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Lampedusa erwartet Ansturm aus Nordafrika

Das Meer rund um die italienische Insel Lampedusa hat sich vom Winter beruhigt. Die Insulaner erwarten nun wieder Bootsflüchtlinge aus Nordafrika. Die ersten 300 Menschen aus Somalia und Äthiopien sind bereits angelandet - und das mitten im Wahlkampf um das Bürgermeisteramt.

Von Karl Hoffmann |
    Auf den ersten Blick wirkt alles ganz normal auf Lampedusa. In der Hauptstraße des kleinen Ortes sind Steinmetze am Werk. Die Flaniermeile wird für die Urlaubssaison herausgeputzt. Und außerdem stehen Gemeindewahlen an. Bürgermeister de Rubeis will wiedergewählt werden. Ausgerechnet jetzt kommen wieder neue Flüchtlinge an. De Rubeis gibt sich gelassen, so schlimm wie im letzten Jahr wird es wohl nicht werden:

    "Ich erinnere mich, dass damals von 200.000 bis 300.000 Flüchtlingen die Rede war. In Wahrheit kamen nur 53.000 an. Die jetzige Regierung hält sich zurück mit Schätzungen, man spricht von 20.000 Migranten, die aufs Jahr verteilt ankommen sollen. Am Ende werden es aber nicht mehr als 3000 bis 5000 sein."

    Zahlenspiele, die die Bürger nicht mehr beruhigen seit am Wochenende auf einmal die ersten 300 Flüchtlinge aus Somalia und Äthiopien eingetroffen sind. In Libyen hat sich die Lage beruhigt, ebenso wie das Winterwetter auf dem Meer. Die alten Lampedusaner sind alle zur See gefahren. Der Signor Francesco zweifelt nicht, dass überladene Fischerboote jetzt wieder massenhaft die Überfahrt von Afrika nach Europa wagen werden.
    "Wir haben unglaubliche Angst, pure Angst. Kaum zu glauben, dass es bisher keine Toten gegeben."

    Vielen sitzt noch der Schrecken über die gewalttätigen Unruhen in den Knochen, die im vergangenen September mit einem verheerenden Brand im Aufnahmelager endeten. Fast zwei Monate hatte Lampedusa im letzten Jahr einer beispiellosen Menschenflut standhalten müssen. Bürgermeister de Rubeis benutzt starke Worte:
    "Es waren 58 Tage der Schande, in denen die Migranten am Strand kampieren mussten und oberhalb des Hafens, was wir heute den Schandhügel nennen, voller Angst, in Missachtung aller Menschenrechte, eine Schande, die sich nicht wiederholen wird."

    Leichter gesagt als getan. Seit dem Brand im letzten Jahr ist das Aufnahmelager geschlossen. Einem möglichen Massenansturm wäre die kleine Insel erneut hilflos ausgeliefert. De Rubeis appelliert dringend an die Verantwortlichen in Rom:

    "Die Regierung muss jetzt so schnell wie möglich das Aufnahmelager wiedereröffnen. Erstens, um die fundamentalen Menschenrechte der Migranten zu garantieren. Und zweitens, weil wir noch mal so einen Notstand wie im letzten Jahr nicht mehr erleben wollen, den wir noch deutlich in Erinnerung haben, als die Immigranten hier wie Tiere unter freiem Himmel hausen mussten."

    Der Tourismus, Haupteinnahmequelle für die Inselbewohner hat einen massiven Einbruch erlitten. Niemand gibt sich auf Lampedusa Illusionen hin, dass es der heimischen Wirtschaft in diesem Jahr besser ergehen wird. Giuseppe Fragapane ist beinahe 80 und war früher einmal Bürgermeister. Auf seine geliebte Insel werden solange Migranten angekommen, wie es Menschen auf dieser Erde gibt, sagt er. Es gebe nur eine Lösung für das Problem:
    "Man muss die Gründe erforschen, warum diese Menschen aus ihren Heimatländern fliehen. Das einzig Sinnvolle wäre, ihnen dort zu helfen, woher sie kommen. Was mich am meisten betroffen macht, ist, dass die Leute auf dem Weg nach Lampedusa sterben. Dabei riskieren wir selbst, an einem banalen Herzinfarkt zu sterben, weil es bei uns nicht mal ein Krankenhaus gibt."

    Manchmal fühlen sich die Inselbewohner ebenso alleine gelassen, wie die Migranten, die sie aufnehmen müssen.