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Lage des deutschen Bankensektors
"Die Abarbeitung der Krise hat zu lange gedauert"

Bundeskanzlerin Merkel hat sich bei einen Besuch hinter den Finanzplatz Frankfurt gestellt. Das sei wichtig gewesen, käme aber viel zu spät, sagte der Ökonom Hans-Peter Burghof im Dlf. Nun müssten schnell strukturelle Maßnahmen folgen. Bisher habe man es zu lange verschoben, Probleme im Finanzsektor anzugehen.

Hans-Peter Burghof im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Blick auf Frankfurt mit Skyline, Commerzbank, Hessische Landesbank, Deutsche Bank, Europäische Zentralbank, Skyper, Sparkasse, DZ Bank, Opernturm, Paulskirche, Römer, Frankfurt am Main, Hessen, Deutschland, Europa
    Blick auf Frankfurt mit Skyline, Commerzbank, Hessische Landesbank, Deutsche Bank, Europäische Zentralbank, Skyper, Sparkasse, DZ Bank, Opernturm, Paulskirche, Römer, Frankfurt am Main, Hessen, Deutschland, Europa (imago )
    Mario Dobovisek: Lange hat sie einen Bogen um das Bankenviertel in Frankfurt am Main gemacht, die Bundeskanzlerin. Angela Merkel hat öffentliche Auftritte dort gemieden, denn mit Unterstützung der Politik für die Finanzbranche waren seit der Krise bei den Wählern kaum noch Punkte zu sammeln. Jetzt bricht sie das Eis mit ihrer Rede gestern in der deutschen Börse über die Banken, über den Finanzplatz Frankfurt, über Europa.
    Am Telefon begrüße ich Hans-Peter Burghof, Ökonom an der Universität Hohenheim, spezialisiert auf Bankwirtschaft und Finanzdienstleistung. Guten Morgen, Herr Burghof.
    Hans-Peter Burghof: Guten Morgen.
    Dobovisek: Welche Bedeutung hat es, dass sich die Bundeskanzlerin, wie gerade gehört, wieder hinter den Finanzplatz Frankfurt und die deutschen Banken stellt?
    Burghof: Es ist erfreulich, überhaupt, dass sie aus ihrem Nachwahl-Stupor langsam wieder erwacht und dass man anfängt, wieder so was wie Politik zu machen. Und es ist auch sehr wichtig, dass sie sich hinter den Finanzplatz stellt. Ist die Frage, was in den drei Jahren alles schon verloren gegangen ist, und natürlich ist mit der Entscheidung, dass die europäische Bankenaufsicht nach Paris kommt, schon sehr, sehr viel kaputt gegangen, und das merkt man erst wirklich im Nachhinein.
    Richtig gut ist auch daran – das ist vielleicht für Herrn Scholz fast noch wichtiger als für die Kanzlerin -, dass man gemerkt hat, dass unser Bankensystem etwas ist, was für uns wertvoll ist, für Deutschland wertvoll ist, und dass das Herumprügeln auf den Banken am Ende im Grunde genommen auch ein Herumprügeln auf unserem eigenen Wirtschaftssystem ist, dass das auch nicht funktionieren kann. Ich hoffe, dass wir da eine Änderung haben in der Politik, und zwar nicht unbedingt durch mehr staatlichen Dirigismus, sondern tatsächlich, dass man versucht, mit welchen strukturellen Maßnahmen man den Finanzplatz stärken kann.
    Dobovisek: Merkel kommt spät, sagen die Banker, und Macron habe viel besser die Werbetrommel gerührt, nicht nur für die europäische Bankenaufsicht, sondern auch für viele Unternehmen, die London nach dem Brexit verlassen wollen, oder schon vorher. Kommt Merkel zu spät und gibt es keine Chance mehr, das aufzuholen?
    Burghof: Sie kommt tatsächlich sehr, sehr spät. Zu spät – das wird man hinterher sehen. Die Frage ist, mit welcher Politik man das macht. Das eine ist natürlich die Show und das andere sind die konkreten strukturellen Maßnahmen, und da hätte sie schon früher sich Gedanken machen müssen. Die Frage ist, ob man jetzt schnell genug Dinge beschließen kann. Da geht es nicht nur um den Kundenschutz. Es geht darum, dass man im Grunde genommen für internationale Unternehmen an diesem Punkt attraktiv wird. Da müsste man eigentlich ein ganzes Paket bereit haben, und da spielt auch Regulierung eine Rolle, nebenbei bemerkt. Auch die Regulierer muss man mit ins Boot holen und das ist eine aufwendige Sache, und eigentlich hätte man dafür mehr Zeit gebraucht.
    "Ich glaube, dass da die Erkenntnis ist, dass man Mist gebaut hat"
    Dobovisek: Nehmen Sie Angela Merkel ihren Einsatz von gestern ab, oder ist das hessischer Wahlkampf?
