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Landtagswahl in Niedersachsen
Wahlkampf im Zeichen der Energiekrise

In Niedersachsen wird am Sonntag ein neuer Landtag gewählt. Im Wahlkampf stehen die Energiekrise und die Maßnahmen dagegen im Mittelpunkt. Eine Wiederauflage der derzeit regierenden Großen Koalition gilt als unwahrscheinlich, stattdessen buhlen SPD und CDU um die Grünen.

Von Bastian Brandau |
An einer HauptstraÃe in Hannover sind Wahlplakate der SPD, CDU, den Grünen und der FDP aufgestellt
Wahlwerbung vor den Landtagswahlen in Niedersachsen: Mit erneuerbaren Energien unabhängiger und klimaneutraler zu werden – damit versuchen die Parteien Stimmen zu gewinnen. (picture alliance / Kirchner-Media / Marco Steinbrenner / Kirchner-Media)
Die Sommerreise von Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil im Juli. Erste Station ist ein Waldgebiet im Landkreis Nienburg. Noch sind es drei Monate bis zur Landtagswahl in Niedersachsen, doch schon jetzt geht es fast ausschließlich um ein Thema – Energie.

CO2-neutrale Produktion von Wasserstoff

„Also, wir befinden uns hier in der Eickhofer Heide. Die Elektrolyse ist auf dieser Fläche geplant, auch ein Röhren-Speicher. Und als Kernidee natürlich auch die Ansiedlung eines grünen Industriegebietes sozusagen als zweiten Step, wenn wir hier auch den Grünstrom zu produzieren.“
Ein Unternehmer hat Großes vor in der Eickhofer Heide. Die Nationalsozialisten ließen hier Sprengstoff herstellen, dann kamen britische Besatzungstruppen, dann passierte lange nichts. Nun soll hier in einem Pionierversuch Wasserstoff hergestellt werden mittels Elektrolyse. Dabei wird, vereinfacht gesagt, Wasser mit Strom bearbeitet und aufgespalten in Sauerstoff und Wasserstoff. Der Wasserstoff, speicher- und transportierbar, soll in Zukunft an vielen Stellen Gas ersetzen und könnte das, wenn mit grünem Strom produziert, CO2- neutral leisten.
Klimaneutral und unabhängig von Gaslieferungen, so die Hoffnung – und genauso stellt sich SPD-Ministerpräsident Weil die Zukunft vor. Doch auch das erfährt der Ministerpräsident im Vorwahlkampf: Die bürokratischen Hürden für Unternehmer und Kommunen sind hoch:
„Herr Weil, wenn Sie uns unterstützen wollen, dann haben wir zwei große Bitten an Sie. Zum einen, wenn die Liste zu den Renewables von der EU kommt,...
Stephan Weil: „…soll die Eickhofer Heide an 1 stehen“
„Genau. Eins ist völlig ausreichend…“
Weil: „Das habe ich schon verstanden“ (Gelächter)
„Die zweite Botschaft. Sie haben vorhin nach dem Planungsstand gefragt. Die Auslegung von Paragraf 35 des BauGb… Wenn die so ausgelegt würde und Sie die genehmigenden Behörden unterstützen können bei der Auslegung und sagen könnten, dass im Außenbereich grüne Elektrolyse-Standorte privilegiert sind. Dann könnten wir hier schon einen Schritt weiter sein.“
Hat Stephan Weils rot-schwarze Regierung in den vergangenen Jahren ausreichend für die Energiewende getan? Und wie kann die Versorgung kurz- und mittelfristig gesichert werden? Es sind die Fragen, mit denen Weil vor der Landtagswahl am kommenden Sonntag immer wieder konfrontiert wird.

