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Landarztmangel
"Das Geld allein ist es ganz sicher nicht"

Die Wurzel des Ärztemangels in ländlichen Gebieten sieht Max Kaplan in einer Arbeitsrealität, die zu wenig Freizeit böte. Der Vizepräsident der Bundesärztekammer forderte im Deutschlandfunk deshalb mehr ärztliche Zusammenarbeit - "in Form eines sogenannten regionalen oder lokalen Versorgungszentrums".

Max Kaplan im Gespräch mit Ulrike Burgwinkel |
    Ein Stethoskop liegt neben einem Laptop,
    Im Studium friste die Allgemeinmedizin ein Waisentum und sei unterrepräsentiert, kritisiert Max Kaplan. (picture alliance / ZB)
    Ulrike Burgwinkel: Sachsen schickt Landarztwillige zum Studieren nach Ungarn mit der Verpflichtung, später in der sächsischen Provinz zu praktizieren. In Mecklenburg-Vorpommern ist das Renteneintrittsalter für Hausärzte auf dem Land weit jenseits der 63. Das waren jetzt nur zwei Beispiele, die wir etwas ausführlicher bei uns in "Campus & Karriere" geschildert haben. Andere Maßnahmen, zum Beispiel Haus, Auto, Praxis kostenlos, haben auch nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Was also ist zu tun, um mehr junge Mediziner aufs Land zu holen. Dr. Max Kaplan ist Vizepräsident der Bundesärztekammer, Präsident der bayerischen Landesärztekammer und außerdem selbst Landarzt. Und ihn habe ich genau danach gefragt.
    Max Kaplan: Gut, das beginnt natürlich schon mal beim Studium, bei der Ausbildung, dann geht es über die Weiterbildung bis letzthin zur Attraktivität des Berufsbildes.
    Burgwinkel: Welche Maßnahmen würden Sie denn in Bezug aufs Studium ergreifen wollen?
    Kaplan: Einmal schon die Zugangskriterien zum Medizinstudium müssen geändert werden. Der sogenannte Numerus Clausus darf nicht das alleinige Kriterium sein, sondern einfach auch die Persönlichkeitsstruktur des Einzelnen, die Belastbarkeit des Einzelnen, ich sag, sprich auch die Menschlichkeit der Person, die eben Voraussetzung sind für einen guten Arzt, die sollten auch bereits beim Studiumszugang mehr berücksichtigt werden, zum Beispiel durch ein Auswahlgespräch.
    Burgwinkel: Das wird zum Teil bei den Reformstudiengängen oder auch in Witten-Herdecke schon praktiziert, und auch wohl, denke ich, mit ganz großem Erfolg. Wie geht es denn anschließend weiter?
    Kaplan: Gut, dann kommen wir nämlich in die Ausbildung, in das Studium selber, und hier natürlich fristet die Allgemeinmedizin immer noch ein bisschen so das Waisentum, das heißt, die ist unterrepräsentiert. Und hier müssen wir a) dafür Sorge tragen, dass alle medizinischen Fakultäten Lehrstühle in der Allgemeinmedizin vorweisen, dass sie also präsent ist, und dass dann bei den Inhalten im Studium auch frühzeitig Arztpraxen mit einbezogen werden in die Ausbildung, damit die jungen Studentinnen und Studenten möglichst früh Kontakt mit der Landmedizin haben.
    Burgwinkel: In Form von Praktika oder PJ auch - alles das?
    Kaplan: Das können natürlich schon mal so eine Art Workshops sein, das können auch sogenannte Thementage sein, das kann die Blockausbildung sein, aber sicherlich auch die Famulatur, oder auch das praktische Jahr.
    Burgwinkel: Sie sprachen eingangs davon, dass man den Beruf des Landarztes attraktiver gestalten müsse oder anders verkaufen müsse.
    Kaplan: Vollkommen richtig. Der Beruf an und für sich ist ein wunderbarer Beruf. Aber die Umstände, die Begleiterscheinungen, die Rahmenbedingungen, die sind noch verbesserungsbedürftig. Das heißt, wir müssen einfach den Erwartungen, der Erwartungshaltung der jungen Ärztegeneration gerecht werden, die zwar engagiert ihren Beruf ausüben wollen, aber eben auch noch außer dem Beruf leben wollen, sprich Familie, sprich Freizeit.
