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Landesregierung in Berlin
Rot-Rot-Grün als Blaupause für den Bund?

In Berlin nimmt die rot-rot-grüne Landesregierung die Arbeit auf. Ein derartiges Bündnis gibt es bislang nur in Thüringen unter dem linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow. Können diese beiden Koalitionen nun auch Blaupausen für die Bundespolitik sein?

    Pinsel mit roter, roter und grüner Farbe liegen auf einem weißen Blatt Papier.
    Rot-rot-grüne Landesregierungen in Berlin und Thüringen als Vorbild für den Bund? (pa/dpa/Pleul)
    „Das waren harte, arbeitsreiche und intensive Verhandlungen.“ „Es wurde weder geschrien noch geheult. Es wurde heftig diskutiert.“ „Wir haben sehr ernsthaft verhandelt.“ „Bis heute Nacht oder heute Morgen kann man noch sagen, bis um fünf Uhr haben wir zusammengesessen.“ „Da wurde sehr heftig und sehr hart gerungen und wir haben gute Lösungen gefunden.“ „Und ich glaube, wir werden etwas Gutes zustande bringen. Vielen Dank.“
    Die Augen sind gerötet, die Sätze nicht mehr ganz so flüssig wie gewohnt. Als Michael Müller, Klaus Lederer und Ramona Pop vor die Berliner Medien treten, sind die drei Verhandlungsführer von SPD, Linken und Grünen sichtlich erschöpft. Sie haben soeben eine rot-rot-grüne Landesregierung für Berlin auf den Weg gebracht. Ein derartiges Bündnis gibt es bislang nur in Thüringen. Die Erwartungen sind groß.
    Der Parteivorsitzende der Partei Die Linke in Berlin, Klaus Lederer (l-r), der Vorsitzende der Berliner SPD und regierender Bürgermeister Michael Müller und die Fraktionsvorsitzende und Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen bei den Abgeordnetenhauswahlen, Ramona Pop informieren am 06.10.2016 in Berlin im Roten Rathaus die Medien.
    Die Parteivorsitzenden von Die Linke, Lederer, SPD, Michael Müller und Bündnis 90/Die Grünen, Ramona Pop im Roten Rathaus in Berlin. (dpa / Klaus-Dietmar Gabbert)
    „Wir haben der Stadt einen Regierungswechsel versprochen, wir haben ihr auch einen Politikwechsel versprochen, und ich glaube, mit rot-rot-grün werden wir das auch hinbekommen. Ich würde das schon als progressive Reformregierung betrachten, was wir hier machen“, sagt Linken-Chef Klaus Lederer, in Kürze Berlins neuer Kultursenator. Der alte und demnächst neue Regierende Bürgermeister, SPD-Chef Michael Müller und die designierte grüne Wirtschaftssenatorin Ramona Pop versprechen"dass wir nicht nur Überschriften produzieren und Ankündigungen, dass wir eine Koalition des Aufbruchs für die Stadt auch sein wollen.“
    „Ich hatte immer den Eindruck, dass wir drei Partner Lust aufs Regieren haben und gemeinsam für die Stadt etwas erreichen wollen.“
    Kleinere Demonstrationen während der Verhandlungen
    Zwar wurden die sechswöchigen Koalitionsverhandlungen von kleineren Demonstrationen begleitet – die Gewerkschaft Verdi, Greenpeace und Fahrradaktivisten zogen vor das Rote Rathaus – doch von ideologischen Auseinandersetzungen wie in Thüringen waren die Verhandlungen nicht bestimmt. In Berlin ist niemand gegen die Regierungsbeteiligung der Linken auf die Straße gegangen, hatten sie doch bereits unter Klaus Wowereit zehn Jahre lang Verantwortung getragen. War die DDR ein Unrechtsstaat? Während diese Frage in Berlin kaum noch jemanden aufregt, wurde darüber in Thüringen vor zwei Jahren kontrovers diskutiert.
