Die Coronakrise hätte den Anstoß geben können, die Welt auf einen klimafreundlicheren Kurs zu bringen - und damit auch auf einen gesünderen. Hat sie aber nicht, wie Daten aus dem neuen Lancet-Countdown demonstrieren.
Erstautorin des Berichtes ist Marina Romanello aus dem Institut für Globale Gesundheit am University College in London: "Nur 18 Prozent aller bisher eingesetzten Gelder für die Wiederbelebung der Wirtschaft bringen einen Rückgang von Treibhausgas-Emissionen. Von den über 80 Ländern, die wir analysiert haben, subventionieren drei Viertel noch immer die Verbrennung fossiler Energieträger, von denen wir wissen, dass sie umwelt- und gesundheitsschädlich sind. Vor allem in Entwicklungsländern sind die Beträge dafür häufig genauso hoch wie das gesamte Budget im Gesundheitswesen."
Immer mehr Hitzetage
Und das, obwohl sich die Klima- und Gesundheitskrise zuspitze, wie die argentische Forscherin sagt. Andere Zahlen aus dem aktuellen Report bestätigen das: "2020 waren Menschen über 65 viel häufiger extremer Hitze ausgesetzt als noch vor knapp zwei Jahrzehnten: Inzwischen sind es drei Milliarden Hitzetage mehr für diese besonders gefährdete Altersgruppe. Auch die Sterblichkeit durch Hitzewellen nimmt weltweit zu. Bevölkerungsreiche Länder wie Indien und China sind am stärksten betroffen. Aber auch in Europa werden Hitzewellen stärker und länger, und das bei einer alternden Bevölkerung."
Zeitgleich mit dem Lancet-Coundown erscheinen auch wieder 30 separate Länder-Analysen. Die für Deutschland koordinierte Martin Herrmann, Mediziner aus München. Herrmann leitet die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit: "Wir haben uns vor genau vier Jahren gegründet, um dafür zu sorgen, dass das Thema im deutschen Gesundheitssektor und in der deutschen Gesellschaft zu einer Priorität wird. Weil das einfach die größte Bedrohung für Gesundheit unserer Zeit ist. Es ist eben so, dass bis vor kurzem der deutsche Gesundheitssektor geschlafen hat und das Thema sträflich vernachlässigt wurde."
Wie sieht es heute aus? Sind Gesundheitssektor und Gesellschaft inzwischen ausreichend auf weitere, noch stärkere Hitzewellen eingestellt, wie sie zu erwarten sind? Laut Herrmann ist das nicht so: "Es gibt schon Städte, die Hitzeaktionspläne haben. Aber das sind noch relativ wenige. Es gibt eigentlich Vorlagen, wie man die machen sollte. Die wurden ursprünglich von der Weltgesundheitsorganisation entwickelt. Die sind bekannt, aber die sind einfach nicht in der Breite unten angekommen."
"Wir sind nicht vorbereitet"
Der neue Bericht enthält die Ergebnisse einer Expertenbefragung aus dem Sommer: "Und es war ganz eindeutig, dass wir weit davon entfernt sind in Städten, praktisch vorbereitet zu sein auf das, was kommt. Wenn ich in Krankenhäusern nachfrage: Habt Ihr schon ‘mal ‘ne Fortbildung zum Thema Hitze gemacht? Hat praktisch niemand gemacht. Habt Ihr ‘ne Arbeitsgruppe, die sich damit beschäftigt, was bei Euch passiert, wenn ‘ne große Hitzewelle kommt? Haben sie auch nicht. Wir sind nicht vorbereitet."
Im Juli starben in Westdeutschland über 180 Menschen nach verheerenden Starkniederschlägen und Überschwemmungen. Martin Herrmann warnt davor, was eine extreme Hitzewelle auslösen könnte, wie es sie in Nordamerika vor kurzem gab: "Also, wahrscheinlich ein größeres Fiasko. Es ist ja heute schon so: Wenn wir eine große Hitzewelle haben, dann haben wir eben bis zu fünf-, sechs-, siebentausend vorzeitige Todesfälle. Das ist mit Abstand die höchste Schädigungsrate durch Naturereignisse bei uns, schon jetzt. Und es kann eben sein, wir sind ja sehr stark besiedelt, dass - wenn da eine Hitzeglocke wie in Kanada drüberhängt für eine Weile -, dass wir dann von zehntausenden Toten sprechen."
Es sei dringend nötig, mehr gegen den Klimawandel zu tun, und sich besser vor seinen wachsenden Risiken zu schützen. Das ist die Kernbotschaft des neuen Lancet-Countdown, wie auch des deutschen Begleitreports: "Wir können ja heute nicht mehr so tun, als müssten wir uns nicht auf solche Szenarien einstellen. Und darauf sind wir nicht vorbereitet."