Archiv

Lage in der Ukraine
"Die Europäische Union muss mehr machen"

Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Pavlo Klimkin, hat die EU aufgerufen, sich stärker in der Ukraine zu engagieren. Im Deutschlandfunk sagte er, dazu müssten die Länder auch vor Ort präsent sein. Über die Gewalt auf dem Maidan zeigte sich Klimkin betroffen.

Pavlo Klimkin im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Pavlo Klimkin, spricht in ein Megaphon, im Hintergrund mehrere Menschen und das Botschaftsgebäude mit der ukrainischen Flagge
    Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Pavlo Klimkin, gestern in Berlin (dpa / Inga Kjer)
    Tobias Armbrüster: Wir wollen noch einmal auf die Lage in der Ukraine blicken. Die USA haben in der vergangenen Nacht erste Sanktionen gegen Regierungsmitglieder in Kiew verhängt. In der EU wird noch über Sanktionen beraten. Aber die Entwicklung in der Ukraine, die wird natürlich auch in Moskau ganz genau verfolgt, denn die russische Regierung, die hat in den vergangenen Monaten viel dafür getan, dass die Ukraine sich eben nicht an die Europäische Union bindet, sondern unter dem Schutzschild Russlands bleibt. Wie verfolgen die Menschen in Russland die Auseinandersetzungen derzeit in ihrem Nachbarland, in der Ukraine? Mitgehört hat Pavlo Klimkin, der ukrainische Botschafter hier bei uns in Deutschland. Schönen guten Morgen, Herr Klimkin.
    Pavlo Klimkin: Guten Morgen.
    Armbrüster: Herr Klimkin, sind Sie glücklich über die schützende Hand aus Moskau?
    Klimkin: Ich glaube, in Russland soll man auch begreifen, dass die europäische Integration für die Ukraine Leitlinie ist, und wir wollen schließlich nicht weg von Russland. Wir wollen in die Europäische Union und wir brauchen ein Verständnis von Russland, weil Russland für uns ein ganz wichtiger strategischer Partner ist.
    "Der traurigste Tag in der ukrainischen Geschichte"
    Armbrüster: Wenn Sie sich an die Europäische Union enger binden wollen, warum greifen dann die Polizei-, warum greifen die Sicherheitsbehörden so hart durch, dass Menschen bei diesen Demonstrationen sterben?
    Klimkin: Ja, der letzte Tag war unglaublich emotional aufgeladen und das war bisher der traurigste Tag in der ukrainischen Geschichte und so wird er in die ukrainische Geschichte auch eingehen. Jetzt gilt es, dass man miteinander sprechen muss, und das ist ganz wichtig, dass diese Absprache vor wenigen Stunden getroffen wurde. In einigen Stunden wird man weiter sprechen. Da gibt es ein Verständnis, was man machen muss. Die Frage ist wie und ich hoffe wirklich auch mit meinem Helfen, dass es im Moment klappt, weil die rote Linie überschritten wurde.
    Armbrüster: Aber hat die Regierung in der Ukraine, hat die die Sicherheitsbehörden, hat die die Polizei noch unter Kontrolle?
    Klimkin: Ja, definitiv. Man hat es im Moment unter Kontrolle und die letzte Nacht zeigt das auch.
    Armbrüster: Das heißt, dass in der Nacht davor zahlreiche Menschen gestorben sind, das geschah unter der Kontrolle der Regierung?
    Klimkin: Ja, man kann die Ereignisse des letzten Tages im Moment nicht im Detail begreifen. Man hat die offizielle Bestätigung, dass mindestens 26 umgekommen sind, und es gibt Hunderte Verletzte. Deswegen ist es schon unglaublich und traurig, was in Kiew, aber nicht nur in Kiew abgelaufen war.
    Armbrüster: Sind denn in Kiew Scharfschützen der Polizei nötig, um diese Demonstrationen unter Kontrolle zu halten?
    Klimkin: Ich habe nichts davon gehört eigentlich über Scharfschützen. Einige Meldungen habe ich gesehen, aber offizielle Bestätigungen habe ich nicht.
    Armbrüster: Das heißt, Sie als Botschafter wissen darüber nichts?
    Klimkin: Über Scharfschützen nicht, keine offizielle Bestätigung.
    "Die Gewalt muss aufhören"
    Armbrüster: Aber trotzdem bleibt ja die Frage: Warum müssen Menschen sterben? Hätte da die Polizei nicht eine etwas andere Linie fahren können?
