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Landgrabbing in Ostdeutschland
Der Kampf um die letzten freien Hektar

Auf der Suche nach Rendite greifen Anleger weltweit zu Ackerland: Aufkäufer, die oft gar nicht aus dem Agrarsektor kommen, übernehmen Betriebe mit tausenden Hektar landwirtschaftlicher Fläche - und profitieren von den EU-Subventionen. Bäuerliche Familienbetriebe haben angesichts explodierender Preise das Nachsehen.

Von Vanja Budde |
    Der Oder-Neiße-Radweg im Nationalpark Unteres Odertal am deutsch-polnischen Grenzfluss Oder unweit von Schwedt (Brandenburg), aufgenommen am 04.03.2015. Der Nationalpark Unteres Odertal liegt zwischen Hohensaaten und dem polnischen Szczecin (Stettin). Seit 1993 ist der polnische Teil mit etwa 6.000 Hektar als Landschaftsschutzpark, seit 1995 der deutsche mit etwa 10.500 Hektar als Nationalpark ausgewiesen. Die Oderaue ist geprägt von der Stromoder selbst, ihren Altwassern und Schilfgürteln, von den periodisch überfluteten Feuchtwiesen und dem naturnahen Auwald. Die das Tal begrenzenden Hänge sind von artenreichen Laubwäldern bedeckt, die Kuppen von blumigen Trockenrasen. Diese vielfältigen Lebenstypen auf engstem Raum ermöglichen eine für Mitteleuropa ungewöhnliche Artenvielfalt.
    Der Oder-Neiße-Radweg im Nationalpark "Unteres Odertal". Die Pachten für Agrarflächen sind hier noch bezahlbar - allerdings mit strengen Auflagen versehen (Picture alliance / dpa / Patrick Pleul )
    Im kleinen Dorf Stolzenhagen nahe der Oder füttert Anja Hradetzky die Hühner. Bescheidene 100 Hektar Grünland und Acker haben Anja und Janusz Hradetzky für ihren Milchhof "Stolze Kuh" gepachtet – vom Nationalpark "Unteres Odertal" und vom NABU, dem Naturschutzbund Deutschland.
    Die Pacht ist hier bezahlbar, weil mit strengen Auflagen behaftet. Anderswo wären die beiden Jungbauern chancenlos gewesen, weil Bodenspekulanten die Preise in schwindelerregende Höhen treiben, erzählt Anja Hradetzky. Sie engagiert sich im "Bündnis junge Landwirtschaft".

