Kiel ist die einzige Landeshauptstadt am Meer. Das ist ein Segen, weil die nächsten Badestellen nie weit sind und auf der Förde Fähren und Containerschiffe zu bestaunen sind. Und manchmal auch ein U-Boot.
Doch das Meer ist auch ein Fluch. Zumindest verkehrsmäßig. Wie ein langer Keil schiebt sich die Kieler Förde ins Land hinein, teilt die Stadt in ein westliches und ein östliches Ufer. Weil das Nahverkehrsnetz vor allem auf Bussen und lediglich drei Fährverbindungen beruht, nutzen die meisten Pendler das eigene Auto, um den in Kiel endenden Ostseearm zu umfahren.
Ohne Auto in die Stadt
An der Kiellinie direkt am Wasser wird in diesen Tagen getestet, wie sich eine Stadt ohne Auto anfühlt. Der 1,5 Kilometer lange Abschnitt zwischen dem Marinehafen an der Tirpitzmole und den Villen nahe Bellevue ist für mehrere Wochen für motorisierte Fahrzeuge gesperrt. Nur Fußgänger und Radfahrer dürfen die Uferstraße nutzen.
Auch eine 62-Jährige Anwohnerin ist mit dem Rad unterwegs. Doch für die Frau, die ihren Namen nicht nennen möchte, ist der Versuch, die Kieler Autofixiertheit zu verringern, ein Horror.
"Ich kann auch so mit dem Fahrrad auf dem Fahrradweg längs fahren. Der Fahrradweg ist ja da, der Fußweg ist für Fußgänger da. Wenn ich aber mein Auto nehme und hier lang fahren will, dann muss ich hier einen riesigen Umweg fahren. Und insofern finde ich das eine reduzierte Lebensqualität."
Reduzierte Lebensqualität, das ist aber auch die schlechte Luft. Wie viele andere Städte kämpft auch Kiel mit der hohen Stickoxidbelastung. Wobei die Kiellinie hier nicht im Fokus steht: Größter Zankapfel ist der Theodor-Heuss-Ring.
Alternativen zu Fahrverboten
Die Stadtautobahn ist die wichtigste Ost-West-Achse und wird an Werktagen von bis zu 100.000 Pkw und Lkw genutzt. Stadt und Land beharken sich seit Monaten bei dem Thema, sind sich aber einig, dass Fahrverbote nur das letzte Mittel sein können.
Dafür wurden viele Maßnahmen geprüft und getestet. So wie die Absauganlagen, die ein schleswig-holsteinisches Unternehmen entwickelt hat und die es bisher nur als Prototyp gibt. Die wochenlangen Tests am Theodor-Heuss-Ring haben gezeigt, dass die Filtermechanismen funktionieren und die Stickoxidbelastung zumindest in den Messbereichen ein wenig gesenkt werden kann.
Doch nicht nur wegen der Stickoxidwerte stehen die Zeichen auf Wandel beim Thema Mobilität in Kiel.
Verkehr als Wahlkampfthema
Das hängt auch mit der Klimabewegung Fridays-For-Future zusammen. Und damit, dass die Stadt Ende Oktober einen neuen Oberbürgermeister wählt. Das Verkehrsthema spielt eine wichtige Rolle im Wahlkampf. Amtsinhaber Ulf Kämpfer von der SPD weiß, dass die Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg sehr autogerecht aufgebaut und daran lange nicht gerüttelt wurde.
"Verglichen mit dem, was in den letzten Jahrzehnten nicht passiert ist, erleben wir gerade fast eine Revolution. Die muss ein bisschen Schwung gewinnen, da sind wir mitten drin. Aber ich glaube, alle haben die Signale gehört, dass die autogerechte Stadt nicht das Konzept für das 21. Jahrhundert sein kann."
Technisch gesehen kommt die Revolution allerdings ziemlich klassisch daher. Kämpfer setzt viel Hoffnung in ein noch zu schaffendes Jobticket. Auch bei der Elektromobilität und dem Fahrradverkehr soll rangeklotzt werden. Zudem wurde und wird - auch dank üppiger Fördertöpfe in Berlin - der Busverkehr modernisiert.
Doch um den Fahrplan zuverlässiger zu machen und die Verbindungen besser abzustimmen, braucht es möglicherweise auch mehr Extra-Busspuren. Und das dauert.
Rückkehr der Straßenbahn?
Auftrieb erhalten hat dank der Verkehrsproblematik auch eine alte Idee: Die in den 80er Jahren verschwundene Straßenbahn zurück nach Kiel zu holen. Doch es dürfte noch viele Jahre dauern, bis mal wieder eine Tram an der Förde entlangrollt. Wenn sie denn überhaupt kommt.
Andreas Ellendt geht für CDU ins Bürgermeisterrennen. Auch er spricht sich für eine Verkehrswende in Kiel aus. Wenngleich Ellendt beim Thema Straßen- oder Stadtbahn deutlich zurückhaltender bleibt. Und generell klarmacht:
"Es wäre realitätsfern anzunehmen, dass das Auto aus der Stadt vertrieben wird, dass die Menschen, die Pendler sind, die hier zu zehntausenden in die Stadt fahren einfach mal so plötzlich auf andere Verkehrsmittel umsteigen."
Der Mobilitätswandel in Kiel ist ein langer Marsch - da sind sich beide Kandidaten einig.