Mohamed Al-Thawr wohnt in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa. "Aktuell ist die Lage ruhig, das ist aber nicht alle Tage so", sagte er im Deutschlandfunk-Interview. Oft könne er nicht schlafen, habe Angst, dass Geschosse fallen, die von Flugzeugen der saudi-arabischen Allianz abgeworfen werden. Diese konzentrierten sich zwar auf Militärbasen, die lägen aber in der Stadt, direkt neben Wohnhäusern. Das sei für Menschen gefährlich, es habe auch schon zivile Opfer gegeben. In Sanaa sei die Lage zwar noch verhältnismäßig gut, in der südlichen Hafenstadt Aden allerdings "herrschen richtig Straßenkämpfe".
Al-Thawr ist Unternehmer, er hat eine Zeit lang in Deutschland gelebt, wo er auch seine Ausbildung gemacht und Solidaritätsdemonstrationen für die Opposition in arabischen Ländern organisiert hat. Aktuell leitet er eine Fabrik für Desinfektionsmittel im Jemen. Die Arbeitszeiten dort habe man reduziert, sagte er, es werde täglich nur noch vier Stunden gearbeitet und nur noch auf Bestellung.
Al-Thawr kritisierte im Interview auch das Vorgehen der Huthi. Sie hätten hunderte Mitglieder der Islah-Partei festgenommen, sprengten Häuser von Gegnern und folterten.
Al-Thawr sieht Deutschland als Vorbild
Al-Thawr sagte, im Jemen habe es einen nationalen Dialog gegeben, der mit dem arabischem Frühling angefangen habe. Alle Gruppierungen hätten zusammengesessen und sich auf ein Papier geeinigt, dennoch hätten die Huthi-Rebellen jetzt Städte und Dörfer eingenommen.
Im Deutschlandfunk sagte Mohamed Al-Thawr, er träume von Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität, wie er sie in Deutschland erlebt habe. Im Moment bemühe sich das Auswärtige Amt darum, ihn und seine Familie außer Landes zu bringen, das sei allerdings schwierig.
Das Interview in voller Länge:
Christiane Kaess: Grundsätzlich scheinen die schiitischen Huthi-Milizen im Jemen dazu bereit, Friedensgespräche zu führen. Voraussetzung sei allerdings ein Ende der Luftangriffe durch die von Saudi-Arabien angeführte sunnitische Militärallianz, so heißt es vonseiten der Huthis. Die Gespräche sollten von Parteien überwacht werden, die keine aggressiven Positionen gegenüber dem jemenitischen Volk einnähmen. Wer dies sein könnte, das bleibt offen. Der Konflikt, der mit der Vertreibung des Präsidenten Hadi wieder aufgebrochen ist, der geht unterdessen weiter. Die Zivilbevölkerung leidet am meisten.
Bewohner von Aden: Wir bitten die arabische Militärkoalition: Schickt Bodentruppen! Es ist eine Katastrophe. Die Huthis beschießen willkürlich unsere Häuser.
Kaess: Das sagt dieser Bewohner der Hafenstadt Aden. Vor wenigen Minuten habe ich mit Mohamed Al-Thawr gesprochen. Er ist Unternehmer im Jemen, er leitet in Sanaa eine Fabrik für Desinfektionsmittel. Er hat zuvor lange Zeit in Deutschland gelebt, wo er auch seine Ausbildung gemacht hat. Wir haben ihn in Sanaa erreicht und ich habe ihn zuerst gefragt, wie die Situation dort ist.
Mohamed Al-Thawr: Aktuell ist die Lage ruhig, Sie können im Hintergrund auch keine Flugzeuge oder keine Geschosse hören. Das ist aber nicht alle Tage so.
Kaess: Wie waren die letzten Tage?
Al-Thawr: Man kann natürlich nicht schlafen. Man hat natürlich auch Angst, dass die Geschosse, die nach oben fliegen, die fallen natürlich auch wieder nach unten, und es ist auch eine große Gefahr. Es gibt auch Leute, die sich dadurch auch verletzt haben, alleine schon durch die Geschosse, die zu den Flugzeugen geschossen werden.
Kaess: Sie sprechen jetzt über die Angriffe, die Saudi-Arabien mit seinen Verbündeten fliegt.
Al-Thawr: Genau so, genau.
Kaess: Herr Al-Thawr, Sie haben ja im Vorgespräch vorhin gesagt, dass Ihr Vater Arzt in einem Krankenhaus in Sanaa ist, und ich habe es schon gesagt, Sie selber leiten eine Fabrik für Desinfektionsmittel, spielt also auch eine Rolle im medizinischen Bereich. Wie würden Sie denn die humanitäre Situation im Moment vor Ort schildern?
