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Lage in der Ukraine
"Putin will keinen offenen Krieg"

An einem offenen Krieg habe der russische Präsident Putin zwar kein Interesse, sagte der frühere Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Horst Teltschik, im DLF, aber an einer Destabilisierung der Ukraine. Die außenpolitischen "Erfolge" lenkten nämlich von innenpolitischen Problemen ab.

Horst Teltschik im Gespräch mit Christine Heuer |
    Der ehemalige Kanzleramts-Vize Horst Teltschik spricht beim Festakt anlässlich des 25. Jahrestages der Gründung des Landes Thüringen und der Konstituierung des Thüringer Landtags.
    Der ehemalige Kanzleramts-Vize Horst Teltschik: "Glaube nicht, dass Putin einen offenen Krieg haben will." (picture alliance / dpa / Michael Reichel)
    Man sei abhängig von Behauptungen verschiedener Parteien, sagte Teltschik, der den früheren Bundeskanzler Helmut Kohl beriet. Moskau sage, es fänden Attentatsversuche auf der Krim statt. Die Ukraine stelle hingegen Behauptungen auf, wegen vermeintlicher Truppenbewegungen der Separatisten in der Ostukraine. Gleichzeitig gebe es eine politische Eskalation. "Wer hat ein Interesse an der Destabilisierung der Ukraine? Das ist nach wie vor Moskau", sagte Teltschik.
    Karte der Krim und der Ukraine
    Grafik der durch Russland annektierten ukrainischen Halbinsel Krim (dpa-Grafik: D. Dytert, Redaktion: D. Dytert/A. Stein/W. Jung )
    Mit Außenpolitik von innenpolitischen Problemen ablenken
    Er glaube, dass Putin sich auf einer außenpolitischer Erfolgswelle sehe. Er habe eine Anbiederung von Erdogan erlebt, er sei gemeinsam mit dem dortigen Regime in Syrien in der Offensive und könne jetzt mit der Destabilisierung der Ukraine deutlich machen, dass die Entscheidung, die Krim zu annektieren richtig war. Zudem finde im September die Wahl des russischen Parlaments, der Duma, statt. Angesichts innenpolitischer Probleme seien außenpolitische Erfolge durchaus sinnvoll. Teltschik "glaube nicht, dass er einen offenen Krieg haben will." Die Destabilisierungen, wie sie momentan stattfinden, würden ausreichen.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Heuer: Guten Morgen, Herr Teltschik!
    Horst Teltschik: Guten Morgen, Frau Heuer!
    Heuer: Wie gefährlich finden Sie die jüngste Entwicklung in der Ukraine?
    Teltschik: Ja, sie ist zumindest besorgniserregend, wie Herr Hug bereits sagte. Wir sind jetzt abhängig von Behauptungen unterschiedlicher Parteien. Moskau behauptet, dass Attentatsversuche auf der Krim stattfinden, sie kann von niemand anderes, von keiner Seite bestätigt werden. Die Ukraine stellt Behauptungen auf über Truppenmassierung an ihrer Grenze in der Ostukraine, das kann auch niemand außer der Ukraine behaupten oder bestätigen. Das heißt, gleichzeitig erleben wir eine politische Eskalation, Putin sagt Gespräche im Minsker-Rahmen, die jetzt im September in China anlässlich des 20er-Gipfels stattfinden sollten, vorläufig ab und umgekehrt mobilisiert die Ukraine an der Grenze zur Krim. Das Ganze ist schon besorgniserregend.
    Heuer: Herr Teltschik, aber Sie haben jetzt noch mal die Situation geschildert. Was bedeutet das alles, zündelt Moskau da absichtlich, möchte Moskau den Friedensprozess vielleicht beenden?
    Teltschik: Ja, man kann über die Motive jetzt nur spekulieren.
    Heuer: Machen Sie es doch mal!
    "Es Putin ausreicht, deutlich zu machen, dass der Westen in die Defensive gerät"
    Teltschik: Also, wer hat Interesse an einer Destabilisierung der Ukraine, das ist natürlich nach wie vor Moskau. Ich glaube, dass Putin bezogen auf die Gesamtsituation in seinem Lande auf einer außenpolitischen Erfolgswelle sich sieht. Er hat gerade die Anbiederung des türkischen Präsidenten Erdogan erlebt, er ist zusammen mit der syrischen Regierung in der Offensive in Syrien und er kann jetzt mit der Destabilisierung der Ukraine deutlich machen, dass seine Entscheidung, die Krim zu annektieren, richtig war. Man darf ja nicht übersehen, er hat im September Duma-Wahlen und aufgrund seiner innenpolitischen wirtschaftlichen Probleme sind solche außenpolitischen – im Sinne Russlands – Erfolge durchaus hilfreich.
    Heuer: Was glauben Sie, wie weit Wladimir Putin, wenn Ihre Analyse stimmt, gehen wird? Wird er einen Krieg, einen offenen Krieg in der Ukraine riskieren?
    Teltschik: Ich glaube nicht, dass er einen offenen Krieg haben will. Es reichen ja Destabilisierungen der Form, wie sie im Augenblick stattfinden. Sie dürfen ja nicht vergessen, dass die Ukraine ja auch gerade ein Großmanöver durchgeführt hat im Süden der Ukraine, was Russland ja auch massiv verurteilt hat. Und von daher bin ich überzeugt, dass es Putin ausreicht, deutlich zu machen, dass hier der Westen in die Defensive gerät, und das reicht ihm letztlich.
    Heuer: Und der Westen antwortet auf all das mit: Wir setzen weiter auf Diplomatie. Also unterm Strich: Wirkt alles ein bisschen hilflos, was wir versuchen in der Ukraine?
    "Auf beiden Seiten gibt es Schwerfälligkeiten, den Verpflichtungen nachzukommen"
    Teltschik: Ja, natürlich. Denn was die Lösung der Ostukraine betrifft, verzögert ja auch Kiew und die Regierung und der Präsident Poroschenko die Lösungen, die er auch zugesagt hat in Minsk. Auf beiden Seiten gibt es, wenn man das vorsichtig sagt, Schwerfälligkeiten, den Verpflichtungen nachzukommen. Putin hat ja jetzt die Minsker-Gespräche, die in China fortgesetzt werden sollten im September, vorläufig abgesagt, obwohl sein Ministerpräsident Medwedew vor Kurzem noch gesagt hat, das ist der wichtigste Rahmen, in dem die Gespräche über die Ukraine stattfinden können. Bleibt die OSZE, und Herr Hug hat ja deutlich gemacht, dass sie tägliche Berichte veröffentlichen. Ich verfolge die sehr aufmerksam und daraus können Sie entnehmen, dass sich in der Ostukraine nichts in positive Richtung entwickelt hat. Jeden Tag finden Detonationen von beiden Seiten statt und von daher bleibt aber die OSZE vor Ort das einzige Instrument. Und Sie wissen ja, wer im Augenblick die Präsidentschaft in der OSZE hat, das ist der deutsche Außenminister Steinmeier. Und ich hoffe, er hat ja nun verkündet, dass er am Montag sich mit dem russischen Außenminister Lawrow in Jekaterinburg trifft, das ist die richtige Schiene, um im Gespräch zu bleiben.
    Heuer: Herr Teltschik, wir müssen leider aufhören,…
    Teltschik: Ja, klar.
    Heuer: aber Sie haben den Punkt gemacht, beide Seiten sind beteiligt, Diplomatie geht weiter, Deutschland ist gefordert. Horst Teltschik, der frühere Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch, Herr Teltschik!
    Teltschik: Ja, gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.