    „Ich freue mich, sie heute begrüßen zu können, dass wir nach 67 Tagen ihnen den ersten rot-rot-grünen Koalitionsvertrag der Bundesrepublik Deutschland vorstellen können. Ich glaube, das beeindruckt uns alle sehr wohl.“
    Die Aufregung war der Verhandlungsführerin der Linken in Thüringen, Susanne Hennig-Wellsow, anzumerken, als sie im November 2014 gemeinsam mit ihren grünen und sozialdemokratischen Kollegen den Koalitionsvertrag vorstellte. Mit der ersten Koalition unter einem linken Ministerpräsidenten, Bodo Ramelow, wurde ein Tabu gebrochen. Tausende waren damals in Thüringen auf die Straßen gegangen; in großformatigen Anzeigen wurde vor einem „SED-Staat in der Mitte Deutschlands“ gewarnt.
    „Und solange die Mehrheit in dieser Partei Stasi-Leute aufstellt, kann mit dieser Partei nicht zusammengearbeitet werden. Genau, das ist auch das Kriterium, wie sie zum Unrechtsstaat DDR stehen.“
    Äußerst knappe Mehrheit in Thüringen
    Die Thüringer CDU liebäugelte gar mit der AfD, nur, um Rot-Rot-Grün zu verhindern. Der ehemalige Ministerpräsident Dieter Althaus, CDU, beklagte damals den strikten Anti-AfD-Kurs der Bundes-CDU-Spitze.
    „Dafür zu sorgen, dass wir in Zukunft wieder Leute wie Ramelow aus der Regierung loswerden, ist die wichtigste Aufgabe für die Union, liebe Freunde, und deshalb wäre es richtig gewesen, die Thüringer Union zu unterstützen auf diesem Weg, statt ihr Steine in den Weg zu legen.“
    Doch die äußerst knappe Ein-Stimmen-Mehrheit für Rot-Rot-Grün im Thüringer Landtag stand, und man hatte große Pläne: „Wir wollen gestalten, wir wollen konkret Politik machen, wir wollen den sozialen Zusammenhalt stärken, wir wollen mehr Demokratie, wir wollen einen bürgernahen Staat, und wir wollen nicht zuletzt eine Energiewende, die sozial und demokratisch gestaltet wird.“
    Für die eher pragmatisch agierende Linke in Thüringen war der Schritt gar nicht so groß. Schon fünf Jahre zuvor hatten sie mit SPD und Bündnis-Grünen über eine Koalition in Thüringen verhandelt – damals noch erfolglos. 2014 aber waren zwei entscheidende Dinge anders: Die SPD war zutiefst frustriert über ihre Rolle als Juniorpartner in der Koalition mit der CDU und über ihr desaströses Wahlergebnis von zwölf Prozent. Und Bodo Ramelow und die Linke waren reif dafür, die reine Lehre zugunsten einer regierungsfähigen Mehrheit aufzugeben.
    Die Linke musste dicke Kröte schlucken
    Grüne und SPD zwangen Die Linke allerdings, eine dicke Kröte zu schlucken: In der Präambel des Koalitionsvertrages wird die DDR als „Diktatur“ und „Unrechtsstaat“ bezeichnet – ohne diesen Passus wäre das Regierungsbündnis nicht zustande gekommen. Zwar war die Tinte unter dem Vertrag noch nicht ganz trocken, als sich die ersten Abgeordneten der Linken von dieser Formulierung distanzierten. Und auch mit einem Gesetzesentwurf zum Umgang mit ehemaligen Stasi-Spitzeln im Landtag scheiterte die Koalition an sich selbst. Dennoch steht die Regierung heute fester denn je.
