Landtagswahl in Brandenburg
Kurze Verschnaufpause für die Bundes-SPD

Nur knapp hat die SPD vor der AfD die Landtagswahl in Brandenburg gewonnen. Kanzler Scholz und die Bundespartei sind erleichtert. Doch für die Ampelregierung kündigt sich bereits die nächste Krise an.

    Dietmar Woidke (r, SPD), Ministerpräsident von Brandenburg, und Lars Klingbeil, SPD-Bundesvorsitzender, geben eine Pressekonferenz nach den Gremiensitzungen der Partei nach der Landtagswahl in Brandenburg.
    Nach dem knappen Sieg für die SPD in Brandenburgs stellten sich Generalsekretär Lars Klingbeil und Ministerpräsident Dietmar Woidke der Presse in Berlin. (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
    Brandenburg hat einen neuen Landtag gewählt. 2,1 Millionen Bürgerinnen und Bürger ab 16 Jahren konnten abstimmen. Die Befürchtungen, die AfD könnte stärkste Kraft werden, haben sich nach Auszählung aller Stimmen nicht bewahrheitet. Es ist der SPD gelungen, die AfD zu überholen - allerdings nur knapp. Nach schlechten Wahlergebnissen bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen hat die SPD damit den Negativtrend vorerst stoppen können. Die Probleme der Ampelregierung sind damit aber nicht gelöst.
    Brandenburgs Ministerpräsident und SPD-Spitzenkandidat Dietmar Woidke setzte im Wahlkampf alles auf eine Karte: Entweder gewinnt seine SPD – oder er tritt ab. Er positionierte sich als entschiedener Gegner der AfD und warnte vor einer weiteren Stärkung rechtsextremer Kräfte in Brandenburg. Noch die letzten Umfragen vor der Wahl sahen die AfD, die vom Landesverfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft wird, vorne. Doch die SPD konnte von Umfrage zu Umfrage aufholen.
    Der "Showdown" zwischen Woidkes SDP und der AfD scheint die Wählerinnen und Wähler mobilisiert zu haben: Die Wahlbeteiligung lag bei 72,9 Prozent – mit der höchste Wert, der bislang in Brandenburg verzeichnet wurde. Bei der vorhergehenden Wahl 2019 gingen 61,3 Prozent der Wahlberechtigten an die Urne.

    Inhalt

    Wie haben die Parteien bei der Landtagswahl in Brandenburg abgeschnitten?

    Die SPD von Ministerpräsident Dietmar Woidke ist mit 30,9 Prozent der Stimmen Wahlsieger, während die AfD mit 29,2 Prozent nur wenig dahinterliegt. Beide Parteien konnten im Vergleich zur vorangegangenen Wahl zulegen. Die SPD um 4,7 Prozentpunkte, die AfD um 5,7.  
    Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) trat erstmals bei der Landtagswahl in Brandenburg an – und gewann das Rennen um Platz drei gegen die CDU. Das BSW liegt bei 13,5, die CDU bei 12,1 Prozent. Damit musste die CDU einen Verlust von etwa 3,5 Prozentpunkten im Vergleich zur vorherigen Wahl hinnehmen - und fuhr ihr historisch schlechtestes Ergebnis in Brandenburg ein.
    Die Grünen (4,1 Prozent), Die Linke (3 Prozent) und BVB/Freie Wähler (2,6 Prozent) bleiben unter der Fünf-Prozent-Hürde. Vor fünf Jahren hatte Die Linke noch 10,7 Prozent der Stimmen geholt, die Grünen 10,8 Prozent. Auch ein Direktmandat, das einen Einzug in den Landtag unabhängig von der Fünf-Prozent-Hürde ermöglicht hätte, konnten die Parteien nicht erringen.
    Das vorläufige Wahlergebnis zeigt: Das traditionelle Parteiensystem zerfällt zunehmend.

    Was bedeutet die Wahl in Brandenburg für die Bundespolitik?

