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Laizismus in Frankreichs Schulen
Religiöse Störfälle sollen härter bestraft werden

Der Mord an einem Geschichtslehrer hat Frankreich in einen Schockzustand versetzt - und die Diskussion um Verstöße gegen das laizistische Prinzip in Frankreichs Schulen wieder neu entfacht. Die sollen laut Bildungsminister Jean-Michel Blanquer in Zukunft härter geahndet werden.

Von Suzanne Krause |
Leerer Klassenraum in Breuillet, Frankreich, am 13.10.2020
Schule in der französischen Gemeinde Breuillet (imago images / Myriam Tirler)
"Wer die Schule angreift, greift die Republik an". Diese Botschaft verbreitete Staatspräsident Emmanuel Macron wenige Stunden nach dem grauenhaften Attentat am Tatort, der Mittelschule in Conflans Sainte Honorine. Exakt zwei Wochen zuvor hatte Macron schon zur Rolle der "Schule der Republik" gesagt: "Die Schule ist wirklich das Herzstück unseres laizistischen Raums. Der Ort, an dem wir das Bewusstsein der Kinder formen, damit sie freie, rational denkende Bürger werden, die selbst ihr Leben wählen können. Somit ist die Schule unser aller Schatz."
Das nationale Schulwesen, erklärte Macron, sei eine Achse im geplanten Gesetz gegen islamistischen Separatismus. Um Minderjährige vor religiöser Indoktrinierung zu bewahren, will der Staatspräsident Heimunterricht verbieten. Konfessionelle Privatschulen sollen stärker überwacht, illegale Koranschulen behördlich geschlossen werden. Bildungsminister Jean-Michel Blanquer verspricht, Verstöße gegen das Laizitäts-Prinzip härter zu ahnden. Schon seit 2004 ist es Schülerinnen und Schülern gesetzlich verboten, Merkmale religiöser Zugehörigkeit zur Schau zu stellen. Dafür nehmen andere Vorfälle zu, sagt Blanquer.
Macron in der Nähe des Tatortes
Nach Terroranschlag in Paris - Überfällige Debatte über Islamismus 
Nach der Wiederveröffentlichung der Mohammed-Karikaturen in der Zeitschrift "Charlie Hebdo" wurde ein Mann Opfer eines Anschlags in Paris. Ob ein Zusammenhang besteht, ist unklar.
"In friedlicher Manier die Werte der Republik hochhalten"
"Da wird ein ärztliches Gefälligkeit-Attest vorgelegt, um das Kind vom Schulschwimmen fernzuhalten. Da weigert sich ein kleiner Junge, einem Mädchen die Hand zu geben. Manche Familie verbietet ihrem Sprössling, in der Musikstunde zu singen. Dabei mühen wir uns, den Musikunterricht zu fördern. Da bittet mancher Teenager, beim Schulausflug beten zu dürfen. Solche Verhaltensweisen sind in der Schule der Republik nicht angebracht. Wir antworten, indem wir in friedlicher Manier die Werte der Republik hochhalten."
Vor drei Jahren ließ der Bildungsminister in jedem Schulamt Delegierte ernennen, die bei Verstößen gegen das Laizitäts-Prinzip das Lehr- und Schulpersonal mit Rat und Tat unterstützen sollen. Seither werden solche Vorfälle zentral erfasst. Zwischen September 2019 und März 2020 wurden, so Blanquer, 935 Verstöße gemeldet. Pi mal Daumen so viel wie jeweils in den zwei Jahren zuvor. Aber:
"Seit März, als Frankreich wegen der Corona-Pandemie in Lockdown ging, gab es während des virtuellen Unterrichts ganz neue Phänomene: Da haben Schüler religiöse Gesänge abgespielt, Gebets-Aufrufe verbreitet, Propaganda-Botschaften bis hin zu Bildern von der Enthauptung von Menschen. Wir haben systematisch Anzeige erstattet und die virtuellen Klassenzimmer nunmehr technisch absichern lassen."
Frankreichs Lehrpersonal verunsichert
2004 deckte ein Bericht des Bildungsministeriums zum Thema "Merkmale religiöser Zugehörigkeit im Schulbereich" erstmals islamistische Umtriebe auf. Mitverfasst wurde die Erhebung von Jean-Pierre Obin, damals Ober-Inspektor für das Schulwesen und Verfechter einer kompromisslosen Umsetzung des Laizitäts-Prinzips. Kürzlich beschwor Obin, mittlerweile pensioniert, in einem Essay die Regierung, wesentlich härter gegen Islamismus an den Schulen vorzugehen.
"Die Aufgeschlossenheit für islamistische Ideologien ist bei jungen Muslimen weitaus größer als allgemein in der einheimischen muslimischen Bevölkerung, insbesondere bei den Älteren. Das ist im Hinblick auf die Zukunft natürlich besorgniserregend. Deshalb müssen wir die Rolle der Schule im Kampf gegen diese todbringenden Ideologien neu und langfristig definieren."
Der grauenhafte Mord an Geschichtslehrer Samuel Paty dürfte Frankreichs Lehrpersonal, die ganze Gesellschaft, nachhaltig erschüttern, verängstigen. Am 2. November, nach den Herbstferien, ist an allen Schulen im Land eine Gedenkveranstaltung geplant.