Mangel an Diesel, Benzin und Gas
Al-Thawr: Also in Sanaa ist das Verhältnis wirklich noch gut, sage ich mal so. Es gibt natürlich ... Die aktuellen Probleme konzentrieren sich in Aden aktuell, da herrschen richtig Straßenkämpfe. In Sanaa, was wir aktuell für ein Problem haben, ist natürlich Treibstoff, also Diesel, Benzin, Gas und so. Jetzt herrscht Mangel, und man sieht auch die Schlange, hunderte von Autos, bis endlich Benzin kommt.
Kaess: Wie empfinden Sie selber das? Inwiefern leiden Sie darunter, zum Beispiel mit Ihrer Fabrik?
Al-Thawr: Natürlich, meine Mitarbeiter, die wohnen nicht gleich um die Ecke, die kommen trotzdem. Natürlich die ersten Tage – man muss sich daran gewöhnen, dass geschossen wird, also Krieg, also man muss sich auch erst mal vorstellen: Sanaa, die letzten Monate waren es immer die Schießereien, aber jetzt mit der Einsatz der Flugzeuge ist natürlich die Gefahr höher, weil wenn man vom Norden in den Süden der Stadt kommt oder andersherum ... Aber wir haben auch unsere Arbeitszeiten reduziert, das man nur noch vier Stunden und dann auch auf Bestellung arbeitet, dass wir von den Kunden (Anmerkung der Redaktion: unverständliches Wort an dieser Stelle) sofort produzieren und dann gleich liefern. Also wir beschränken uns – sehr minimal.
Kaess: Wie gefährlich ist es denn im Moment, auf die Straße zu gehen? Sie haben jetzt schon ein paar Mal die Luftangriffe angesprochen. Werden die vorher angekündigt?
Al-Thawr: Natürlich nicht. Also das wird natürlich nicht gemacht. Die Ziele sind natürlich militärische Ziele, das merkt man auch, wenn man die Dächer sieht, dann sieht man wirklich, wo die Brände sind. Natürlich sind neben diesen militärischen Zielen auch Wohnhäuser. Man muss sich auch vorstellen, dass die Militärbasen nicht so wie in Deutschland sind, in den Wäldern – die sind in der Stadt drin. Und natürlich können unter Umständen auch Bomben auf umliegende Häuser auch fallen. Und das ist natürlich für die Menschen sehr gefährlich, und es gab auch schon viele Opfer.
Folter und Luftangriffe zur Einschüchterung
Kaess: Herr Al-Thawr, kann man sagen, die Menschen im Jemen sind gespalten – auf der einen Seite diejenigen, die für die Huthis sind, und auf der anderen Seite die, die Angst vor ihnen haben?
Al-Thawr: Definitiv, natürlich. Also vor allem eine Spaltung ist natürlich jetzt im nördlichen Teil des Jemen, wo die Huthi-Rebellen sozusagen ihre Brutstätte hatten. Im Jemen haben wir sehr typische Schiiten, die sind natürlich der Kern der Huthi-Rebellen. Je südlicher man fährt, desto weniger konzentriert sich diese religiöse Gruppierung. Das ist auch das Problem der Huthis jetzt in Aden, weil sie können dort keinen Fuß halten, weil sie sind für die Leute, sage ich mal so, fremd, und es ist auch eine Herausforderung für die Huthis.
Kaess: Wir hören hier immer wieder vom auch teilweise brutalen Vorgehen der Huthis. Könnten Sie das so bestätigen?
Al-Thawr: Auf jeden Fall. Die Huthis haben zahlreiche Mitglieder der Islamvertreter von den Muslimbrüdern, eine Partei, haben hunderte von denen jetzt festgenommen, also sowohl Anführer, auch ganz normale Mitglieder dieser Partei haben sie festgenommen. Man hat auch die Sorge, dass die Huthis versuchen, diese Partei zu provozieren, damit es zu Auseinandersetzungen mit denen kommt. Bislang ist das nicht der Fall, zumindest hier in Sanaa. Natürlich gibt es auch Folter, es gibt natürlich auch teilweise Häuser, die in die Luft gesprengt wurden von politischen Gegnern, damit man die Umgebung einschüchtert, was auch gewirkt hat.
"Für Waffengewalt hat man kein Verständnis"
Kaess: Auf der anderen Seite haben die Huthis ja ihren Aufstand begonnen, weil sie sich an den Rand gedrängt gefühlt haben. Haben Sie auch etwas Verständnis für die Motivation, für diesen Aufstand vonseiten der Huthis?