    Bodo Ramelow gibt den jovialen Ministerpräsidenten, den protestantischen Christen, den Umweltbewussten, den Bauern-Versteher. Er hat die Rolle des Landesvaters übernommen, der für alle da ist und mit jedem redet, ausgleichend, souverän. Und wenn er sich für den Geschmack seiner Genossen zu weit aus dem Fenster lehnt, dann erklärt der 60-Jährige knapp:
    „Ich bin in einem Lebensalter, indem ich deutlich sage: Ich muss meiner Partei nichts mehr beweisen; ich muss auch niemand anderem mehr etwas beweisen, um eventuell wieder irgendeine Position in irgendeiner Landesregierung anzustreben.“
    Berlin – marode Schulen und die BER-Baustelle
    Die Probleme in Berlin sind andere. Eine kaputtgesparte Stadt mit einer Verwaltung von vorgestern muss wieder auf Vordermann gebracht werden. Marode Schulen sanieren, den Hauptstadtflughafen BER ans Netz bringen, die Infrastruktur ertüchtigen, bezahlbare Wohnungen schaffen in einer Stadt, die jährlich um 40.000 Menschen wächst, deren Wirtschaftskraft aber unter dem Bundesdurchschnitt liegt – das sind die dringenden Aufgaben.
    Blick auf Gebäude und Straßen am Flughafen Berlin Brandenburg
    Der Flughafen BER Berlin Brandenburg im März 2016 (dpa/Revierfoto)
    Die designierte grüne Wirtschaftssenatorin Ramona Pop: „Wir wollen investieren, wir wollen in die ganze Stadt investieren, wir wollen eine Regierung für die ganze Stadt sein, dass Berlin wieder funktionieren soll.“
    Berlin ist es unter Rot-Schwarz gelungen, drei Milliarden Euro Schulden abzubauen – trotzdem steht der Stadtstaat im bundesweiten Vergleich immer noch auf Platz vier bei der Pro-Kopf-Verschuldung. Die neue Landesregierung will nun weniger Schulden tilgen als bislang und massiv investieren. Mehr noch: Um die Schuldenbremse einhalten zu können, greift man zu einer Art Haushaltstrick. Nicht das Land Berlin nimmt die notwendigen Kredite für die Investitionen auf, die Landesgesellschaften sollen dies tun. Unzulässige Schattenhaushalte seien das, kritisiert die Opposition. Grüne und Linke widersprechen:
    „Die verantwortungsloseste Art Schulden zu machen ist Investitionen zu unterlassen. Indem man einfach wartet, bis die Bude zusammenbricht. Das ist dann das schöne Bonmot vom Ruinen schaffen ohne Waffen. Das wollen wir nicht.“
    „Dass unterlassene Investitionen auch eine Form von Verschuldung sind. Und dass deswegen die Investitionsquote zu erhöhen und die Infrastruktur zu sanieren auch eine Art der Entschuldung ist.“
    Dreierbündnis ist schwieriger zu koordinieren
    Der Koalitionsvertrag ist geschrieben, der Regierende Bürgermeister Michael Müller wird am 8. Dezember gewählt, danach werden die Senatorinnen und Senatoren ernannt. Momentan spricht Rot-Rot-Grün mit einer Stimme. Einem Zerwürfnis im Senat wie in der letzten Legislaturperiode will man vorbauen – mit einem regelmäßig tagenden Koalitionsausschuss und einem Pendant auf Parlamentsebene. Doch schon jetzt stellen sich erste Fragen.