    Burghof: Nein, ich denke schon, dass dahinter ein gewisser Erkenntnisprozess steht, wobei ich kann ja nicht hinter ihre Stirn gucken. Das würden viele, glaube ich, gerne. Ich glaube schon, dass da die Erkenntnis ist, dass man Mist gebaut hat, und das hat sie auch eigentlich gesagt, wenn man ehrlich ist. Auch Scholz hat das gesagt, wir haben Scheiße gebaut, wir haben uns nicht eingesetzt, wo wir uns hätten einsetzen müssen, wir haben eine riesen Chance vertan, wenigstens eine Chance in diesem ganzen Desaster des Brexits, die wir hätten nutzen können. Vielleicht kommt auch langsam die Erkenntnis generell dazu, dass man Wirtschaft als Einheit zwischen Finanzwirtschaft und Realwirtschaft begreifen kann und dass man nicht einfach diese Trennung macht und sagt, die eine ist die Böse, mit der gewinnen wir Wahlen, indem wir draufschlagen, und die andere ist die Gute, da machen wir lauter Sonntagsreden.
    Dobovisek: Die politischen Zeiten sind ja bewegt, weltweit die Märkte unruhig, volatil, sagen dann die Experten. Was, wenn der nächste Crash kommt, die nächste Finanzkrise? Ist der Finanzsektor jetzt gut darauf vorbereitet?
    Burghof: Wenn wir das wüssten, wäre das sehr schön. Wir sind auf die letzte Krise immer gut vorbereitet, aber die nächste Krise wird anders. Und das ist das Problem bei einer Idee, dass man versucht, alles mit festen Regeln und mit ganz viel Verwaltung letztendlich in den Griff zu bekommen. Das ist das, was die Bankenaufsicht getan hat.
    Dobovisek: Und Verwaltung dauert immer lange!
    Burghof: Verwaltung dauert lange. Das ist das Schöne an der Verwaltung: Sie ist an Regeln gebunden und deswegen ist sie zuverlässig in einer gewissen Weise. Das Schlechte daran ist, dass sie auf neue Situationen verdammt schlecht sich einstellen kann, und wir bräuchten im Grunde genommen eine stärkere Bankenaufsicht, die flexibler reagieren kann, die sich nicht selber auch im Grunde genommen mit diesem riesigen aufsichtlichen Regelwerk ein Korsett anlegt, das es ihr gar nicht ermöglicht, auf eine neue Krise gut zu reagieren.
    Wir haben auch ein paar negative Effekte. Wir haben eher mehr große Banken als kleine Banken. Wir haben ein ganz starkes Ausweichen von Risiken in unregulierte Bereiche. Wir haben sehr, sehr viele negative Nebeneffekte der intensiven Regulierung, die tatsächlich dazu führen, dass die Regulierung möglicherweise nicht so effizient Krisen bekämpft, wie sich das die Regulierer im Moment träumen.
    "Es gibt auch ein Leben jenseits des Eurostocks und des DAX"
    Dobovisek: Sie sagen, es gibt mehr Großbanken als Kleinbanken. Dann gucken wir uns doch mal zwei dieser großen Banken an. Da hängen ziemlich dicke schwarze Wolken über den deutschen Großbanken. Die Commerzbank fliegt heute aller Wahrscheinlichkeit nach aus dem DAX raus, aus dem Aktienindex der 30 größten deutschen Unternehmen. Die Deutsche Bank dagegen wird zwar im DAX bleiben, gehört aber nicht mehr länger zu den 50 größten europäischen Unternehmen, zu den Eurostocks 50. Das wurde gestern bereits bekannt. Welche konkreten Auswirkungen hat das für die beiden Banken?
    Burghof: Für beide ist das nicht erfreulich. Das muss man schon mal sagen. In beiden Fällen ist es so, dass die Finanzierungsmöglichkeiten dadurch vielleicht schwerer werden, weil es gibt bestimmte Fonds, die diese Aktien kaufen, weil sie den DAX oder den Eurostocks abbilden. Es gibt bestimmte Investmentfonds, die nur bestimmte Typen von Aktien kaufen können. Da ist man dann aus der obersten Kategorie jeweils rausgefallen, das ist nicht schön.
    Andererseits: Es gibt auch ein Leben jenseits des Eurostocks und des DAX. Die langfristige Performance, die langfristige Qualität eines Unternehmens hängt nicht davon ab, ob man in dem Index ist, sondern hängt davon ab, dass man die richtigen betriebswirtschaftlichen Entscheidungen getroffen hat, und dann wird man auch vielleicht wieder mal zurückkommen.
    Dobovisek: Wenn wir uns die Reaktionen zum Beispiel von Martin Zielke angucken, dem Commerzbank-Chef. Der betont mit Blick auf den drohenden Abstieg aus dem DAX: "Für unsere Kunden, unser Geschäft und die Bedeutung der Bank für die deutsche Volkswirtschaft ändere sich überhaupt nichts. Punkt, aus, Ende!" Hat da jemand den Weckruf nicht gehört?
