Sandra Schulz: Der Bürgerkrieg in Syrien, der läuft jetzt seit bald fünf Jahren. Seit dem Ausbruch des Konflikts im Frühjahr 2011 starben nach UN-Angaben 250.000 Menschen, Millionen sind auf der Flucht. Aber zum Ende des vergangenen Jahres gab es doch ermutigende Signale, auch wenn Beobachter das mit großer Zurückhaltung sagen, zum ersten Mal seit Beginn des Krieges erscheint eine Waffenruhe möglich. Im Dezember hatte der UNO-Sicherheitsrat Resolution 2254 verabschiedet, nach mehreren Resolutionen zu Syrien die erste, die sich mit einem politischen Übergangsprozess beschäftigt.
Das jahrelange Patt im UNO-Sicherheitsrat scheint überwunden, Ende Januar sollen Friedensgespräche beginnen. Wird 2016 also das Jahr, in dem es gute Nachrichten geben könnte aus Syrien? Darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen.
Am Telefon begrüße ich Bente Scheller, sie ist die Leiterin des Beiruter Büros der Böll-Stiftung. Heute Morgen haben wir sie allerdings in Norddeutschland erreicht. Guten Morgen!
Bente Scheller: Guten Morgen!
Schulz: Diese Resolution 2254, die der UNO-Sicherheitsrat vor Weihnachten verabschiedet hat, wie viel Hoffnung auf Frieden verbinden Sie damit?
"Wille und Umsetzung zwei verschiedene Sachen"
Scheller: Es ist ja wirklich beachtlich, wie Sie sagten, dass es diese Resolution überhaupt gegeben hat, eine Resolution, die eine politische Lösung näher zu rücken scheint als all ihre Vorgängerresolutionen. Aber wir sehen natürlich bei allem, was bislang in den letzten vier Jahren zu Syrien verabschiedet wurde, der gute Wille ist eine Sache, und die andere Sache ist die Umsetzung, und da gebricht es ja bislang an positiven Signalen, dass die UNO-Resolution tatsächlich so umgesetzt werden kann, wie es angedacht ist.
Schulz: Und nachdem sie verabschiedet worden ist, scheinen die Gefechte jetzt in Syrien direkt erst mal heftiger geworden zu sein. Woran liegt das?
Scheller: Ich denke, es liegt einerseits daran, dass viele versuchen, noch das abzustecken, was sie davor bereits abstecken können. Es soll ja eine Waffenruhe geben, und ich denke, viele versuchen, davor eben noch bestimmte Dinge in ihrem Sinne einzurichten. Ich weiß aber auch nicht, ob wir tatsächlich es mit einer Verstärkung der Gefechte zu tun haben oder ob wir im Moment nur stärker darauf blicken, weil natürlich die Hoffnung ist, dass irgendwann die Waffen schweigen. Und da ist natürlich auch noch mal ein Schlaglicht darauf, was passiert.
Ich denke, wenn wir uns anschauen, wie viele Krankenhäuser, wie viele Schulen, wie viele tatsächlich zivile Ziele in den letzten Wochen getroffen worden sind, ist es nicht explizit mehr als vorher. Aber jetzt gibt es ja diese UNO-Resolution, die eigentlich festschreibt, dass genau diese Ziele von allen Konfliktparteien ausgespart werden sollen.
Schulz: Und die Waffenruhe, die Sie ansprechen, die soll ausgehandelt werden vom UN-Sonderbeauftragten de Mistura. Sehen Sie eine echte Chance, dass das möglich ist?
"Ein landesweiter Waffenstillstand klingt sehr ambitioniert"
Scheller: Herr de Mistura war ja bereits angetreten mit der Idee, lokale Waffenstillstände zu schließen, und das war ja bereits etwas, wovon er dann sehr schnell Abstand genommen hatte. Es ist sehr schwierig, da haben sich seine Vorgänger ja auch schon die Zähne ausgebissen, die Konfliktparteien hier an einen Tisch zu bringen. Und ein landesweiter Waffenstillstand klingt sehr ambitioniert. Das heißt nicht, dass man es nicht versuchen sollte, aber ich denke, dass der Skeptizismus hier berechtigt ist. Was auf lokaler Ebene bislang nicht gut funktioniert hat, wie soll das dann, innerhalb sehr kurzer Zeit ja auch, landesweit kommen?
Schulz: Und was ist mit dem IS und diesem Al-Kaida-Ableger Al Nusra? Die können doch in die Gespräche sowieso nicht eingebunden werden, oder?
