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Landkreis Börde in Sachsen-Anhalt
Kita-Wunderland in Ostdeutschland

Obwohl es mittlerweile einen Rechtsanspruch gibt, klagen Eltern in vielen westdeutschen Städten über große Probleme, einen Kindergartenplatz für ihren Nachwuchs zu ergattern. In der Region Börde in Sachsen-Anhalt scheint es diesbezüglich deutlich entspannter zuzugehen.

Von Christoph Richter |
    Zu sehen sind mehrere Hosenbeine und Schuhe von Kindern
    In der Region Börde bekommen sechs von zehn Kindern auf Anhieb einen Kita-Platz. (picture alliance/dpa/Christian Charisius)
    "Ich find' es unheimlich familiär. Das ist der große Vorteil, dass jeder jeden kennt und wenn was ist, kann man immer mit jemanden reden ..."
    In der Kita Abenteuerland in Hermsdorf in der Gemeinde Hohe Börde, 20 Kilometer nordwestlich von Magdeburg, toben Kinder, drinnen und draußen. Das vor fünf Jahren gebaute Haus ist ein lindgrünes lichtes Glas-Beton-Gebäude, jeder Gruppenraum hat eine Terrasse oder Balkon. Man fühlt sich fast ein bisschen wie im Pippi-Langstrumpf-Land, die Eltern sind begeistert.
    "Johannes konnte hier auch gleich mit sechs Monaten, wo es eröffnet wurde, in die Kita gehen, hat sich für die arbeitende Bevölkerung gut angeboten."
    Die Kita steht mitten im Dorf. Das Ganze nennt sich auch "Neue Hermsdorfer Dorfmitte". Eine Art Kinder-Campus und Mehrgenerationen-Projekt. Denn neben der Kita gibt es in unmittelbarer Nachbarschaft noch einen Hort, eine Grundschule und ein Senioren-Zentrum. Die Börde: Eine Region, die nicht nur für seine hervorragenden Böden bekannt ist, gilt bundesweit als Kita-Wunderland. Von zehn Kindern bekommen hier sechs Kinder einen Kita-Platz. Schlusslicht ist der bayrische Landkreis Berchtesgadener Land am Alpenrand. Hier liegt die Quote gerade mal bei 13 Prozent. Spurensuche.
    "Im Vergleich zu Bayern würde ich sagen, dass die soziokulturellen Hintergründe andere sind, das Rollenverständnisse hier anders gewachsen sind. Insbesondere die Berufstätigkeit der Frau hatte vor der Wende und hat bis heute einen anderen Stellenwert, als das in einigen anderen Bundesländern der Fall ist."
    Hohe Kindergartendichte
    Die Börde profitiere letztlich, erzählt Gemeindesprecher Maik Schulz, von dem aus DDR-Zeiten stammenden flächendeckenden Kita-System, als Kitas selbstverständlich waren, weil das SED-Regime jede Frau in der Produktion brauchte. Die Gemeinde Hohe Börde - flächenmäßig so groß wie Lichtenstein - hat Superlative aufzubieten. Im 18.500 Einwohner großen Ort gibt es 13 kommunale und vier private Kindertageseinrichtungen. Kein Zauberwerk, sagt Bürgermeisterin Steffi Trittel. Man müsse nur wollen, ergänzt sie noch.
    "Also es ist ganz bequem, zu sagen, wir haben kein Geld, wir müssen konsolidieren, da brauchen wir uns auch nichts mehr einfallen zu lassen. Aber es gibt auch andere Wege. Wie hoch ist die Förderung da? Wie kann man es machen. Man braucht immer Eigenmittel, aber man kann das eine ja so oder so machen."
    Alle Kindertageseinrichtungen wurden nach dem Mauerfall erhalten. Für Bürgermeisterin Steffi Trittel eine Selbstverständlichkeit. Denn Kitas sind, wie sie sagt, eine demografischer Haltefaktor. Auf Deutsch: Die Eltern ziehen deswegen in die Gemeinde, weil es ein gutes Netz von Kitas und Schulen gibt. 180 Einrichtungen gibt es in der Börde, vom Waldkindergarten bis zur Waldorfkita ist alles da.
    "Gerade in dem Gebiet, wo dann junge Leute nur wohnen und weniger arbeiten. Und für diesen Wohnstandort ist eben gute Bildung und gute Kinderbetreuung ausschlaggebend."
    Wo Licht ist, ist aber auch Schatten. Denn beim Betreuungsschlüssel hapert es in der Kita Abenteuerland beträchtlich. Es mangelt an Erzieherinnen. So kümmert sich bei den Drei- bis Sechsjährigen lediglich ein Erzieher um zwölf Kinder. Erziehungswissenschaftler fordern dagegen, dass sich ein Betreuer um drei Kinder kümmern soll. Sachsen-Anhalt liegt mit 6,4 Kindern – wie die Statistiker ausgerechnet haben - abgeschlagen auf dem letzten Platz. Spitzenreiter sind Bremen und Baden-Württemberg. Gudrun Meyer, die Leiterin der Kita-Abenteuerland in Hermsdorf, ficht das Problem nicht an, verweist aber darauf, dass man das Bestmögliche unternehme, dass es den Kindern gut gehe.
    "Wir haben den situationsbedingten Ansatz. Die Kinder entscheiden jeden Morgen selbst, was sie machen möchten. Und wir sind so ein bisschen weltoffen, sprechen auch ein bisschen englisch. Leider konnten wir keinen Muttersprachler bisher finden, um bilingual zu sein. Aber wir machen es selbst. Und wir werden an dem Projekt Willkommens-Kita teilnehmen, die im Land läuft."
    In Hermsdorf können die Eltern schon ihr acht Wochen altes Kind in die Kita bringen, sofern ein Platz frei ist. Denn auch hier – im Kita-Wunderland Börde – bekommt man nicht überall seinen Wunschplatz. Das wird nicht einfacher, falls das "Kita-Qualitätsgesetz" kommt, ein Wunsch der SPD-Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig. Ein Kraftakt. Denn bundesweit müssten dann 120.000 neue Erzieher eingestellt werden, hat die Bertelsmann-Stiftung schon mal errechnet. Eine beträchtliche Herausforderung für die Bundesländer, Gesamtkosten fünf Milliarden Euro. Eine Zahl die deutlich macht, dass es nicht ausreicht, nur viele Kitas zu haben, sondern, dass man auch gut ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher benötigt.
    Damit dürften die Schweißperlen auf der Stirn der Verantwortlichen in Sachsen-Anhalt, in der Börde, auch in der Kita Abenteuerland in Hermsdorf bei Magdeburg, in Zukunft nicht kleiner, sondern größer werden.