    Ein Dreierbündnis ist schwieriger zu koordinieren als eine Koalition aus zwei Parteien – das haben bereits die Verhandlungen gezeigt. 251 Seiten dick ist der Koalitionsvertrag und äußerst detailverliebt. Im Bereich Verkehrspolitik heißt es zum Beispiel, Zitat: „Der Einstieg beim Bus soll in der Hauptverkehrszeit grundsätzlich an allen Türen erlaubt sein.“ Zitatende. Eine schriftliche Fixierung auch der kleinsten Kleinigkeiten, weil das Vertrauen untereinander fehlt? SPD-Chef Michael Müller:
    „Es ist ein Zeichen dafür, dass wir es uns nicht leicht gemacht haben und dass wir auch die Dinge, die uns wichtig sind, wirklich intensiv beraten wollten. Und natürlich ist es auch ein Zeichen, dass wir miteinander Vertrauen aufbauen wollten, uns vielleicht auch aneinander gewöhnen mussten, mit unterschiedlichen Mentalitäten an die Sache gegangen sind. Aber auch wegen dieser intensiven Verhandlungen ist da viel gewachsen und ich sehe da auch eine gute Grundlage für die nächsten fünf Jahre.“
    Trotzdem gibt es Bedenken. Wächst der Redebedarf jetzt ins Unendliche und blockiert womöglich die Regierungsarbeit? Die Grünen schlagen heftig mit ihren Flügeln – das macht die Abstimmungsprozesse noch schwieriger. Und die Linke mit ihrem agilen und rhetorisch brillanten Frontmann Klaus Lederer kann vor Kraft kaum laufen – ist sie doch die einzige der drei Parteien, die bei der Wahl zugelegt hat. Dazu kommt noch ein geschwächter Regierender Bürgermeister. Die SPD hat ihr schlechtestes Ergebnis seit Jahrzehnten eingefahren, das liegt auch an Michael Müller. Eine starke AfD im Abgeordnetenhaus und ein insgesamt geschwundenes Vertrauen in die Politik – all das macht es nicht leichter für Rot-Rot-Grün in Berlin.
    Berlin blickt nach Thüringen
    Vielleicht lässt sich von Thüringen lernen, wie es geht? Die linke Partei- und Fraktionschefin Susanne Hennig-Wellsow rät ihren Berliner Kolleginnen und Kollegen:
    „Nicht den Stärkeren bestimmen zu lassen und alle anderen müssen sich unterordnen. Das kann nicht erfolgreich sein, auch nicht im Sinne einer anderen Regierungskultur.“
    Der Thüringer Koalitionsvertrag wird abgearbeitet – mehr Geld für die Freien Schulen, Bildungsurlaub ist möglich, das Wahlalter bei Kommunalwahlen ist auf 16 Jahre gesenkt. Genau wie in Berlin ist viel von der „Augenhöhe“ zwischen den drei Partnern die Rede. So haben in Erfurt die kleineren Koalitionspartner SPD und Grüne überproportional viele Ministerien erhalten. Wichtig sei, dass es keine festen Allianzen zwischen zwei Partnern gegen den jeweils anderen gebe, meint Dirk Adams, Fraktionschef der Grünen in Thüringen.
    „Dreierkonstellationen beinhalten das immer, dass man natürlich ein Thema auf dem Tisch hat, meistens eher zwei sich einig sind. Gut ist, dass das keine verhärtete Konstellation ist – zwei Mal Rot gegen einmal Grün oder einmal Grün mit einer roten Schattierung zusammen gegen den anderen –, sondern es geht hin und her, und das zeigt eigentlich auch, dass wir sachbezogen Debatten führen.“
    Matthias Hey (l-r, SPD), Bodo Ramelow (Die Linke) und Dieter Lauinger (Bündnis 90/Die Grünen) unterzeichnen am 04.12.2014 in Erfurt (Thüringen) den Koalitionsvertrag.
    Matthias Hey (l-r, SPD), Bodo Ramelow (Die Linke) und Dieter Lauinger (Bündnis 90/Die Grünen) bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrag. (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
    In Thüringen ist das rot-rot-grüne Regierungsbündnis allerdings schnell im alltäglichen Politikgeschäft angekommen. So hört man manchmal: „Es ist genauso wie früher, nur ohne CDU.“ Schulen und Eltern beschweren sich über zu wenige Lehrer-Neueinstellungen, Polizisten fühlen sich von der Landesregierung allein gelassen. Der Landeshaushalt wurde trotz absehbarer Sparzwänge weiter aufgebläht.