    Klimkin: Man soll alle Ereignisse in Minuten, nicht im Sekundentakt analysieren. Aber was da in Kiew abgelaufen war, aber nicht nur in Kiew, ist wirklich unglaublich traurig und unbegreiflich. Man kann vielleicht das auch nicht begreifen, weil die Lage auch emotional hoch aufgeladen war. Gestern war der 90. Tag, dass der Maidan in Kiew steht, und wenn man in klirrender Kälte steht und in solchen Auseinandersetzungen, deswegen ist es dazu gekommen. Jetzt gilt es wirklich, dass die Gewalt, von welcher Seite sie auch ausgeht, aufhören muss und dass man wirklich miteinander spricht, und zwar ganz effektiv und konsequent.
    Armbrüster: Herr Klimkin, ich glaube, viele Leute, die uns jetzt zuhören, die können das nicht ganz glauben, weil die sehen, die kriegen die Berichte über den durchaus gut organisierten Polizeiapparat in Kiew, die sehen, wie die Polizei in Kiew, wie die Sicherheitsbehörden immer wieder in diesen Demonstrationen eingegriffen haben, und die hören jetzt Sie, den Botschafter, der einfach nur von einem sehr traurigen Tag spricht. Passt das zusammen?
    Klimkin: Nein, ich spreche nicht über den traurigen Tag, weil ich ein Botschafter hier bin. Das ist für mich, für alle eigentlich wirklich emotional auch schwierig, diese Ereignisse zu begreifen. Man muss im Moment wirklich miteinander sprechen, um dann zu verstehen, wie das weitergeht.
    Armbrüster: Wie lange schätzen Sie denn wird der Waffenstillstand halten, der da vergangene Nacht beschlossen wurde?
    Klimkin: Ich hoffe, dass dieser Waffenstillstand dann für immer gilt.
    Armbrüster: Und was würde das für Ihr Land bedeuten, wenn die Europäische Union heute Sanktionen verhängt?
    Klimkin: Warten wir mal ab. Heute wird man in Brüssel über die Sanktionen beraten, aber auch, wie man in der Ukraine sich engagieren wird. In einigen Stunden, in weniger als einigen Stunden werden drei Außenminister, Herr Steinmeier, Herr Sikorski und Herr Fabius, mit dem Präsidenten und den Oppositionsmitgliedern sprechen, und dann kommen sie nach Brüssel mit mehr Einblick in die Ereignisse in der Ukraine, und dann hoffentlich kommt auch mehr Engagement und mehr Solidarität in der Ukraine davon.
    Armbrüster: Können diese drei Außenminister denn noch vermitteln? Sind die unparteiisch genug?
    Klimkin: Ja, ich glaube, die Europäische Union ist schon vor Ort und quasi Vermittlung ist da. Kommissar Füle und Baroness Ashton waren vielmals in Kiew. Aber es ist ganz, ganz wichtig, dass man auch vor Ort präsent ist.
    Armbrüster: Ich frage das, weil sich die Europäische Union ja ziemlich eindeutig auf die Seite der Opposition geschlagen hat.
    Klimkin: Man spricht über verschiedene Vermittlungsversuche. Jetzt hat man nichts festgelegt. Beispielsweise man spricht über die OSZE-Rolle und im Moment hat die Schweiz die Präsidentschaft in der OSZE. Man hat schon positive Erfahrungen dadurch gemacht, dass bei der Übergabe des Rathauses auch der schweizerische Botschafter dort war. Deswegen kann man auch verschiedene Varianten, verschiedene Optionen verstehen.
    "Die Europäische Union kann und muss auch in der Ukraine mehr machen"
    Armbrüster: Das heißt, die Schweiz ist ein besserer Gesprächspartner für Sie als die Europäische Union?
    Klimkin: Nein, das habe ich nicht gesagt. Das habe ich einfach gesagt, dass es einmal funktioniert hat. Wichtig ist, dass man wie gesagt sich wirklich engagiert, und die Europäische Union kann und muss auch in der Ukraine mehr machen.
    Armbrüster: Ich will noch mal auf die Sanktionen zurückkommen. Die USA haben ja bereits Sanktionen verhängt gestern Abend gegen mehrere Regierungsmitglieder und die EU wie gesagt überlegt, debattiert darüber. Der deutsche Bundespräsident hat sich bereits dafür ausgesprochen. Wie sehen Sie das? Kann das Ihrem Land wirklich schaden?
    Klimkin: Ich kann über Sanktionen im Moment nicht sprechen, weil ich nicht weiß, welche Sanktionen verhängt werden können. Es geht vielleicht um Visa-Sanktionen, aber vielleicht auch um weitere Sanktionen, und wenn die kommen, können wir das auch weiter besprechen.
    Armbrüster: Sagt hier bei uns heute Morgen live im Deutschlandfunk Pavlo Klimkin, der ukrainische Botschafter hier in der Bundesrepublik. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Klimkin.
    Klimkin: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.