"Ich bin so wütend, ich habe sogar ein Schild dabei"
Das Pappschild hält sie fest in der Hand, der Gesichtsausdruck ist entschlossen: Offensichtlich reicht es dieser Mutter, die am Ende des Schuljahres zum sachsenweiten Aktionstag nach Leipzig gekommen ist.
"Mein Sohn hat sich bei vier Gymnasien beworben, in keinem von denen hat er einen Platz bekommen. Jetzt ist er in einer Schule, die es bisher noch nicht gab. In einem anderen Stadtteil."
Gemeinsam mit mehr als 300 Eltern, Schülern und Kindern protestiert sie hier vor der Bildungsagentur gegen die ihrer Ansicht nach verfehlte Schulpolitik.
"Da sind 140 Schüler dieses Jahr zwangszugewiesen worden, an Gymnasien in anderen Stadtteilen. Daraus ergeben sich sehr lange Schulwege."
Die Liste der Klagen, die die Demonstranten mitgebracht haben, ist lang: Die Klassen werden bis an die rechtliche Obergrenze vollgestopft, die Gymnasien, gerade in den Großstädten müssen viele Schüler abweisen. Der 13-jährige Moritz, Gymnasiast aus Leipzig, ist mit seinen Freunden hergekommen, um gegen den ständigen Unterrichtsausfall zu demonstrieren:
"Meine Klasse ist wirklich voll, für die Lehrer ist es schwer, da für Ruhe sorgen. Weil eigentlich einer immer quatscht."
Gute Ergebnisse in Bildungsvergleichen
Kurz vor der Landtagswahl herrscht Aufruhr unter Eltern und Schülern. Diese Töne mögen im Pisa-Musterland verwundern, war doch Sachsen bislang vor allem mit guten Platzierungen im bundesweiten Bildungsvergleich aufgefallen. Zuletzt gab es wieder die Schlagzeile "Sachsen siegt" – beim Bildungsvergleich der Initiative Neue Marktwirtschaft.
Doch hinter den Kulissen brodelt es: Bis zum Jahr 2030 verabschieden sich zwei Drittel der rund 30.000 Lehrer an allgemeinbildenden Schulen in den Ruhestand – ein Kahlschlag. Das heißt schon jetzt: In den Lehrerzimmern liegt der Altersschnitt ziemlich weit oben, die meisten der sächsischen Lehrer haben ihr Studium noch in der DDR abgeschlossen.
"Ansonsten ist das Gros des Kollegiums Ü 50. Die jüngste Kollegin ist gerade 40 geworden. Die andere wird es im Dezember."
Erzählt Axel Stumpf. Er ist Lehrer für Deutsch und Englisch an einem Gymnasium in Brand-Erbisdorf, das zwischen Chemnitz und Dresden liegt. 800 Schüler sind hier, 70 Lehrer. Viele davon haben es nicht mehr lange bis zur Pensionierung. Die Landesregierung hat sich lange gesträubt, neue Lehrer einzustellen. Finanzdisziplin ging vor. Dabei spielt das Datum 2019 eine ganz entscheidende Rolle, erklärt Ministerpräsident Stanislaw Tillich:
"Übermorgen, weiß ich, haben wir eine Situation, dass wir im Jahre 2019 insgesamt im Vergleich zu heute drei Milliarden Euro an Einnahmen weniger haben werden aus Solidarpaktmitteln und aus EU-Fördergeldern. Wir können heute nicht so tun, als ob das nicht stattfindet."
Pensionierungen sollen ausgeglichen werden
Nach und nach hat die Landesregierung aber den Unmut erkannt und gerade noch rechtzeitig vor der Wahl die Reißleine gezogen. Alle Lehrer, die in Rente gehen, sollen ersetzt werden.
"Wir wissen, dass einen Alterswechsel geben wird. Darauf haben wir reagiert. Wir haben die Anzahl der Studentenzahlen erhöht. Wir haben die Zahl der Referendare erhöht."
Aber ob das jetzt noch reicht? Die Schulen, gerade die in den wachsenden Großstädten Leipzig und Dresden platzen aus allen Nähten, die Zahl der Schulabbrecher ist nach wie vor hoch. Wird aus dem Musterschüler bald ein Sitzenbleiber?
"Das Bundesland lernt sukzessive, dass der Altersabgang in Bezug auf die Lehrerschaft dramatisch ist. Und ich weiß nicht, ob es jedem Bildungspolitiker in dieser Dramatik schon so klar ist."
Bildungsforscher Axel Gehrmann von der TU Dresden ist alarmiert:
"So lange das so weitergeht, werden wir uns umschauen. Ob wir die Güte der Schule in Sachsen überhaupt halten können."
"Ich bin so wütend, ich habe sogar ein Schild dabei."
Am Tag nach der Landtagswahl geht in Sachsen die Schule wieder los. Ab dann werden Eltern und Schüler ganz genau hinschauen, ob die Versprechen aus dem Wahlkampf auch gehalten wurden.