"Die Pressefreiheit ist nicht mehr gegeben", sagte Uca, "die Menschenrechte werden mit Füßen getreten". Alle Kritiker von Präsident Recep Tayyip Erdogan würden als seine Feinde angesehen. Am meisten hätten darunter die kurdischen Regionen zu leiden. Es reiche nicht aus, wenn europäische Politiker das kritisierten, meinte Uca. Stattdessen müsse Erdogan die rote Karte gezeigt werden.
So müsse man die Flüchtlingsvereinbarung mit der Türkei infrage stellen. Auch Bundeskanzlerin Merkel habe viel zu lange geschwiegen. Merkel hatte das Vorgehen der Türkei gegen kritische Journalisten als alarmierend bezeichnet und den betroffenen Reportern die Solidarität Deutschlands zugesichert.
Das Gespräch in voller Länge:
Ann-Kathrin Büüsker: "Feind der Pressefreiheit" - diesen Titel hat Recep Tayyip Erdogan gestern von den Reportern ohne Grenzen erhalten. Die Festnahmen mehrerer Redakteure der "Cumhurriyet" war da nur die Spitze des Eisbergs. In den vergangenen Monaten landeten in der Türkei zahlreiche Journalistinnen und Journalisten im Gefängnis oder wurden an ihrer Arbeit gehindert.
Die Regierung hat den Ausnahmezustand verlängert und geht mit ganzer Härte gegen ihre Kritiker vor, sei es in der Presse, der Politik oder der Gesellschaft. Besonders zu spüren bekommt das auch der Südosten des Landes, wo viele Kurden leben, in Diyarbakir beispielsweise. Da wurden die Bürgermeisterin und der Bürgermeister verhaftet, die Kontrolle einem regierungstreuen Beamten übergeben. Über die Situation in der Türkei möchte ich jetzt mit Feleknas Uca sprechen. Sie ist Parlamentsabgeordnete der HDP, gewählt für den Wahlkreis Diyarbakir. Guten Morgen, Frau Uca.
Feleknas Uca: Guten Morgen!
Büüsker: Frau Uca, vielleicht zu Beginn. Können Sie in unserem Gespräch frei sprechen, frei Ihre Meinung äußern, oder kann das gefährliche Konsequenzen für Sie haben?
Uca: Ich werde meine Meinung frei äußern, aber was dahinter kommt oder wie das Interview aufgenommen wird seitens der türkischen Presse oder der regierungsnahen AKP, werden wir dann ja sehen, was dann später auf uns zukommt.
Büüsker: Sie sind in der vergangenen Woche mit der Polizei aneinander geraten. Was ist da passiert?
Uca: Die beiden Co-Bürgermeister aus Diyarbakir wurden festgenommen. Dazu gab es Protestkundgebungen und eine Presseerklärung, die hier vor Ort vor der Stadtverwaltung abgegeben werden sollte von den Organisationen hier vor Ort. Die Polizei hat alles verboten und ist mit Wasserwerfern und Tränengas gegen die Menschen vorgegangen und mit Schlagstöcken auf die Leute zugegangen und hat die festnehmen wollen.
Und da ich mich vor die Frauen gestellt habe, die durch die Straßen geschleift worden und festgenommen werden sollten, habe ich mich davorgestellt und habe dann alles abbekommen an Gewalt männlicher Polizisten, was es so gibt.
"Es ist nichts anderes als ein ziviler Putsch hier im Gange"
Büüsker: Muss jeder, der in der Türkei jetzt seine freie Meinung äußert, der gegen Erdogan spricht, mit solchen Konsequenzen, mit solch gefährlichen Konsequenzen rechnen?
Uca: Ja, vor allem seit dem 15. Juli nach dem Militärputsch. Seitdem ist hier meiner Meinung nach ein ziviler Putsch im Gange. Tausende von Menschen haben ihre Arbeitsplätze verloren, Tausende von Menschen sind festgenommen worden, Co-Bürgermeister werden festgenommen, Presse- und Meinungsfreiheit ist im Lande nicht mehr gegeben. Man hat die Stadtverwaltung hier in Diyarbakir zum Beispiel zu einer Polizeistation umgewandelt und durch die Absetzung der beiden Co-Bürgermeister zum Beispiel den Zwangsverwalter eingesetzt, was eigentlich nicht zur Demokratie gehört.
Überall sind Polizeikontrollen, Polizeigewalt. Presseerklärungen vor Ort abzugeben während des Ausnahmezustandes ist verboten. Alles was Meinungsfreiheit angeht wird hier eingeschränkt und da geht man massiv durch. Selbst meine Co-Vorsitzende Figen Yüksekdag ist verurteilt worden gerade zur Haftstrafe von zehn Monaten. Das ist die Demokratie gerade in der Türkei und es ist nichts anderes als ein ziviler Putsch hier im Gange.
"Wir in den kurdischen Regionen leiden am meisten"
Büüsker: Aber Befürworter der Politik Erdogans, die verweisen ja auch immer wieder auf diese schwierige Lage seit dem Putsch, der überstanden wurde. Es ist doch auch für die Regierung gerade unglaublich schwer, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden, oder?
Uca: Glaube ich nicht. Erdogan weiß genau, wer sein Freund ist und wer sein Feind ist. Alle, die gegen die Politik von Erdogan sind, werden sofort als Feind dargestellt und auch gesehen, und deswegen wird durch die Politik auch gegen die dann massiv vorgegangen, ob es Festnahmen sind, ob es Repressionen sind oder ob Gewalt gegen sie eingesetzt wird. Das ist die Politik: Entweder bist Du mit Erdogan, unterstützt seine Politik, oder Du bist gegen ihn automatisch. Wir in den kurdischen Regionen leiden am meisten davon. Die Ausgangssperren, die jetzige politische Situation nach dem 15. Juli mit den Übergriffen hat ja massiv zugenommen, aber nicht nur das, sondern auch die Verhaftung von Journalisten, die Schließung von Fernsehstationen gerade in den kurdischen Regionen haben natürlich zugenommen.