    Burghof: Ich glaube, den Weckruf hat er intern schon gehört, dass er da natürlich was ändern muss. Aber das ist letztendlich eine Frage der Finanzierung an der Stelle und des Marktwertes, und wenn Sie dann auf die Marktwerte gucken, dann sehen Sie, dass er setzt wird von einem Unternehmen, wo auch riesen Bubble-Potenzial drin ist, wo man auch nicht genau weiß, ob das tatsächlich diese hohen Marktwerte weiter in Zukunft realisieren kann, ohne das Unternehmen wirklich analysiert zu haben. Es riecht jetzt ein bisschen nach neuer Markt an der Stelle. Aber ich glaube, das sollte man nicht überbetonen.
    Grundsätzlich gilt, die konventionellen Banken – und dazu gehören die Commerzbank und die Deutsche Bank – haben einerseits in Deutschland intensiven Wettbewerb in der Fläche. Das heißt, sie können mit den Kunden gar nicht so hohe Gewinne machen, was eigentlich gut ist für die Marktwirtschaft. Wettbewerb ist etwas Hervorragendes für die Marktwirtschaft. Zum anderen sind sie mit massiven Regulierungskosten belastet, die so hoch sind, dass man sich kaum noch bewegen kann, und in der Kombination ist einfach der Wert dieser Unternehmen sehr gering. Aber wie gesagt: Das mit der Regulierung ist eine politische Entscheidung, über die man in Europa im Moment noch nicht mal nachdenkt, wo man sagt, okay, wir müssen immer weiter regulieren, weil je enger wir das zurren, umso sicherer wird unser Bankensystem.
    Dobovisek: Sie sagen, die großen Dickschiffe werden bleiben, aber sie werden massiv schrumpfen. Ist das Modell der Großbank, die alles kann, die alles macht in allen Bereichen, Privatkunden, Firmen, Investment, ist das Geschichte?
    Burghof: Na ja, gut. Wir sehen, dass da Spezialisten sich aus der Wertschöpfungskette Teile rausschneiden und damit sehr, sehr erfolgreich sind. Das funktioniert eine Weile ganz gut, aber dann kommt man natürlich dazu, dass irgendwann Unternehmen auch einen Gesamtanbieter haben wollen, und diese kleinen Preisvorteile, die sie dadurch haben, dass sie vielleicht Teile rausschneiden, demgegenüber relativ belanglos sind. Im Moment war das ganz gut möglich, weil auch die Bepreisung der einzelnen Schritte in der Wertschöpfungskette nicht ganz marktgerecht häufig war. Da haben die eine Chance genutzt.
    Man fragt sich natürlich andererseits, warum diese Dickschiffe bestimmte Technologien und bestimmte Marktsegmente überhaupt offengelassen haben. Eigentlich hätte ja eine Deutsche Bank und eine Commerzbank oder auch andere Banken das Geschäft, das Wirecard machen können, wunderbar machen können, wenn sie nur rechtzeitig erkannt hätten, dass da ein Geschäftsmodell drin ist.
    Dobovisek: Wirecard, der Bezahldienstleister aus der Nähe von München, der jetzt die Commerzbank möglicherweise im DAX ersetzen wird.
    Burghof: Genau. Das ist der Kandidat dafür, ja.
    "Haben in Deutschland versucht, die Probleme auf die lange Bank zu schieben"
    Dobovisek: Was machen andere Großbanken besser als die deutschen? Denn in den USA und auch in der Schweiz machen die Großbanken wieder hervorragende Geschäfte.
    Burghof: Richtig. Die Schweizer Großbanken haben sich sehr, sehr konsequent reformiert, haben sich neu aufgestellt, haben auch in der Personalpolitik eine glücklichere Hand gehabt. Das muss man ganz klar sagen. Wir haben in Deutschland versucht, die Probleme auf die lange Bank zu schieben, und haben gesagt, wir arbeiten die Verluste aus der Vergangenheit ab. Wir wollen den Bürger nicht beunruhigen. Wir wollen auch nicht, dass bei Banken, die tatsächlich in der Krise sind, der Steuerzahler wirklich das bezahlt. Das wäre ungerecht. Das mag so sein, aber es bedeutet natürlich, dass man die Krise erheblich verlängert hat, ohne Not, und das ist etwas, das natürlich auch irgendwo in einer Bank zu einer Stagnation führt. Mit diesen Problemen arbeiten wir immer, dass im Grunde genommen die Abarbeitung der Krise viel zu lange dauert.
    In den USA ist eine ganz andere Wettbewerbssituation. Dort sind die Banken für die großen Unternehmen, die an den Kapitalmarkt müssen, derjenige, der über die Macht verfügt, sie dort hinzuführen, und mit diesem Recht verdienen die Banken letztendlich sehr, sehr viel Geld. Das ist einfach eine andere Wettbewerbssituation.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.