    Bei der Bundes-SPD und Kanzler Olaf Scholz sorgte der Wahlausgang für Erleichterung. Daraus aber einen positiven Trend für die Bundespolitik abzuleiten, dürfte schwer sein. Ministerpräsident Dietmar Woidke verzichtete explizit auf Wahlkampfhilfe aus Berlin.
    Eine Lehre und ein mögliches Szenario der SPD für die Bundestagswahl könnten jetzt sein: Wer den Unions-Kandidaten Friedrich Merz verhindern will, muss Olaf Scholz wählen. Das wäre allerdings ein gewagtes Unterfangen. Im Gegensatz zu Scholz gilt Woidke als beliebt und führungsstark.  
    Unmittelbare Auswirkungen könnte die Landtagswahl auf die Ampelregierung haben. Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki mutmaßte sogar, die Ampel-Koalition werde Weihnachten nicht mehr erleben. Auch FDP-Chef Christian Lindner sprach von einem Herbst der Entscheidungen.

    Wie sah die Wählerwanderung aus?

    Dass es den Sozialdemokraten gelungen ist, stärkste Kraft zu werden, mag zum einen an der zunehmenden Polarisierung des Wahlkampfes zwischen Woidkes SPD und der AfD gelegen haben. Hinzu kommen hohe Beliebtheitswerte für Ministerpräsident Dietmar Woidke. Zwei Drittel der Wahlberechtigten in Brandenburg halten ihn für einen guten Ministerpräsidenten. Etwa sechs von zehn sind mit seiner Arbeit zufrieden.
    Zudem hat die SPD traditionell in Brandenburg einen großen Rückhalt: Seit 1990 haben mit Manfred Stolpe, Matthias Platzeck und jetzt Dietmar Woidke ausschließlich Sozialdemokraten die Landesregierung in Potsdam geführt.

    SPD gewinnt Wähler in allen politischen Lagern

    Unerwartete Unterstützung erhielt Ministerpräsident Woidke im Wahlkampf durch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer. Der CDU-Politiker rief dazu auf, in Brandenburg die SPD zu wählen und damit die AfD als stärkste Kraft zu verhindern. Die zunehmende Polarisierung zwischen SPD und AfD scheint Anhänger unterschiedlicher politischer Lager dazu gebracht zu haben, ihr Kreuz diesmal bei der SPD zu machen.
    Die Sozialdemokraten konnten Stimmen aus fast allen anderen Parteien dazugewinnen - vor allem von den Christdemokraten, den Grünen und der Linken. Mehr als 40.000 Wählerinnen und Wähler, die 2019 ihr Kreuz bei den Grünen gesetzt haben, wählten nun die SPD. Auch konnte sie in großem Maße Nichtwähler mobilisieren - was bei vorangegangenen Wahlen vor allem der AfD gelungen ist.

    AfD profitiert von negativer Gesamtstimmung

    Auch die AfD konnte nahezu allen politischen Lagern Wählerinnen und Wähler abspenstig machen - besonders der CDU: Mehr als 20.000 Stimmen erhielt die Partei aus deren Lager. Darüber hinaus gelang es der AfD, Nichtwähler an die Urne zu bringen. Auch konnte die Partei die stärksten Zugewinne bei jungen Wählerinnen und Wählern verzeichnen.
    Dabei konnte die AfD von einer negativen Gesamtstimmung in Brandenburg profitieren. Außerdem punktete sie beim Thema Zuwanderung. Auch soziale und wirtschaftliche Verlust- und Abstiegsängste sind für die AfD-Wählerschaft prägend. Dazu kommt eine Normalisierungstendenz bezüglich der Partei: Ein Großteil der Anhängerschaft billigt, dass die AfD in Teilen als rechtsextrem gilt. Die meisten sehen die AfD aber ohnehin als Partei der Mitte. Das geht aus einer Umfrage von Infratest dimap hervor.
    Mit 30 Sitzen im Brandenburger Landtag verfügt die AfD über mehr als ein Drittel der Mandate und hat damit wie in Thüringen eine Sperrminorität im Parlament erreicht. Die Partei kann damit Wahlen und Entscheidungen blockieren, die eine Zweidrittelmehrheit benötigen wie die Wahl von Verfassungsrichtern und Richterinnen oder Änderungen der Landesverfassung.