Ein Kinder-TV, was eigentlich nur Zeichentrick-Filme zeigt, ist verboten worden. Nachrichtenagenturen, die erste weltweite kurdische Frauen-Nachrichtenagentur JINHA ist verboten worden letzte Woche. Die kurdische Nachrichtenagentur ist verboten worden. Journalisten werden festgenommen. Man spricht hier von Presse- und Meinungsfreiheit, aber dann sollte man bitte auch zu der Presse- und Meinungsfreiheit in den kurdischen Regionen sprechen, und auch wenn es um kurdische Journalisten geht sollte man hier von Presse- und Meinungsfreiheit sprechen können, nicht nur was türkische Journalisten angeht.
"Erdogan hat die rote Linie schon lange überschritten"
Büüsker: Okay, Frau Uca. Wenn ich Sie richtig verstehe, dann definiert Erdogan quasi die Kurden als seine Feinde, die Kurden selbst verstehen sich aber nicht als die Feinde Erdogans, sondern als seine Freunde?
Uca: Er sieht die Kurden vielleicht als Feinde an, aber ob die Kurden die Freunde von Erdogan sind oder nicht, muss man sie vielleicht selber fragen in der jetzigen politischen Situation. Wenn Du so massiv gegen die Kurden vorgehst, wenn die Menschen hier unter massiven Einschränkungen leben müssen, Ausnahmezustand gibt es hier in den Regionen schon seit Jahren, es ist nicht nur heute so. Dann dürfen wir nicht über die Politik der AKP-Regierung von Erdogan hinwegschauen über die Besetzung in den syrischen Gebieten, aber auch das Interesse jetzt in Mossul oder in Rakka, was die Operationen gegen den IS angeht. Das hat alles damit zu tun.
Ich glaube, man müsste jetzt Erdogan selber mal fragen, was versteht er denn unter Freund und Feind, was ist denn hier Kurde und was ist gegen mich. Da müsste man ihn selber mal fragen und da sollte er selber darauf antworten. Die Kurden sind seit der Staatsgründung der Türkei immer wieder mit der Politik der Regierung "ein Staat, eine Nation, eine Fahne" immer wieder unterdrückt worden, was die Freiheit angeht, was die Identität angeht, was die Sprache angeht, und in dieser Richtung hat man die Kurden bis heute nicht so richtig wahrgenommen oder deren Rechte ihnen gegeben.
Büüsker: Frau Uca, ich würde gerne noch mal einhaken. Sie haben eben gesagt, man müsste Erdogan mal fragen, wen er für Freund und für Feind hält. Müsste da die EU vielleicht auch stärker einschreiten und etwas tun?
Uca: Erdogan hat die rote Linie schon lange überschritten. Das muss man hier sagen. Nicht nur in der Presse- und Meinungsfreiheit, sondern was die Freiheiten für Gerechtigkeit hier in diesem Lande angeht. Ich denke, die EU hat lange zugeschaut, wie Erdogan die rote Linie überschritten hat. Jetzt kommen die Stimmen hoch, die Proteste gegen Presse- und Meinungsfreiheit, das ist schon mal ganz wichtig. Aber ich denke, das ist zu spät. Bevor es noch schlimmer wird und weitere rote Linien überschritten werden, muss die EU, auch was den Flüchtlings-Deal angeht, sich noch mal überdenken und noch mal genauer auf die Türkei schauen, was die Menschenrechte hier im Lande angeht.
"Dieses Land geht gerade in eine Krise"
Menschenrechte werden mit Füßen getreten und da kann es nicht sein, dass man heute noch von Flüchtlings-Deal spricht. Es kann nicht sein, dass Pressefreiheit und Meinungsfreiheit so massiv eingeschränkt wird und dann noch von Flüchtlings-Deal gesprochen wird oder Visafreiheit. Ich denke, gerade jetzt muss die EU konsequent durchschreiten und gegen die AKP-Politik, die jetzt gegen die Freiheit der Menschen in diesem Lande angeht, sich mehr einbringen. Auch Deutschland ist hier gefragt. Frau Merkel hat gestern zu der Presse- und Meinungsfreiheit ja einiges gesagt, schön und gut. Aber wer hat denn bis heute geschwiegen? Wer hat denn kurz vor der Wahl den Erdogan noch mal besucht hier?
Das sind Fragen, die man hier mal stellen muss, inwieweit die einzelnen europäischen Staaten in Kooperation sind und nur zuschauen und hinwegsehen über die politische Lage hier im Lande. Dieses Land geht gerade in eine Krise. Das ist ganz sichtbar hier zu sehen für alle und das ist sehr gefährlich. Um das zu verhindern, muss jetzt hier mehr Druck ausgeübt werden. Die rote Karte muss gezeigt werden. Es kann nicht sein, dass man immer nur kritisiert und wir sprechen von einer Bedrohung oder wir kritisieren. Wie lange will man denn noch kritisieren? Man muss jetzt handeln. Die Zeit ist da zum Handeln und nicht immer nur von Besorgnis zu sprechen.
Büüsker: So die Forderung von Feleknas Uca, türkische HDP-Abgeordnete. Ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch heute Morgen hier im Deutschlandfunk.
Uca: Vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.