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Lampedusa
Zwischen Alltagssorgen und Flüchtlingsproblematik

Obwohl das Auffanglanger für Flüchtlinge auf Lampedusa vor Monaten geschlossen wurde, findet die kleine Mittelmeerinsel nicht zur Normalität zurück. Der andauernde Ausnahmezustand ist zum Alltag geworden.

Von Karl Hoffmann | 21.03.2014
    Noch sind die tragischen Ereignisse des 3. Oktober 2013 nicht vergessen. Nach dem Untergang eines Flüchtlingsbootes bargen Suchmannschaften 366 Leichen, die in einer endlosen Reihe von Särgen abtransportiert wurden.Von einer europäischen Tragödie sprach der eigens angereiste EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso:
    "Europa kann nicht wegschauen, wenn Flüchtlingsboote untergehen und Hoffnungen und Leben zerstört werden."
    Unter dem Eindruck der Schiffskatastrophen vor der Insel Lampedusa hat die EU-Kommission das Budget der Grenzüberwachungsagentur Frontex erhöht. Außerdem führte sie Ende letzten Jahres das Grenzüberwachungssystem "Eurosur" ein. Es regelt den Informationsaustausch zwischen den nationalen Behörden. Italien stellte dafür seine Marineeinheiten zur Verfügung und wählte als Bezeichnung dafür den stolzen Herrscherbegriff aus der römischen Antike "Mare Nostrum" - "unser Meer".
    Seither werden Flüchtlingsboote, wenn möglich, schon auf hoher See aufgespürt und gerettet und die Insassen direkt – ohne Umweg über Lampedusa - nach Sizilien oder auf das italienische Festland gebracht. Für Giusi Nicolini, die inzwischen weltweit bekannt gewordene Bürgermeisterin von Lampedusa, sind die Probleme damit nicht gelöst.
    "Angesichts von 366 Särgen haben wir viele Tränen vergossen . Aber nach den Tränen müsste nun jeder die ihm übertragene Verantwortung übernehmen. Wer die Macht hat, über Leben und Tod dieser Menschen zu entscheiden, muss die Dinge jetzt ändern."
    Seit dem Flüchtlingsdrama von Oktober kommen mehr Touristen
    Sprich: Europa muss seine Politik gegenüber den Flüchtlingen ändern und ihnen auf ihrer Flucht beistehen, um zu verhindern, dass sie ihr Leben skrupellosen Schleppern und Bootsführern von morschen Fischkuttern anvertrauen. In den letzten Monaten sind in Lampedusa keine Migranten mehr angelandet. Stattdessen zieht die Insel seit dem Drama vom letzten Oktober neue Besucher an. Künstler zum Beispiel, die sich von der Insel und dem Schicksal der Menschen inspiriert fühlen. Auch in Deutschland erscheinen Bücher über Lampedusa . Internationale Festivals werden demnächst bestückt mit Dokumentarfilmen über die Insel. Einen hat der österreichische Regisseur Jonas Brossmann soeben abgedreht. Drei lange Winter hat er auf Lampedusa verbracht um zu verfolgen, wie sich die Insel verändert hat.
    "In den ersten Wintern haben wir eigentlich kaum Medienleute angetroffen, aber seit dem 3. Oktober hat sich das geändert. Jetzt sind auch im Winter viele Journalistinnen und Journalisten hier und die meisten Lamepdusani haben schon einige Interviews gegeben."
    Klamme Gemeindekassen, marode Straßen
    Den meisten geht es natürlich um die Flüchtlingsproblematik. Regisseur Großmann glaubt, dass sich die Lamepdusaner bis heute nicht daran gewöhnt haben. Im Gegenteil.
    "Was über die Zeit uns klar geworden ist, ist die Überforderung und die Müdigkeit, immer wieder aufs Neue mit den grauenhaften Geschichten konfrontiert zu sein, in Lampedusa diesen Glücksmoment immer wieder zu sehen: Jemand wurde gerettet, jemand hat es geschafft bis hierher - aber zu wissen, was diese Menschen in italienischen Flüchtlingslagern erwartet."
    Dabei hat man in Lampedusa eigentlich ganz andere Sorgen. Versprochene Finanzhilfen sind bisher ausgeblieben. Die Gemeinde kann die vielen Löcher in den Straßen nicht mehr reparieren. Der Zustand der baufälligen Schule hat sich immer noch nicht gebessert. Mittel für die Einführung der Mülltrennung sind versprochen, aber bisher nicht eingetroffen. Im Winter sind die Fährverbindungen ein Dauerproblem.
    "Fährt das Boot heute? - Nein, heute Vormittag nicht, gehen sie lieber einen Kaffee trinken."
    Die Verantwortlichen in der Gemeinde sind schlichtweg überfordert. Damiano Sferlazzo ist der stellvertretende Bürgermeister. Immer häufiger muss er die Bürgermeisterin Giusi Nicolini vertreten, die zu einem Medienstar geworden ist und deshalb oft verreisen muss.
    "Die Gemeinde von Lampedusa zu verwalten, ist schwierig geworden. Wir haben Probleme, die die vormaligen Bürgermeister nie gelöst haben und solche, die neu auf uns zukommen. Und das ausgerechnet jetzt, wo die Gemeinden alle unter der Finanzkrise leiden."
    Lampedusa – das sind nicht nur die Flüchtlinge, sondern die ganz normalen Probleme von Bürgern, die den Anschluss ans restliche Europa nicht verlieren wollen.