Regierung ermöglicht beschleunigten Bau von LNG-Terminals

Kurzfristig setzt er, setzt die Ampel in Berlin auf importiertes Flüssiggas, meist Fracking-Gas aus den USA. Weils rot-schwarze Regierung ermöglicht eine beschleunigte Planung und Bau von LNG-Terminals an der niedersächsischen Küste in Wilhelmshaven und Stade. Mittelfristig will die niedersächsische Landesregierung – hochumstritten – neue Erdgasbohrungen im Wattenmeer vor Borkum. Langfristig aber soll Niedersachsen CO2-neutral wirtschaften.
Die Grundlagen im windigen Norden sind gut, Niedersachsen ist das Bundesland, in dem die meisten Windkraftanlagen stehen. Andererseits ist auch hier in den vergangenen Jahren der Ausbau ins Stocken geraten. Das Land liegt zurück hinter den eigenen Ausbau- und Klimazielen. Weil es auch in Niedersachsen im Schnitt sieben Jahre dauert, bis eine Windkraftanlage fertig ist.
Es sind insbesondere die oppositionellen Grünen, die darauf hinweisen, dass es aus ihrer Sicht auch schneller ginge. Christian Meier ist Teil des grünen Spitzenduos: „Wisst ihr, wie viele Windräder in diesem Jahr im ersten Halbjahr aufgebaut worden sind in Niedersachsen? 18. Wir hatten mal 487, als wir noch eine grüne Regierungsbeteiligung hatten. Und da müssen wir wieder hinkommen.“

"Jetzt müssen auch die Gesetze her"

Schuld daran sei die CDU in der Berliner Großen Koalition gewesen, antwortet Stephan Weil auf diese Vorwürfe der Grünen: „Da kann ich sagen, dass wir in Niedersachsen in den letzten Jahren immer wieder darauf gedrängt haben, dass endlich dieses riesige Ungetüm von Verfahrensvorschriften korrigiert wird. Wir sind in Deutschland deutlich zu kompliziert. Dahinter stehen immer gute Absichten. Aber die Summe aller guten Absichten führt dazu, dass glaube ich im Durchschnitt allein die Errichtung von Windparks in Deutschland acht Jahre dauert. Und wenn wir nicht wollen, dass das alles viel zu spät kommt, dann müssen wir in dieser Hinsicht wesentlich schneller werden. Dazu gibt es jetzt den politischen Willen. Aber jetzt müssen auch die Gesetze her“, sagt Weil mit Blick auf Pläne der Berliner Ampel-Koalition, den Windkraftausbau zu beschleunigen.
Davon hängt derzeit besonders viel ab: Der Ausbau der Erneuerbaren Energien ist eng verknüpft mit der Energieabhängigkeit von Russland und den nach dem russischen Angriff auf die Ukraine entstandenen Konsequenzen: „Brot, Käse, alle möglichen Grundnahrungsmittel sind teurer geworden. Ich bin ja auch jetzt Rentnerin und alleinstehend und da muss man schon gucken.“
„Das aktuellste Thema sind natürlich Energie und Energiepreise, wie kann ich mir das leisten?“

Kein Entlastungspaket des Landes

Auf ein Entlastungspaket des Landes angesichts der steigenden Preise konnte sich die niedersächsische rot-schwarze Regierung vor der Wahl nicht mehr einigen. Heftige Kritik daran kam in der letzten Landtagssitzung vor der Wahl im September von der Opposition.
Aber trotz der vergleichsweise hohen Inflation und der Energiekrise entwickelt sich die niedersächsische Wirtschaft solide, sie wächst – wenn auch mit Einschränkungen. Das sagt Stephan Thomsen. Er ist Professor an der Leibniz-Universität Hannover, leitet das Institut für Wirtschaftspolitik: „Wenn man sich die Zahlen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung anguckt, sieht man allerdings, dass das Wachstum in Niedersachsen am wenigsten oder am kleinsten war im Vergleich aller Bundesländer. Jetzt ist es so, dass in diesem Jahr natürlich die Länder, die besonders industrielastig sind, eben weniger gewachsen sind als andere. Das hat mit Lieferketten, mit Strompreis, mit all den bekannten Effekten zu tun. Aber auch innerhalb dieser Gruppe ist eben Niedersachsen deutlich weniger gewachsen als beispielsweise Bayern oder Baden-Württemberg.“

