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Landbesetzungen in Chile

So wie beispielsweise den Aborigines in Australien, so erging und ergeht es auch den Ureinwohnern Chiles, den Mapuche-Indianern. Rücksichtslos wurde ihnen ihr Land genommen, sie selbst diskriminiert und ins soziale Elend gestoßen. Nach der letzten Volkszählung gibt es in Chile derzeit noch etwa eine Million Mapuche, die meisten leben verarmt in den Städten. Doch mittlerweile haben sich viele Indianer organisiert und treten unter anderem durch Landbesetzungen für ihrer Rechte ein - unterstützt beispielsweise von der deutschen Gesellschaft für bedrohte Völker.

Von Karl-Ludolf Hübener |
    Männer und Frauen, Jungen und Mädchen tanzen, barfüssig, im Halbkreis. Sprunghafte Schritte. Mapuche-Indianer, die Ureinwohner Chiles, feiern so im südchilenischen Temuco das Nguillatun-Fest, das wichtigste Fest der Ureinwohner Chiles. Während der Zeremonien bitten die Mapuche um gute Ernte, um ausreichend Regen und Sonne, um Glück für sich und die Seinen. Ein Fest in der freien Natur und für die Natur.

    Unsere Alten sagen stets: Wir sind nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein Baum, als ein Fluss, als ein Tier, als Blumen und Früchte. Wir hängen voneinander ab, denn wir sind ja ein Teil der Natur. Wir hüten die Natur, umgekehrt beschützt diese uns.

    Elicura Chihuailaf ist Dichter, Landwirt und Mapuche. Als solcher weiß er, dass Geben und Nehmen, auf der Basis der Gegenseitigkeit, leitendes Prinzip der Mapuche ist. Das gelte insbesondere für die Umwelt.

    Wir sind Teil der Natur. So wie die Blume oder das Insekt, wie ein Kondor, der sich in höchste Höhen hinaufschwingen kann. 'Was der Natur angetan wird, tun wir uns selber an.' Das ist ein Sprichwort unserer Leute.

    Wichtiges Symbol für die Mapuche-Indianer ist die Araukarie - ein dunkelgrüner Nadelbaum, der durch seine Äste auffällt, die wie Kerzenleuchter in die Höhe ragen. Die Araukarie ist elementar für das Leben der Indianer. Sie spendet vielen Mapuche ihre tägliche Nahrung: Mehl, Tortillas, Püree, Brot, Suppen sowie einen Schnaps, der aus den braunen Samenkernen gewonnen wird. Doch rund um Temuco, dem Hauptort der Mapuche, ragen heute nur noch wenige Araukarien in den Himmel.

    Die mächtigen Nadelbäume, die einst ganze Landstriche überzogen, sind mittlerweile selten geworden. Stattdessen prägen Kiefern in Reih und Glied, wie Zinnsoldaten die Region; Baumplantagen und braun-graue Bergrücken übersäht mit Baumstümpfen. Sägewerke qualmen. Lastwagen voller Baumstämme brausen vorbei.

    Plantagen fraßen sich rücksichtslos in Naturwälder. Das ist das Werk Augusto Pinochets, der das Andenland von 1973 bis 1988 unter seiner Diktatur führte. Die Holzplantagen nahmen unter seiner Herrschaft gewaltige Ausmaße an . Für die Mapuche schlug Pinochet ein neues Kapitel in der Zerstörung ihrer Lebensgrundlage auf.

    Bereits 1883 beschlagnahmte der chilenische Staat, nach der Unterwerfung der Mapuche, circa 5 Millionen Hektar - die Hälfte ihres bisherigen Landes. Nach dem Militärputsch Pinochets im Jahre 1973 wurde das verbliebene Land noch einmal um mehr als die Hälfte reduziert. Pinochet machte die von Salvador Allende begonnene Landreform rückgängig und übergab dieses Land an Großgrundbesitzer oder direkt an Holzunternehmen. Auf den Böden der Mapuche wurden seitdem Baumplantagen angelegt. Das betrifft 90 Prozent des ehemaligen Mapuche-Territoriums. Sie sind im Besitz nationaler und internationaler Holzkonzerne, die mit dem Export von Holzchips und Zellulose lukrative Geschäfte machen.

    Während seiner Diktatur wurden die indianischen Böden in Parzellen aufgeteilt und ein Dekret untersagte fortan die traditionelle gemeinschaftliche Nutzung des Bodens. Für den Diktator gab es nur Chilenen, keine Indianer. Und chilenisch hieß Privateigentum.

    Auf diese Weise schrumpfte das Territorium der Mapuche vom Ende des letzten Jahrhunderts bis heute von einer Größe der ehemaligen DDR auf ein kleines Refugium von ca. 200.000 Hektar, etwa die halbe Fläche von Berlin.

    Um Temuco herum haben sich große Forstunternehmen angesiedelt. Diese haben das Ökosystem radikal verändert. Vor allem dank der Pinien, diesen Wassersäufern. Es geht dabei um große Plantagen von Kiefern und Eukalyptus – eine der mannigfaltigen Formen von Angriffen auf unsere Kultur.

    Seit dem Ende der Pinochet-Diktatur kämpfen mehrere Mapuche-Organisationen um die Rückgabe ihrer einstigen Böden mit Landbesetzungen und Straßenblockaden. Vorangiges Ziel des Protests sind verständlicherweise die Holzplantagen. Und bei ihren Aktionen stehen die Indianer mittlerweile nicht mehr alleine da. In zahlreichen Umweltorganisationen haben sie neue Verbündete gefunden, wie Manuel Bacquedano, Direktor des Instituts für politische Ökologie in Santiago di Chile weiß:

    Umweltorganisationen haben wahrgenommen, dass es nicht um den eher romantischen Aspekt geht, den Indianern ihr Land zurückzugeben, sondern, darum, dass die Indianer die besten Hüter der Umwelt sind. Das ist die Basis für unsere Beziehung zu ihnen: Die Umwelt schützen - wer könnte das besser als sie?!