"Tagtäglich fühlten wir uns in den vergangenen Jahrzehnten so, dass Venedig eigentlich vergewaltigt wurde von diesen Menschenmassen, die über die Stadt hinwegrollten", sagt Petra Reski, die seit drei Jahrzehnten in der Lagunenstadt lebt. Mit der Coronavirus-Pandemie und dem Wegbleiben der Touristen habe sich das geändert. Die sinnlichen Eindrücke, die man derzeit in Venedig erfahre, habe es in der Form noch nie gegeben: "So still wie im Moment hat man Venedig wohl noch nie erlebt", so die Journalistin und Publizistin.
Die Stadt sei quasi unter sich. Derzeit leben laut Reski in Venedig 52.000 Menschen, die auch aus dem Haus dürfen und - zum Vergleich - nicht die 150.000 wie etwa zu Thomas Manns Zeiten ("Der Tod in Venedig"), als die Cholera Anfang des vergangenen Jahrhunderts wütete.
Hohe Strafe für Kanufahren
Nach wie vor seien die Einschränkungen für die Einwohner jedoch groß, sagt Reski. Sie dürfe sich zwar mittlerweile wieder mehr als 200 Meter von ihrer Wohnung weg bewegen, dennoch sei beispielsweise das Fahren mit Booten nicht erlaubt. "Die Erlasse kommen vom Festland und niemand dort hat die Lebenswirklichkeiten der Venezianer miteinbezogen. Man darf sich noch nicht einmal mit dem Kanu fortbewegen. Ein Freund von mir hat dafür eine Strafe von 500 Euro bekommen", berichtet Reski.
Insgesamt sei die Hoffnung in der Stadt groß, dass es für die Zeit nach Corona ein Umdenken gibt, was beispielsweise die Lenkung von Touristenströmen betrifft. Im Verhältnis zu den wenigen Einwohner gebe es sehr viele Bürgerinitiativen, die sich alle über die Stadt Sorgen machten.
Zwangsvereinigt mit dem Festland
Das Problem der Lagunen-Bewohner sei aber, dass man quasi zwangsvereinigt sei mit dem Festland, wo in Dörfern und mittelgroßen Städten die überwiegende Mehrheit der Kommune Venedig lebt. So könnten die Bewohner der Lagune nicht über den Bürgermeister entscheiden, sondern der werde vom Festland aus bestimmt.
"Und da herrscht eine ganz andere Auffassung logischerweise. Man hat dort eher das Interesse Venedig als 'Brand' zu verkaufen und nicht als Lebensraum zu betrachten. Das widerstrebt unserer Realität. Demzufolge hoffen wir, dass sich das in irgendeiner Art und Weise auswirkt", sagt Petra Reski. Sie befürchte allerdings, dass sich die großen Interessen der multinationalen Unternehmen wie die Kreuzfahrtgesellschaften wenig von den Bedenken der Venezianer leiten lassen werden.