    Am umstrittensten ist aber das zugleich wohl wichtigste Projekt der rot-rot-grünen Regierung in Thüringen: die Gebietsreform. Die Zahl der Kreise soll halbiert werden, vier Städte sollen ihre Kreisfreiheit verlieren. Dagegen erhebt sich mächtiger Protest von der Opposition, den Kommunen, aber auch vielen Bürgern. Für Bodo Ramelow ist die Gebietsreform „alternativlos“.
    „Es gibt keine Alternative zur Reform – es sei denn, man möchte das Land nicht zukunftsfest machen. Das scheint mir aber keine Alternative zu sein. Und alle, die uns kritisch im Moment begleiten, sollten bitte mit Antworten sich in die Diskussion einbringen.“
    Was zu Beginn der Koalition vor zwei Jahren noch so wichtig schien, die Aufarbeitung der SED-Diktatur, ist institutionalisiert in der Staatskanzlei. Dort kümmert man sich, mitunter mit erheblichem Aufwand, um Einzelschicksale von Menschen, die in der DDR verfolgt oder benachteiligt wurden. Auch die Gedenkstätten bekommen weiterhin Geld und Aufmerksamkeit. Was Kritikern jedoch fehlt, ist die innere Auseinandersetzung der Linkspartei mit ihrer Vergangenheit als SED. Da erzählt eine linke Ministerin mal so nebenbei, dass in der DDR ja doch nicht alles schlecht gewesen sei. SPD und Grüne ignorieren das zumeist und sind froh, wenn das Tagesgeschäft läuft.
    Gemeinsames Regieren macht pragmatisch, so sieht es auch die Thüringer Chefin der Linkspartei Susanne Hennig-Wellsow. Sie kann nichts anfangen mit Forderungen aus Teilen ihrer Partei, die NATO abzuschaffen. Für den Fall, dass es eines Tages Koalitionsverhandlungen im Bund gibt, solle die Linke erfüllbare Wünsche formulieren.
    „Das ist für mich das Thema Rüstungsexporte oder auch die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Das sind eher zwei Themen, wo ich sage: Das kann man auch mit den Koalitionspartnern verhandeln und zum Positiven. Aber die Auflösung der NATO als erste Voraussetzung zu setzen, überhaupt ins Gespräch zu kommen, ist vermutlich nicht wirklich ein Türöffner.“
    Taugen rot-rot-grüne Bündnisse auch für den Bund
    Thüringen und Berlin, zwei rot-rot-grüne Bündnisse in den Ländern – könnte diese Art der Koalition überhaupt im Bund funktionieren? Seit Jahren treffen sich Bundespolitikerinnen und -politiker aus der zweiten oder dritten Reihe von SPD, Linken und Grünen in Berliner Kneipen und sondieren das Terrain. R2G heißt das Schlagwort. Die Treffen fanden allerdings lange im Verborgenen statt.
    Doch Mitte Oktober gab es plötzlich einen Auftritt auf der großen Bühne. Man traf sich in einem nüchternen Saal des Bundestages bei Filterkaffee und Schokokeksen und hinterher war die Rührung groß. Axel Schäfer, Fraktionsvize der SPD:
    „Also ich bin seit 1968 politisch aktiv, das war einer der bewegendsten Momente meiner gesamten Laufbahn, weil wir so offen und fair miteinander umgegangen sind und das, was eigentlich jetzt wichtig ist für die Menschen in diesem Land gemeinsam bewegen wollen. Und nicht zurückgeguckt, keine gegenseitigen Schuldzuweisungen, keine Besserwisserei, das war wirklich ein wunderbarer Abend.“
    Axel Schäfer war auch deshalb so gerührt, weil nicht nur die üblichen Verdächtigen am gemeinsamen Tisch saßen. Auch Mitglieder des konservativen Seeheimer Kreises bei der SPD sowie die Generalsekretärin der Sozialdemokraten, Katarina Barley, waren der Einladung gefolgt. Sogar SPD-Chef Sigmar Gabriel tauchte plötzlich auf, er schwieg zwar und war nach einer halben Stunde wieder verschwunden. Trotzdem wertete seine Anwesenheit den Termin auf.