Al-Thawr: Für Waffengewalt hat man natürlich kein Verständnis, also das ist klar. Wir hatten im Jemen einen nationalen Dialog, der mit dem Arabischen Frühling angefangen hat. Wir hatten eine Initiative des Golf-Kooperationsrats. Da haben alle politischen Gruppierungen zusammengesessen, selbst die Separatisten saßen zusammen mit Salih-Anhängern, Mitgliedern der Islah-Partei, die Sozialisten, alle saßen zusammen. Die haben ein Papier gehabt, wo sich alle damit geeinigt haben. Und währenddessen war der Vormarsch der Huthis von Norden Richtung Süden, haben Städte eingenommen, haben Dörfer eingenommen während des Dialogs – dieses Problem der Milizen, die verhandeln, und gleichzeitig führen die natürlich auch Krieg.
Kaess: Sie waren ja selbst im Zuge des Arabischen Frühlings aktiv und gegen den langjährigen Machthaber Ali Abdullah Salih damals. Für wen sind Sie denn jetzt?
Al-Thawr: Ich bin immer noch für den Jemen. Was ich in Deutschland erlebt habe von Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, das sind eigentlich meine Träume und meine Wünsche, was ich auch gerne meiner Familie, meinen Verwandten, meinen Freunden wünsche, dass die das auch erleben, dass man einen Staat erlebt, der sich um seine Bevölkerung kümmert. Wenn ich jetzt sehe, wie das Auswärtige Amt in Deutschland sich bemüht, um einen sicheren Ausweg für mich und meine Familie ... So einen Staat wünsche ich mir für meine jemenitischen Verwandten und Freunde. Aber die Menschen müssen erst mal kapieren, dass man mit dem Frieden mehr erreichen kann als mit dem Krieg.
Träume von Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität
Kaess: Und sehen Sie denn im Moment jemanden, eine politische Kraft oder eine Kraft im Jemen, der diese Träume für einen demokratischen Jemen umsetzen könnte?
Al-Thawr: Einer kann das nicht. Es müssen erst mal alle Beteiligten es wollen, weil auch, wenn es einige wollen, und der andere das halt nicht will – der kann dann alles kaputt machen. Also fünf können ein Haus bauen und es reicht einer, der das in die Luft sprengt. Es muss ein gemeinsamer Glaube sein, dass man sagt: Jemen braucht endlich jetzt Frieden, Jemen braucht Ruhe, die Kinder spielen während der Bombardements Fußball auf der Straße. Das macht mich sehr traurig. Die Kinder haben es anders verdient, genauso wie meine Kinder, die in Berlin sind.
Kaess: Herr Al-Thawr, würden Sie sagen, die Dschihadisten der jemenitischen Al Kaida profitieren im Moment von diesem Konflikt?
Al-Thawr: Solche Gruppierungen – natürlich profitieren die davon, das ist klar. Sobald der Staat nicht mehr existiert, natürlich. Und auch selbst die Menschen, die hängen an irgendetwas, die brauchen irgendetwas. Wenn jetzt Al Kaida kommt, zum Beispiel habe ich gehört, dass die jetzt in Mukalla Gerichte gemacht haben in Hadramaut, und wenn ein Mensch ein Problem hat, dann geht er zu jemandem, der sein Problem löst. Und es ist auch noch eine Gefahr, dass ein Staat, was wir kennen, zur Illusion wird und so, wir brauchen gar keinen Staat.
Also in Sanaa hatten wir keinen Präsidenten gehabt und keine Regierung, und die Menschen haben gesagt: Wir brauchen doch keine Regierung. Wir haben Strom, wir haben Wasser, es funktioniert ja alles. Und ich sehe das als Gefahr, wenn der Mensch denkt, er braucht keine Regierung, und da kann jede Bande kommen und die Sache irgendwie verwalten und das Leben funktioniert. Und das ist natürlich nicht gesund.
Von Flucht über Land wird abgeraten
Kaess: Herr Al-Thawr, Sie haben es schon kurz angedeutet: Sie wollen versuchen, so schnell wie möglich das Land zu verlassen.
Al-Thawr: Natürlich versuche ich das, auch das Auswärtige Amt gibt sich Mühe, mich und andere Deutschland-Leute außer Landes zu bringen. Es gibt auch andere, die es schon über den Landweg geschafft haben. Natürlich, der Landweg ist auch für uns als Option, aber wie das Auswärtige Amt uns auch gesagt hat, wird davon abgeraten.
Kaess: Mohamed Al-Thawr war das, er ist Unternehmer im Jemen und wir haben ihn in Sanaa erreicht. Danke für das Gespräch heute Morgen!
Al-Thawr: Bitte schön, vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.