Die Ukraine galt einst als Kornkammer der Sowjetunion. Doch als diese zusammenbrach, stürzte die ukrainische Landwirtschaft zunächst ins Chaos. Die Kolchosen wurden aufgelöst. Das Land bekamen die ehemaligen Mitglieder der Kolchosen, also die Arbeiter - insgesamt rund sieben Millionen Menschen.
Die meisten von ihnen wussten nichts mit den winzigen Parzellen anzufangen. Die Geräte der Kolchosen verrosteten, das Land lag vielfach brach. Besser wurde es erst, als einige Bauern begannen, das Land von anderen zu pachten. Das war allerdings mühsam und nur mit der Unterstützung korrupter Beamter und Bürgermeister möglich.
Schwarzmarkt für Ackerland
Daran habe sich bis heute nicht viel geändert, beklagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vor kurzem. Denn:
"Vor 18 Jahren hat das Parlament ein Gesetz erlassen, das den Verkauf von Ackerland verboten hat. Mit dem Auftrag, die Abgeordneten sollten einen Mechanismus ausarbeiten, wie der Boden transparent gehandelt werden darf. Passiert ist nichts. Und heute haben wir einen riesigen Schwarzmarkt für die Nutzung von Ackerland."
Mit diesen unklaren Besitzverhältnissen solle endlich aufgeräumt werden, so das Staatsoberhaupt. Der legale Handel mit Ackerland soll möglich werden. Selenskyj hat dem Parlament aufgetragen, bis Dezember eine Bodenreform zu verabschieden. Wenn alles nach Plan läuft, werde das Gesetz am 1. Oktober 2020 in Kraft treten. Unterstützt wird der ukrainische Präsident dabei von der Weltbank.
Landwirtschaft kann mehr liefern
Die meisten Experten geben Selenskyj Recht. Die ukrainische Landwirtschaft entwickelt sich zwar dynamisch. Im vergangenen Jahr stiegen die Exporterlöse der Agrarbranche abermals, auf über 17 Milliarden Euro.
Doch die ukrainische Landwirtschaft habe ein noch weit größeres Potential, sagt Oleh Niwjewskyj von der Kiewer Schule für Ökonomie:
"Das Verbot, mit dem Boden zu handeln, hat eine weitere negative Folge. Die Eigentümer können den Grund nicht mit einer Hypothek belasten, um einen Kredit zu nehmen. Vor allem kleinere Bauern haben deshalb kein Kapital, um zu investieren. Das wiederum führt dazu, dass wir unproduktiver wirtschaften als Agrarbetriebe in Ländern wie den USA oder in Deutschland."
Bevölkerung ist gegen den Landverkauf
Doch populär ist die geplante Bodenreform nicht. Zwei Drittel der Bevölkerung lehnen sie ab, wie Umfragen zeigen. Auch viele Bauern haben Bedenken. Ein Winzer sagte dem ukrainischen Radiosender "Hromadske":
"Das große Risiko ist doch, dass nicht nur große ukrainische Firmen das Land aufkaufen, sondern auch ausländische Konzerne. Und dann wiederholt sich hier das, was in Argentinien passiert ist: Die Argentinier haben kein Land mehr, und alles ist in der Hand von zwei oder drei US-Konzernen."
Die meisten Experten weisen diesen Einwand zurück. Den Bauern werde gezielt Angst gemacht, meint Oleh Niwjewsyj. Auch das Beispiel Argentinien, das immer wieder genannt werde, stimme so gar nicht.
Ausländische Investitionen seien sogar wichtig, meint Niwjewskyj.
"So ein ausländischer Investor bringt Technologie mit, die es in der Ukraine bisher noch nicht gibt, er bringt Fachwissen und Kapital mit. Wir haben berechnet: Wenn die Ukraine ausländische Investoren ausschließt, verzichten wir jährlich auf ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 0,5 Prozent."
Keine ausländischen Investoren
Trotzdem scheint der Präsident an diesem Punkt nachzugeben. Nur Ukrainer und ukrainische Unternehmen sollen Boden kaufen können, erklärte er vor wenigen Tagen.
Bedenken haben die Dorfbewohner in der Ukraine auch, weil eine effektivere Landwirtschaft weniger Menschen beschäftigen wird. Das geben die Experten zu. Der Staat müsse sich eben darum kümmern, dass auf den Dörfern auch andere Arbeitsplätze entstehen - und die Menschen dort umschulen, meinen sie.