt. Trotzdem sollten gerade nach der langen Pandemiepause nicht direkt wieder Sportangebote ausfallen, weil die Flächen und Gebäude als Unterkünfte genutzt werden: „Ich glaube, dass man genug andere Flächen findet. Das hat man 2015 in Hamburg auch geschafft.“
Schließlich brauche man als Verein die Hallen nicht nur für die eigenen Mitglieder, sondern auch für Angebote für die Geflüchteten:
„Das sind ältere Menschen, das sind ganz viele Kinder und Jugendliche mit ihren Müttern. Denen möchten wir Sportangebote anbieten. Aber wenn wir dann die Infrastruktur teilweise gar nicht mehr für unsere eigenen Mitglieder haben und dann noch etwas Neues anbieten sollen, dann wird es sehr, sehr schwierig.“