Jörg Biesler: Die Kultur ist zum politischen Streitgegenstand geworden. Die Süddeutsche Zeitung und die ARD haben heute unter dem Titel "Kampffeld Kultur" eine Chronologie von Versuchen der politischen Rechten aufgelistet, Einfluss auf kulturelle Institutionen zu nehmen oder sie zu diskreditieren. Mit Blick auf einen möglichen Erfolg der AfD bei der Wahl in Sachsen am Sonntag muss man fragen, was Institutionen dann erwarten. Wir machen das in einer kleinen Reihe hier bei "Kultur heute". Vor der Sendung habe ich dazu mit Christoph Dittrich gesprochen, dem Generalintendanten der Theater Chemnitz. Macht er sich Sorgen um die Freiheit der Kunst?
Christoph Dittrich: Die mache ich mir durchaus. Wenngleich ich auch wieder einschränken möchte, dass ich im Augenblick das Gefühl habe, dass wir in einer Demokratie leben und dass deren Instrumente auch funktionieren und dass es nicht gut wäre, das schlecht zu reden. Gleichwohl leben wir in einem Umfeld, das neu ist, das rauer geworden ist. Und durch diese Möglichkeiten des Populismus, auch Unwahrheiten zu verbreiten, des Extremismus, dieser Absolutheit von Meinungen, die vertreten werden, besteht schon auch diese Sorge, ob es irgendwann einen Zugriff auf die Freiheit des Kunst und der Meinungsvielfalt geben wird.
Bislang keine politische Einflussnahme
Biesler: In der heute veröffentlichten Chronologie kommt Chemnitz vor mit einer anonymen Bombendrohung im November 2018 gegen ein Konzert der Band "Feine Sahne Fischfilet". Wie sehen Sie die Stimmung in der Stadt?
Dittrich: Die Stimmung in der Stadt unterscheidet sich bestimmt gar nicht grundlegend von der Stimmung in vielen anderen deutschen Städten. Wir haben am Theater zum Beispiel noch keine direkte Beeinflussung politischer Art irgendwelcher Richtung erfahren - nur ganz partiell in "Social Media"-Dingen – aber wirklich nicht flächendeckend. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass in Chemnitz ja seit dem letzten August/September viele Dinge wirklich in der gesamten Gesellschaft verhandelt werden und gar nicht so bezogen auf die Kultur. Die Kultur spielt eine wichtige Rolle, die Kunst, das ist richtig. Aber sehr viel wird dort wirklich in der gesamten Gesellschaft besprochen und verhandelt.
Biesler: Sie haben es erwähnt: die Ausschreitungen, die es vor einem Jahr gegeben hat, und die Diskussion anschließend, die jetzt gerade noch mal neu aufgeflammt ist, zur Frage, ob es dort Hetzjagden gegeben hat. Es gab ja geradezu eine Regierungskriese in Berlin wegen dieser Diskussion.
Angeblich gibt es aktuell eine Art Terrorisierung des ortsansässigen Fußballvereins FC durch Rechte, schreibt jedenfalls die Chemnitzer BILD-Zeitung heute unter der Überschrift "Die widerlichsten Fans Deutschlands". Machen Sie sich auch Sorgen um das Bild der Stadt Chemnitz in der Öffentlichkeit?
Dittrich: Diese Sorgen mache ich mir persönlich sehr und zwar nicht seit heute, sondern natürlich spätestens seit den Ereignissen im letzten August und September. Und zusätzlich zu unserem eigentlichen Spielplan, zu unserem Auftrag ist dort ein zusätzliches Standbein hinzugekommen, sich darum zu bemühen, in die Gesellschaft noch direkter hinzuwirken. Was ist eigentlich los mit der Verständigung in der Gesellschaft? Und welches Bild geben wir ab?
"Breite Bevölkerung darf nicht in Haftung genommen werden"
Es ist ganz wichtig, zwei Säulen dort zu sehen. Es gibt wirklich Probleme, gerade eben auch aus diesem Fußballumfeld, die mit Extremismus und furchtbaren Dingen zu tun haben. Dagegen ist etwas zu unternehmen! Das ist nicht hinzunehmen! Und auf der anderen Seite geht es nicht an, dass die breite Bevölkerung, die eine ganz wunderbare Arbeit leistet, ein wunderbares Leben lebt, dort in Haftung genommen wird durch diese Gruppen, die dort ein furchtbares Bild abgeben. Beides muss man ins Auge fassen, es schließt sich gegenseitig nicht aus.
Biesler: Wie können sie denn programmlich darauf reagieren? Ich habe im Spielplan gesehen, Sie planen für die nächste Spielzeit ein Stück zur wacklig gewordenen Grundordnung, so heißt das, mit dem Titel "Feindliche Übernahme". Aber es ist ja nicht damit zu rechnen, dass die Kreise, aus denen die Kritik kommt, zu Ihnen ins Theater kommen.
Dittrich: Da haben Sie absolut Recht. Das trifft auch diesen Punkt, den ich vorhin nannte, eines direkteren und offeneren Hineinwirkens in die Stadtgesellschaft über das hinaus, was auf unseren Bühnen passiert. Natürlich ist zunächst unser Spielplan in jedem Punkt ein Appell an das Humane, an die Differenzierung, an das Zulassen der Analyse, an Zulassen von Widersprüchen – das Aufnehmen und eben nicht das Verurteilen. Das steht schon mal fest. Und darüber hinaus beteiligen wir uns an sehr vielen Dingen, die auch Menschen erreichen, die nicht unbedingt zu unserem Publikum zählen. Es passiert sehr viel in der Öffentlichkeit mit einem Raum, der hier in Chemnitz "Open Space" genannt wird, wo die Kunstsammlungen sich sehr engagiert haben, an einem wichtigen Ort in der Nähe des Karl-Marx-Kopfes Veranstaltungen durchzuführen, Open-Airs, viele andere Dinge – wo es einfach einen Anlaufpunkt gibt für Menschen, die eine Haltung zeigen wollen, die sich artikulieren möchten, die überprüfen möchten: Wer sind wir denn eigentlich hier in unserer Stadt?
"Demokratie muss Unterschiedlichkeit aushalten"
Biesler: Sie haben gesagt, dass diese Themen in Chemnitz offensichtlich noch stärker als in anderen Städten öffentlich verhandelt werden – eben gerade wegen der Ereignisse vor einem Jahr. Wie ist denn Ihr Gefühl bei dieser öffentlichen Verhandlung? Ist das eine positive Entwicklung, sodass die gespaltene Gesellschaft vielleicht wieder ein Stückchen zusammenrückt?
Dittrich: Ja! Ich habe den ganz großen Willen, das positiv zu sehen. Es ist ein Wesensmerkmal der Demokratie, dass sie diese Unterschiedlichkeit aushalten muss, dass einfach auch ein Auftrag entsteht, zu argumentieren, zu analysieren, zu werben. Gleichwohl räume ich ein, dass es auch sehr schwer ist – das wissen alle -, Menschen, die sich so festgelegt haben, die sich entschieden haben, wieder neu zu öffnen. Das ist etwas sehr Schweres, aber gleichwohl denke ich, das ist der einzige Weg und der richtige. Und er zeichnet uns ja gerade als Demokraten aus, dass er eben zu gehen ist, dieser Weg.
Biesler: Christoph Dittrich, Generalintendant der Theater Chemnitz in unserer Reihe mit Aussichten von Kulturinstitutionen in Sachsen und Brandenburg auf die Wahlen am Sonntag.
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