Die Analyse der Bohrkerne belegt: Selbst zweieinhalb Kilometer unter dem Tiefseeboden existiert noch Leben. Und zwar in Form von Mikroorganismen, deren Erbgut Aufschluss über ihre bewegte Geschichte gibt, die vor mehr als 20 Millionen Jahren begann.
"Die Organismen, die wir auf Basis von Genen eben nachweisen konnten, waren denen am ähnlichsten, die man heutzutage in einem Waldboden finden würde."
Die Vorfahren der Mikroorganismen in den Kohleflözen, Ton- und Sandsteinschichten waren also gewöhnliche Waldbodenbewohner, beschreibt Kai Uwe Hinrichs vom Bremer Marum. Durch tektonische Bewegungen der Erdkrustenplatten verschob sich ihr Lebensraum allmählich: von der Küste in den Tiefseeboden. Eine weite Reise, die etliche Mikroorganismen offenbar unbeschadet überstanden:
"Wenn wir uns die Konzentration an Zellen anschauen, dann haben wir in den Kohlelagen in der Größenordnung von 100 -1.000 Zellen pro Milliliter, das heißt, also das, was man sonst vielleicht an ganz entlegenen Stellen des Pazifiks noch finden würde. Das ist also noch relativ hoch."
Trotz Isolation und für Waldbodenbewohner hohen Temperaturen um 55 Grad Celsius geht es den Mikroben in den Flözen recht gut. So sind beispielsweise Methanproduzenten sehr aktiv. In den Ton- und Sandsteinlagen dazwischen sieht die Bilanz anders aus, erklärt Hinrichs:
"Da waren die Zellzahlen in der Größenordnung von einer bis zehn Zellen, und teilweise auch weniger als eine Zelle pro Milliliter."
Überleben Dank Säure
Was den im wahrsten Sinne des Wortes Feld-, Wald- und Wiesenmikroben seit rund zwei Dutzend Millionen Jahren ernährt, ist offenbar das in den Flözen angesammelte organische Material. Doch was genau hält die Mikrooganismen dort unten am Leben - und wie lange reichen die Nährstoffe noch?
"Wir haben uns fokussiert auf kleine organische Säuren, Acetat zum Beispiel, Essigsäure, Ameisensäure. Das sind Substrate, von denen wir wissen, dass Mikroben die sehr gut verarbeiten können, die spielen eine große Rolle in den Prozessen, die wir auch in den Kohlen sehen, nämlich wenn Methan generiert wird, die Methanogenese.", erklärt Clemens Glombitza, Biogeochemiker an der Universität Aarhus. Das Ergebnis seiner Analysen:
"Der Energiegewinn, den die Mikroben da unten aus den vorhandenen Nährstoffen ziehen können, reicht aus um Leben zu erhalten. Wir haben dann geschaut, wie lange reicht so ein Reservoir. Und dann kann man sagen, dass das noch im Mittel fünf Millionen Jahre oder länger reichen kann."
Schließlich gibt es noch weitere Nährstoffquellen für die Mikroben. So sorgt unter anderem die Hitze für eine Verbesserung des Nahrungsangebots: Temperaturen von 50 Grad beginnen organisches Material zu verändern, Bindungen aufzubrechen, aus großen Molekülen kleinere zu machen, die für Mikroorganismen leichter verdaulich sind. Kai Mangelsdorf vom Geoforschungszentrum Potsdam:
"Das heißt, es kann so etwas geben wie eine Kopplung zwischen geologischen Prozessen und der Biosphäre. Und dann kann dieses Substrat sozusagen in die Umgebung entlassen werden und die Mikroben fressen das dann."
Allerdings zeigen Analysen, dass sich das Leben nicht in den Flözen selbst konzentriert. Denn das Schlaraffenland hat für die Mikroben einen gravierenden Nachteil, so Mangelsdorf:
"Oft ist die Durchlässigkeit für bestimmte Substrate und für Stoffwechselprodukte, die auch entfernt werden müssen, nicht so groß in den Kohlen."
Die Kohlschichten sind zu dicht, als dass sich die Lebewesen dort "tummeln" könnten. In den poröseren Sandsteinen hingegen liegt das Problem darin, dass Nährstoffe erst in sie hinein diffundieren müssen, sagt Glombitza:
"Diffusion ist ein Prozess, der auf sehr, sehr kurzen Distanzen sehr schnell und effektiv läuft, aber mit der Entfernung immer langsamer ist und immer weniger effektiv ist. Man hat den Kühlschrank voll mit leckerem Essen und ein bisschen was diffundiert heraus. Und da, wo es verfügbar ist, sammeln sich natürlich alle an den Tischen und werden das verarbeiten. Aber das wird zunehmend karg."
Und zwar schon nach wenigen Zentimetern Abstand von den nährstoffreichen Kohleflözen. Die Nachfahren der Wald-Mikroorganismen sitzen wohl am Rand der Flöze, am Kontakt zu den Sandsteinen: dort, wo die Porenräume ein wenig größer sind und besser verbunden, durchlässiger, damit Nährstoffe hin- und Stoffwechselprodukte abgeführt werden können. Jenseits dieser Grenzbereiche wird das Leben in der Tiefe dann wirklich rar.