    CDU als Verliererin in Brandenburg

    AfD oder SPD - scheint es also bei der Wahl in Brandenburg geheißen zu haben. Damit lasse sich auch das schlechte Abschneiden der CDU erklären, sagt Politikwissenschaftler Christian Stecker. „Ich glaube, es ist ganz klar ein Effekt dieses Zweikampfes zwischen Woidke und der AfD.“

    BSW: Mit Sahra Wagenknecht punkten

    Das BSW konnte mit der Kombination von linker Sozial- und Wirtschaftspolitik mit konservativen gesellschaftspolitischen Vorstellungen punkten und so Wählerinnen und Wähler aus allen politischen Lagern gewinnen, vor allem aber von der Linken. Auch viele Jungwähler stimmten für das BSW.
    Dass Spitzenkandidat Robert Crumbach in der brandenburgischen Öffentlichkeit so gut wie unbekannt ist, hat für die Wahlentscheidungen wohl kaum eine Rolle gespielt. Wichtig war hingegen Parteigründerin und Namensgeberin Sahra Wagenknecht: Etwa die Hälfte der BSW-Wähler und -Wählerinnen sagte, dass ihre Wahlentscheidung ohne Wagenknecht anders ausgesehen hätte.

    Welche Koalitionen sind im Brandenburger Landtag möglich?

    Die SPD ist nach Auszählung aller Stimmen stärkste Kraft im Land geworden. Damit bleibt Ministerpräsident Woidke im Amt – und müsste ein Regierungsbündnis schmieden.
    Für ein Zweierbündnis aus SPD und CDU könnte es knapp werden. Nach Auszählung der Stimmen fehlt dem Koalitionsbündnis ein Sitz. Dabei ist dies die von Woidke präferierte Koalitionsmöglichkeit: „Wir werden als Erstes mit der CDU reden“, sagte der Ministerpräsident nach ersten Hochrechnungen. „Dann werden wir schauen, ob es weitere Partner braucht.“
    Ein Zweierbündnis aus SPD und BSW könnte dagegen auf eine Mehrheit kommen. SPD-Ministerpräsident Woidke kann sich eine Koalition mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht durchaus vorstellen, was mit der SPD-Vergangenheit des BSW-Spitzenkandidaten Robert Crumbach zusammenhängt. Er war 40 Jahre lang SPD-Mitglied – Referent der Brandenburger SPD-Landtagsfraktion sowie Justiziar im Arbeits- und Sozialministerium.
    Als Koalition mit komfortabler Mehrheit ist ein Bündnis aus SPD, CDU und BSW rechnerisch möglich. Ob die märkische CDU im Fall der Fälle zu Gesprächen mit dem BSW bereit wäre, ist derzeit schwer vorhersagbar. Auch ist fraglich, ob das BSW überhaupt bereit ist, Regierungsverantwortung zu übernehmen.

    Welche Themen waren für die Wahl entscheidend?

    Ähnlich wie in Thüringen und Sachsen ist die Stimmung in Brandenburg vor der Landtagswahl „negativ eingefärbt“. Das schreibt Infratest dimap aufgrund einer Umfrage kurz vor der Landtagswahl. Sehr viel mehr Wahlberechtigte als 2019 würden sich über eine zunehmende Kriminalität, einen gestärkten Einfluss des Islam und hohe Zuwanderungszahlen Sorgen machen.
    Außer dem Thema Zuwanderung sind laut Infratest dimap soziale und wirtschaftliche Fragen wahlentscheidend gewesen. Die Zahl derer, die sich um ihren persönlichen Wohlstand sorgen, ist eineinhalbmal so groß wie vor fünf Jahren.
    Dabei sehen die ökonomischen Daten für Brandenburg nicht schlecht aus: Die Arbeitslosenquote ist mit etwa sechs Prozent recht gering. Außerdem hat Brandenburg ein - im Ländervergleich - relativ hohes Wirtschaftswachstum von etwa 2,2 Prozent vorzuweisen. Große Unternehmen haben sich im Bundesland angesiedelt, zum Beispiel das Tesla-Werk als größter industrieller Arbeitgeber und Ausbildungsbetrieb. Auch der Flughafen BER bringt Arbeitsplätze. Das konnte die Sorgen vor einem wirtschaftlichen Abstieg bei den Wählerinnen und Wählern aber anscheinend kaum dämpfen.
    Der Klimaschutz spielte bei der Wahlentscheidung der Brandenburgerinnen und Brandenburger dagegen nur eine geringe Rolle. Ebenso die Bildungspolitik und das Themenfeld Ukraine und Russland.
    Begleitet wird die kritische Grundstimmung der Bevölkerung „von massivem Unbehagen an der aktuellen Bundespolitik“, schreibt Infratest dimap. Acht von zehn Wahlberechtigten üben Kritik an der Berliner Ampel-Regierung. Nur jeder Fünfte bescheinigt ihr eine gute Arbeit.

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