Gemeinsamkeiten der Großen Koalition scheinen aufgebraucht

Knapp fünf Jahre lang hat eine große Koalition in Niedersachsen regiert. Gebildet eher aus der Not, nachdem andere Optionen sich zerschlagen hatten. SPD-Mann Stephan Weil und sein CDU-Stellvertreter Bernd Althusmann haben nach Ansicht vieler Beobachter besser zusammengearbeitet als erwartet. Gemeinsam führten sie das Land durch die Pandemie, gehörten eher zum Team Vorsicht. Rot-Schwarz führte vielbeachtet eine Verständigung zwischen Landwirten und Naturschutz-Vertretern ein, den sogenannten „Niedersächsischen Weg“, der zu mehr Arten- und Klimaschutz führen soll.
Doch bei vielem ging es schleppend voran: bei der Digitalisierung, dem Ausbau des ÖPNV oder in der Wissenschaftspolitik, wo viele Vorhaben an fehlender Finanzierung scheiterten. Das letzte Jahr der Koalition lief zäh. Die politischen Gemeinsamkeiten scheinen lange vor Beginn des Wahlkampfs aufgebraucht.
„Deshalb, lieber Bernd Althusmann, freuen wir uns heute zu erfahren, was die Niedersachsen, aber vor allem auch, was die Göttingerinnen und Göttinger von dir als zukünftigen Ministerpräsidenten erwarten können. Was du anders und vor allem auch besser machen wirst.“

"Wir wollen Agrarland Nummer eins bleiben“

Wahlkampf der CDU in Göttingen. Spitzenkandidat Bernd Althusmann wurde 1994 zum ersten Mal in den Landtag gewählt. Er war Kultusminister, später verlor er sein Landtagsmandat und kam wieder. In der aktuellen Regierung ist er als Minister für Wirtschaft, Arbeit, Digitalisierung und Verkehr zuständig. Aber auch die Landwirtschaft ist ein Thema für ihn:
„Und ich sage Ihnen schon mal eines vorweg: Für mich vielleicht als zukünftiger Ministerpräsident dieses Landes hat der Begriff Bäuerinnen und Bauern, der Klang Bauer auf eigener Scholle, die Frage der Wertschätzung der Landwirtschaft eine der höchsten Relevanzen in diesem Land. Wir sind das Agrarland Nummer eins, und wir wollen das Land auch mit guten Perspektiven für unsere Landwirte und Landwirte in Deutschland das Agrarland Nummer eins bleiben.“
Althusmann spricht bei seinem Auftritt frei, lobt die eigene Arbeit, die Erfolge seines Ministeriums. Kritisiert die Ampel in Berlin. Im Wahlkampf sei es ihm bisher aber nicht gelungen, sich mit einem spezifischen Thema zu profilieren. „Das ist ja auch schwierig, denn in einer Großen Koalition macht man ja eigentlich alles gemeinsam. Und deswegen ist sozusagen ein ‚profilieren gegeneinander‘ sehr schwierig. Er ist jetzt auch nicht mehr neu, und er ist innerhalb seiner eigenen Partei doch auch nicht ganz unumstritten gewesen“, sagt Andreas Busch, Professor für Politikwissenschaften an der Georg-August-Universität Göttingen. Althusmann muss sich bei seinem Auftritt, den in Niedersachsen traditionell mit der CDU verbundenen Landwirten und ihrer Kritik stellen.