    Die SPD-Generalsekretärin Katarina Barley beantwortet am 01.02.2016 im Willy-Brandt-Haus in Berlin Fragen von Journalisten.
    SPD-Generalsekretärin Katarina Barley (picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm)
    Noch vor einigen Jahren wäre ein solches Treffen für die SPD-Spitze vermutlich undenkbar gewesen. Die Verletzungen waren zu tief, auch auf persönlicher Ebene – mit Abtrünnigen wie dem ehemaligen SPD-Chef Oskar Lafontaine wollte man nicht an einem Tisch sitzen – und schon gar nicht zusammenarbeiten. Inzwischen sendet die SPD andere Signale. Generalsekretärin Barley:
    „Natürlich ist das eine Option. Alle demokratischen Parteien müssen miteinander koalieren können. Und die Schnittmengen sind zwischen Sozialdemokraten, Linken und Grünen natürlich auch da.“
    „Bekanntermaßen setze ich mich seit vielen Jahren dafür ein, dass es auf allen Ebenen Mitte-links-Bündnisse gibt“, sekundierte der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch.
    Und Claudia Roth, grüne Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, lobte die Atmosphäre bei diesem gemeinsamen Treffen.
    „Eine sehr gute Stimmung, eine sehr große Offenheit, und ich glaube, das Wichtige ist die Anerkennung, dass man Respekt voreinander braucht und gleichzeitig eine Anerkennung der Unterschiedlichkeit.“
    Knackpunkt Außen- und Verteidigungspolitik
    Die Schnittmengen der drei Parteien sind bekannt, die Unvereinbarkeiten auch. Für die Grünen sind Linke und SPD „Kohle- und Betonparteien“. In der Sozialpolitik wiederum verlangt die Linke von Grünen und SPD eine Abkehr von der Agenda 2010. In der Umwelt- und Verkehrspolitik sowie im Sozialen können die beiden rot-rot-grünen Koalitionen in Thüringen und Berlin zeigen, ob und wie das Dreierbündnis funktionieren kann.
    Die größten Knackpunkte gibt es allerdings in der Außen- und Verteidigungspolitik und das ist zugleich das größte Hindernis für eine rot-rot-grüne Koalition auf Bundesebene. Die Linkspartei ist strikt gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr, Teile der Partei wollen die NATO abschaffen. Hardliner wie die Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht loben den russischen Präsidenten Wladimir Putin und seit Kurzem sogar den künftigen US-Präsidenten Donald Trump.
    „Offenbar hat ja selbst noch ein Donald Trump wirtschaftspolitisch mehr drauf als Sie. (Unmut im Saal). Denn immerhin hat der Mann begriffen, dass staatliche Industriepolitik besser ist als billige Dienstleistungsjobs und dass gegen Krise und marode Infrastruktur nicht Kürzungspolitik hilft, sondern ein groß angelegtes öffentliches Investitionsprogramm.“
    „Frau Wagenknecht, ich habe Ihrer Rede auch diesmal aufmerksam zugehört. Und bin erstaunt, wie Sie die ökonomische Kompetenz von Donald Trump bewundert haben und gleichzeitig über die politischen Eliten in Europa gewettert haben, die angeblich nur den Mächtigen dienen. Früher hieß es, Proletarier aller Länder vereinigt Euch, heute heißt es, Populisten aller Länder vereinigt Euch“, erwiderte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann.
    Im Moment falle es leichter, an die Wiedervereinigung Koreas zu glauben als an eine Regierung aus Linken und SPD, ätzte daraufhin die Süddeutsche Zeitung. Im Bundestag hätten SPD, Linke und Grüne momentan eine rechnerische Mehrheit. Die aktuellen Umfragen sehen anders aus: Rot-Rot-Grün kommt da auf nur 42 Prozent.