Wo genau soll in der Nordsee Erdgas gefördert werden?
Das niederländische Öl- und Gasunternehmen One-Dyas will das Erdgas zusammen mit Partnerfirmen fördern - und zwar aus bis zu knapp vier Kilometern Tiefe aus einem Feld, das die Niederländer 2017 entdeckt haben, sowie potenziell auch aus umliegenden Gasfeldern. Das Feld N05-A liegt rund 20 Kilometer nördlich der Inseln Borkum und Schiermonnikoog auf der Grenze zwischen Deutschland und den Niederlanden, in der Nähe des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer.
Das Gasfeld soll ein förderbares Gesamtvolumen von bis zu 13 Milliarden Kubikmeter Erdgas haben. Zusammen mit angrenzenden Feldern wird ein Gesamtvolumen von 50 Milliarden Kubikmetern erwartet. Nach früheren Unternehmensangaben sollen jährlich bis zu zwei Milliarden Kubikmeter Gas über die geplante Plattform gefördert werden können.
Wie soll das Erdgas aus der Nordsee gefördert werden?
Zur Förderung soll noch in diesem Monat die Errichtung einer Plattform rund 500 Meter von deutschen Hoheitsgewässern entfernt beginnen. Von der etwa 40 Meter hohen Plattform aus sollen die Bohrungen schräg in das Gasfeld laufen. Um das Gas an Land zu transportieren, soll eine Leitung verlegt werden, die an eine bestehende Pipeline in der Nordsee angeschlossen wird. Strom soll die Plattform vom benachbarten deutschen Offshore-Windpark Riffgat bekommen.
Welchen Anteil am deutschen Bedarf kann das Erdgas aus der Nordsee decken?
Einen verhältnismäßig geringen. Nach Angaben der Bundesnetzagentur wurden im vergangenen Jahr in Deutschland rund 81 Milliarden Kubikmeter Gas verbraucht. Das waren etwa fünf Prozent weniger im Vergleich zum Vorjahr. Mit zwei Milliarden Kubikmeter Erdgas jährlich hätte die Plattform also eine eher überschaubare Bedeutung.
In Relation zur bisherigen deutschen Gasförderung wäre der Standort allerdings bedeutsam. Im vergangenen Jahr wurden nach Angaben des Bundesverbandes Erdgas, Erdöl und Geoenergie bundesweit rund 4,3 Milliarden Kubikmeter Erdgas gefördert - der Großteil davon in Niedersachsen (98 Prozent). Mit dem hierzulande geförderten Erdgas wurden den Angaben zufolge zuletzt rund 5,7 Prozent des deutschen Erdgasbedarfes gedeckt.
Wie reagieren Umweltschützer?
Erst vor ein paar Tagen hatten Umweltschützer und Bewohner auf Borkum gegen die Erdgasförderung protestiert. Es ist davon auszugehen, dass - wie schon in den Niederlanden - auch gegen den deutschen Planfeststellungsbeschluss geklagt wird. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat bereits angekündigt, vor Gericht ziehen zu wollen, sollte das Vorhaben von den niedersächsischen Behörden genehmigt werden. DUH-Bundesgeschäftsführer Müller-Kraenner erklärte, nur wenige Tage nach den großen Protesten auf Borkum erlaube Wirtschaftsminister Lies (SPD) die Gasbohrungen unter der deutschen Nordsee. Er stelle die Geschäftsinteressen eines fossilen Gaskonzerns über Natur und Menschen vor Ort. "Wir werden dagegen alle rechtlichen Mittel ausschöpfen".
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace kritisierte ebenfalls, dass die Bohrgenehmigung erteilt wurde. Die Expertin für Klima und Energie, Jäger, verwies darauf, dass ein völkerrechtliches Abkommen zwischen Deutschland und den Niederlanden notwendig sei. Sie forderte die Bundesregierung auf, die Einwände gegen das Projekt ernst zu nehmen und den Vertrag nicht abzuschließen.
Das zuständige niedersächsische Landesamt verwies hingegen auf die hohen Sicherheitsstandards, die beim Projekt berücksichtigt würden. "Solange in Deutschland noch Erdgas verbraucht wird, gilt: Das aus heimischen Lagerstätten geförderte Erdgas ist erheblich weniger klimaschädlich als das importierte", sagte LBEG-Präsident Mühlenmeier.
Warum ist ein völkerrechtliches Abkommen notwendig?
Da One-Dyas Erdgas sowohl auf niederländischem als auch auf deutschem Hoheitsgebiet fördern will, muss es neben den bergrechtlichen Genehmigungen auch ein völkerrechtliches Abkommen zwischen Deutschland und den Niederlanden geben - ein sogenanntes Unitarisierungsabkommen. Seit dem Sommer 2022 verhandelt die Bundesregierung darüber. "Wesentlicher Inhalt des Abkommens sind Regelungen zur Aufteilung der Lagerstätte, zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Behörden sowie der Feldes- und Förderabgaben", teilte eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums mit.
Diese Gespräche laufen nach Angaben des Ministeriums weiterhin. Zu einem möglichen Zieldatum machte ein Sprecher keine Angaben. Aus dem niedersächsischen Wirtschaftsministerium hieß es, die Erdgasförderung vor Borkum könne letztlich nur umgesetzt werden, wenn sich die Bundesregierung mit dem niederländischen Staat auf das Abkommen verständige. "Hier liegt also die letzte Entscheidung", sagte ein Ministeriumssprecher in Hannover.
Wie verhält sich die Politik zu dem Energieprojekt?
Bundesumweltministerin Lemke (Grüne) hatte 2022 gesagt: "Am besten wäre es, das Gasförderprojekt zu stoppen." Die Ampel-Parteien der Bundesregierung haben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart: "Wir wollen keine neuen Genehmigungen für Öl- und Gasbohrungen jenseits der erteilten Rahmenbetriebserlaubnisse für die deutsche Nord- und Ostsee erteilen."
In der niedersächsischen Landespolitik gab es zu dem Projekt ein Hin und Her. Ursprünglich hatte sich die frühere Landesregierung aus SPD und CDU klar gegen eine Erdgasförderung vor Borkum ausgesprochen. Unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hatte diese Koalition ihre Haltung aber revidiert. Im Koalitionsvertrag der jetzigen rot-grünen Landesregierung steht, dass im Planfeststellungsverfahren für die Förderung vor Borkum der "Schutz von Umwelt, Natur, dem Wattenmeer und der Insel von zentraler Bedeutung sein werde." Niedersachsens Umwelt- und Energieminister Meyer (Grüne) zeigte sich dem Vorhaben gegenüber kritisch. Aus Sicht des Klimaschutzes seien neue fossile Gas- oder Ölförderungen unnötig, so Meyer.
Diese Nachricht wurde am 14.08.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.