    Burgwinkel: Na ja, diese sogenannte Work-Life-Balance ist natürlich, wenn man als Landarzt arbeitet, relativ schwierig herzustellen.
    Mehr ärztliche Teamarbeit auf dem Land
    Kaplan: Richtig. Und deswegen müssen wir neue Versorgungsformen kreieren. So hoch ich den Einzelkämpfer Landarzt schätze, aber umso weniger ist es mehr oder weniger die Realität in der Zukunft. Das heißt, die jungen Kolleginnen und Kollegen werden auch in der hausärztlichen Versorgung auf dem Land das Ganze im Team machen, in Form einer Gemeinschaftspraxis, in Form eines sogenannten regionalen oder lokalen Versorgungszentrums, wie auch das Sachverständigengutachten das jetzt vorgeschlagen hat, um dann eben auch im Team sich gegenseitig vertreten zu können, was sowohl die Bereitschaft unter der Woche betrifft als auch die Sicherstellung außerhalb der Sprechzeiten.
    Burgwinkel: Und man muss ja auch gar nicht mehr unbedingt in dem Ort, mitten auf dem Land wohnen, wo man auch seine Praxis hat.
    Kaplan: Vollkommen richtig. Da ist der Gesetzgeber in Vorleistung getreten: Mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz hat er es ermöglicht, dass eben ein junger Arzt, eine junge Ärztin zum Beispiel im Mittelzentrum, in der Stadt also wohnt, aber die Praxis ungefähr 20 Kilometer außerhalb dieses Zentrums dann betreibt. Das heißt, die Residenzpflicht wurde aufgehoben.
    Burgwinkel: Umso wichtiger ist es, dass man dann aber jemand hat, der zur Not dann auch einspringt und schnell da ist.
    Kaplan: Die Voraussetzung hierfür ist, dass der Bereitschaftsdienst neu organisiert wird, dass der Bereitschaftsdienst möglich gleichmäßig auf allen Schultern verteilt wird, damit außerhalb der Sprechstundenzeiten die Versorgung der Patienten sichergestellt ist.
    Burgwinkel: Jetzt würde ich aber trotzdem gerne noch auf einen Punkt zu sprechen kommen, der ja auch immer wieder durch die Presse geistert: das liebe Geld. Die Hausärzte auf dem Land verdienen einfach zu wenig. Liegt das Ihrer Meinung nach wirklich am Geld, dass die jungen Leute nicht aufs Land wollen.
    Das Wohl der Familie steht an erster Stelle
    Kaplan: Das Geld allein ist es ganz sicher nicht. Hier gab es auch eine repräsentative Umfrage bereits vor fünf Jahren der kassenärztlichen Bundesvereinigung zusammen mit der Hochschule Trier, und hier wurde festgestellt, dass an allererster Stelle einfach die Familie steht. Das heißt, dass die Infrastruktur auf dem Land funktioniert, dass die Kinder die entsprechenden Kindertagesstätten, Kindergärten vorfinden, die entsprechenden Schulen, dass der Lebenspartner hier auch beruflich sich weiter entwickeln kann und dass eben hier die Familie sich wohl fühlt. Das steht an erster Stelle. Und dann kommt vielleicht an dritter Stelle das Einkommen. Natürlich, gewisse Einkommensverbesserungen halte auch ich für notwendig, aber allein, indem man, so wie gerade vorgeschlagen vom Sachverständigengutachten, 50 Prozent draufschlägt, damit ist es ganz sicher nicht getan.
    Burgwinkel: Sehen Sie denn, Herr Kaplan, eine Perspektive für die Zukunft – wie kann es weitergehen?
    Kaplan: Da bin ich eigentlich ganz optimistisch. Wenn wir das, was wir gerade angesprochen haben, in Ordnung bringen, da sind wir ja gerade dabei, dann ist die Aufgabe der jetzigen Ärztegeneration, dass sie Versorgungsstrukturen aufbauen, die dann auch unserer jungen Ärztegeneration gerecht wird. Und wenn dieses erfüllt ist, dann bin ich der Meinung, dass dieser Beruf zu den attraktivsten Berufen als Arzt gehört: Weil: Wo habe ich die Chance, die gesamte Familie zu betreuen und ein ganz breites Leistungsspektrum anbieten zu können?
    Burgwinkel: Das war Dr. Max Kaplan, ein, wie man hörte, ganz überzeugter Landarzt. Wir sprachen über Maßnahmen zur Behebung des Landarztmangels.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.