    "Wir waren aktiv gegen Landgrabbing in Ostdeutschland, haben einfach gesehen, dass das Landgrabbing nicht nur eine Frage in Äthiopien ist, wo von den Chinesen das Land aufgekauft wird und die Bauern vertrieben werden, sondern halt auch hier vor Ort in Brandenburg, einfach weil es sich anbietet, große Agrargenossenschaften zu übernehmen. Gibt es auch hier einige Beispiele in der Region."
    Anja Hradetzky vom Milchhof "Stolze Kuh" mit Streichelkuh
    Anja Hradetzky vom Milchhof "Stolze Kuh" mit Kuh (Deutschlandradio / Vanja Budde)
    Landpreise von bis zu 18.000 Euro pro Hektar
    Wer in der märkischen Streusandbüchse Agrar-Flächen kaufen will, sollte mittlerweile ein paar Millionen mitbringen: Die Preise sind explodiert, mittlerweile zahlt man 12.000, 15.000 oder gar 18.000 Euro pro Hektar. Im Westen haben sich die Grundpreise verdoppelt, im Osten haben sie sich seit 2007 sogar verdreifacht. Und die meisten Höfe sind groß in Brandenburg, weil die Böden oft sandig sind und nicht viel Ertrag bringen.
    "Da haben nur Leute eine Chance, die woanders ihr Geld verdienen, außerlandwirtschaftliche Investoren. Da kommen halt dann einfach die Maschinen, die machen alles platt oder ernten alles ab und sind dann wieder weg, da hat das Dorfleben nichts davon. Es ist wirklich keine lebendige Landwirtschaft oder keine bäuerliche Landwirtschaft, sondern es ist eine Industrie."
    Überregionale Investoren bei jedem dritten Agrarbetrieb
    Wie weit dieser Ausverkauf bereits fortgeschritten ist, hat im November vergangenen Jahres eine Studie des Thünen-Forschungsinstituts für Ländliche Räume, Wald und Fischerei offenbart:
    Studienautor Andreas Tietz hat 853 Unternehmen in fünf ostdeutschen Bundesländern daraufhin untersucht, wie sich die Eigentümer-Struktur verändert hat. Anfang 2017 waren demnach bei jedem dritten Agrarbetrieb ortsfremde, überregional aktive Investoren die Mehrheitseigentümer. Diese Quote ist in Mecklenburg-Vorpommern mit 41 Prozent und in Brandenburg mit 36 Prozent am höchsten gewesen.
    "Also mein Wunsch wäre zunächst mal, dass überhaupt mehr Transparenz in dieses ganze Geschäft kommt. Bislang ist es ja so, dass die Landwirtschaftsbehörden zwar über jeden Flächenkauf informiert werden und da eine Genehmigung erteilen müssen oder nicht, dass aber diese großen Share Deals eigentlich nur zufällig, durch die Presse oder wie auch immer bekannt werden, aber dass es nicht mal eine Anzeigepflicht dafür gibt."
    Gesetze werden faktisch ausgehebelt
    Stichwort Share Deals: Dabei kauft der Investor nicht die landwirtschaftliche Fläche direkt, sondern er übernimmt mehrheitlich Anteile an einer Agrar-Gesellschaft, der das Land gehört. Anders als für den Verkauf von Äckern und Wiesen braucht es dafür keine Genehmigung. Diese Entwicklung führe dazu, dass das Grundstückverkehrsgesetz in Ostdeutschland faktisch ausgehebelt wird, sagt Andreas Tietz.
    Das Gesetz soll unter anderem den Fortbestand örtlicher Landwirtschaft schützen, zum Beispiel durch ein Vorkaufsrecht für Bauern aus der Region. Und wenn der Investor nur 94,9 Prozent der Anteile kauft, dann spart er auch noch die Grunderwerbsteuer. Gewinne und Ertragssteuern fließen dagegen oft nach Hamburg oder München ab, oder wo immer der Investor seinen Hauptsitz hat. "Und die Gemeinde selbst guckt dann in die Röhre."
    Bauern können nicht mithalten
    Bauer Marco Hintze aus dem Dorf Krielow ist in der Freiwilligen Feuerwehr, unterstützt den Kindergarten und die Kirche. An einem kochheißen Augusttag fegt Hintze in Latzhose und mit Strohhut auf dem Kopf die Stallgasse, neugierig beobachtet von einem Dutzend Mastrindern. Der Präsident des Brandenburger Bauernbundes hält 200 Stück davon, 550 Hektar Land hat er dafür. Gerne hätte er mehr, aber gegen die Konkurrenz der Investoren kann auch er nicht mithalten.
    "Da habe ich ein Unternehmen in der Nachbarschaft, das nennt sich die ‚Uetzer Agrar‘, die als Deckmantel des Agrarlandwirtschaftsbetriebs fungieren, wo aber der Schirmherr ein großer Insolvenzverwalter, der deutschlandweit agiert, ist – und besitzt über, schätze ich mal, 8.000 bis 12.000 Hektar."
    Bauernbund-Präsident Marco Hintze mit Rind
    Bauernbund-Präsident Marco Hintze mit Rind (Deutschlandradio / Vanja Budde)
    Kappung von Agrarsubventionen als Gegenmaßnahme
    Eine wirksame Maßnahme gegen den Ausverkauf wäre es, die EU-Subventionen zu kappen und nur noch ortsansässigen Bauern zu zahlen, meint Marco Hintze. Nach Berechnungen des Bundes für Umwelt und Naturschutz bekommt eine Handvoll riesiger Agrar-Holdings in Deutschland ein Drittel der gesamten Direktzahlungen.
    Daher hat auch die EU-Kommission im vergangenen Juni vorgeschlagen: Agrar-Subventionen soll es ab 2020 nur noch bis zu einer betrieblichen Obergrenze geben, die die Mitgliedstaaten festlegen können. Eine erfolgversprechende Strategie, findet auch Axel Vogel, Vorsitzender der oppositionellen Grünen-Fraktion im Landtag.
    "Die Frage der Kappung ist der Dreh- und Angelpunkt dafür, ob wir vollständig in eine industrialisierte Landwirtschaft hier abgleiten, die nur noch Riesenbetriebe kennt auf der einen Seite und dann so ein paar Idealisten, die kleinere Betriebe haben, oder ob wir tatsächlich eine vielgestaltige Landwirtschaft haben. Und solange die Landesregierung und einige andere ostdeutsche Landwirtschaftsminister sich wirklich mit Händen und Füßen dagegen wehren, wird es da halt schwierig."
    Aus dem SPD-geführten Landwirtschaftsministerium in Potsdam heißt es, man sehe den wachsenden Anteil von Investoren durchaus mit Sorge. Doch dagegen sei kaum ein rechtliches Kraut gewachsen. Denn grundsätzlich könne jedermann seinen Betrieb verkaufen, an wen er will.