Scheller: Das ist im Moment ja auch nicht die Absicht. Ich denke ja, dass alle sich einig sind. Der IS soll weiterhin bekämpft werden, aber es gibt ja ein ganzes Panorama von Oppositionsgruppen, die dabei sein sollen, die eben auch in Saudi-Arabien waren, um sich auf ein gemeinsames Oppositionsbündnis zu einigen. Und da ist natürlich bedenklich, dass wir sehen, auch diese sind weiterhin im Visier des Regimes und seiner Partner, also einerseits haben wir ja in den letzten Tagen gesehen, dass ein wichtiger Rebellenführer, Sahran Allusch, getroffen wurde und getötet wurden.
Das ist sicherlich niemand, dem man jetzt eine Träne nachweinen müsste, kein guter Mensch in dem Sinne, wohl aber ein mächtiger Mensch, ohne den das Ganze sehr viel schwieriger sein dürfte. Wir haben ebenfalls gesehen, dass das Regime Mitglieder dieses Oppositionsbündnisses auf dem Weg zu einem Treffen verhaftet hat. Ich denke, dass das relativ kritische Signale sind. Einerseits gibt es das Lippenbekenntnis des Regimes dazu, dass es Verhandlungen führen will, aber in der Praxis tut es zusammen mit seinen Verbündeten genau das Gegenteil.
Schulz: Könnte es denn sein, dass die Terroristen, also IS und eben Al-Nusra, dann unter dem Strich davon profitieren, dass sozusagen alle anderen Kräfte sich engagieren und erst mal aufreiben und vielleicht weniger Engagement auf die Bekämpfung eben des IS aufwenden können?
"Am Kampf gegen den IS auf jeden Fall festhalten"
Scheller: Ich denke, dass wir hier zwei Dinge im Blick haben müssen, einerseits, dass das Regime sich bislang noch nicht sehr stark in der Bekämpfung des IS hervorgetan hat, sondern das Regime richtet sich ja in erster Linie gegen andere Rebellengruppen, und das war für den IS natürlich immer ein ganz großer Vorteil, da selbst dann eben nicht so stark angegriffen zu werden. Ich denke, dass es darauf wenig Einfluss hat, ob die beiden verhandeln oder nicht, denn insgesamt ist ja die internationale Koalition insbesondere sich auch einig.
Der Kampf gegen den IS ist etwas, an dem man auf jeden Fall festhalten muss. Da wäre es dann erst riskant, wenn es tatsächlich Schritte zu einer Einigung gäbe, zu einer Lösung des ursprünglichen Konfliktes in Syrien, der dann überhaupt ermöglichen würde, IS sinnvoll zu bekämpfen. Aber da sind wir eben noch relativ weit weg. Deswegen denke ich nicht, dass der IS bereits jetzt meint, profitieren zu können.
Schulz: Und da sind wir auch bei einer der nächsten großen Fragen bei diesem Konflikt, die allerdings auch offengeblieben ist bei dieser Resolution aus dem Dezember, nämlich die Frage, was wird aus Assad? Hat er eine Zukunft, oder hat er eben keine? Wie sehen Sie das?
"Russland ist da der härteste Gegner"
Scheller: Das ist ja eine Sache, bei der die Opposition insgesamt sich einig ist: Mit Assad gibt es keine Zukunft, langfristig gesehen, und der Stolperstein ist eben, wann in diesem Transitionsprozess soll er gehen. Da gibt es eben das sehr berechtigte Ansinnen, ihn so früh wie möglich beziehungsweise noch bevor die eigentliche Transition beginnt, auszuschließen. Ich denke, dass Russland da der härteste Gegner ist. Sie wollen Assad auf jeden Fall halten, und engagieren sich im Wesentlichen militärisch ja auch dafür.
Und das ist natürlich ein ganz großer Stolperstein, weil wir in den letzten Jahren gesehen haben, die Forderung nach einem Rücktritt des Präsidenten Assad sind stark gewesen, sowohl national als auch international, aber niemand hat es erreichen können und auch zugelassen, dass er tatsächlich abgesetzt wird. Dementsprechend glaube ich, dass für viele wirklich klar ist, wenn es keine Einigung jetzt darauf gibt, wann er abtreten soll, und auch ein Bekenntnis der internationalen Kräfte, dass sie dann alles tun werden, um dies auch durchzusetzen, dann ist es sehr schwierig, sich darauf einzulassen, weil relativ klar ist, dass die jahrelang nicht geschehen ist und wozu es keine internationalen Bestrebungen gab, es tatsächlich umzusetzen, warum sollte es ausgerechnet jetzt dann ein Umdenken in dieser Richtung geben? Warum sollte ausgerechnet jetzt doch der Wille da sein, notfalls auch militärisch durchzusetzen, dass Assad abtritt.
Schulz: Bente Scheller leitet das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut. Heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Haben Sie ganz herzlichen Dank für Ihre Einschätzungen! Schönen Tag noch!
Scheller: Ich danke Ihnen, ebenso!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.