Empörung über EU-Verordnung zum Einsatz von Pestiziden

Derzeit empört eine geplante strengere EU-Verordnung zum Einsatz von Pestiziden in Schutzgebieten viele Landwirte, die mit gelben Warnwesten optisch Bernd Althusmanns Wahlkampfauftritt in Göttingen dominieren – wie auch die anschließende Fragerunde.
„Sie haben gesagt: Vertrauen, Vertrauen in die CDU. Wir Landwirte sind ja schon bodenständig. Und wir hatten auch bis jetzt immer sehr viel Vertrauen. Vielleicht haben wir es auch noch. Sie sind jetzt dran, das zu unterstützen, dass wir es nicht verlieren. Im Moment haben wir den Glauben nämlich fast verloren. Wir haben den ‚Niedersächsischen Weg‘ mitbegleitet, mit den Umweltverbänden, mit dem Landvolk. ‚Land schafft Verbindung‘ war mit dabei, mit der Politik. Wir haben alle im Boot gesessen, machen lauter Schutzgebiete schon seit Jahren immer federführend. Wir sagen, wir können das, und jetzt kriegen wir den Tritt in den Hintern.“
Wie jetzt wieder mit der EU-Pestizidverordnung – so sehen es viele Landwirte, die seit Jahrzehnten neue Grenzwerte bekämpfen, die auch von CDU-Politikern mitgetragen und eingeführt wurden.

Wohlstand durch Schweine- und Geflügelproduktion

Die Wahlkreise mit der höchsten Zustimmung für die CDU lagen jahrzehntelang im Oldenburger Münsterland, im Westen Niedersachsens. Hier dominiert die Agrarindustrie, insbesondere die Schweine- und Geflügelproduktion hat der Region finanziellen Wohlstand gebracht.
Aber dass die Menschen in der landwirtschaftlich geprägten Region wie selbstverständlich die CDU wählten, sei auch in der CDU-Hochburg im Westen Niedersachsens nicht mehr so, sagt Christine Aka, Chefin des Kulturanthropologischen Instituts Oldenburger Münsterland mit Sitz in Cloppenburg: „Da würde ich sagen, das hat in den letzten Jahren sicherlich auch, hat die CDU ja so circa 20 Prozent, vielleicht 25 Prozent verloren und Grüne nehmen zu. Das war ein absolutes Tabu noch vor 20 Jahren. Es nimmt aber zu, weil auch hier das Bewusstsein für die Zerstörung der Natur und dieses übermächtige, ausufernde Wachstum in der Agrarindustrie viele Leute auch kritisch gemacht hat. Und von daher hat auch die CDU hier mittlerweile schon Probleme, ihre Kandidaten immer durchzukriegen.“

Grüne laut Umfragen stabil zweistellig

„Hi, ich bin die Direktkandidatin hier vor Ort, darf ich Euch einen Flyer mitgeben?“ Grünen-Spitzenkandidatin Julia Willie Hamburg verteilt Flyer und Feuerzeuge am Engelbosteler Damm in Hannover-Nordstadt – mit Chancen auf das Direktmandat laut Umfragen. Es wäre eine Premiere für die Grünen in Niedersachsen.
Bei den Kommunalwahlen im vergangenen Jahr wurden die Grünen stärkste Kraft in Städten wie Göttingen, Lüneburg oder Hannover. Und in Hannover ist bereits seit 2019 der Grünen-Politiker Belit Onay Oberbürgermeister, der versprach, den Autoverkehr weitgehend aus der Innenstadt herauszuholen – und das kommt an bei der grünen Basis und den potenziellen Wählerinnen und Wählern: „Von mir aus könnte man die Autos ganz vom E-Damm verbannen. Aber was mir fast noch mehr am Herzen liegt, dass die Motorräder verschwinden, das wäre also wirklich ein Anliegen, weil die brettern hierdurch ohne Rücksicht auf Verluste.“
„Ich würde sofort mein Auto verkaufen. Wenn ich wüsste ich kann mich auf die Bahn so wie in Japan zum Beispiel verlassen, wo man sich wirklich auf die Bahn verlassen kann.“
„Weil ich noch nie in meinem Leben ein Auto besessen hab. Und da bin ich sowas von stolz drauf. Auch kein Mofa, auch kein Moped. Nichts was irgendwie die Umwelt verschmutzt. Ich finde, wir lassen immer mehr Autos zu, es werden daraufhin immer mehr Straßen gebaut. Wo soll das denn enden?“
Grüne Themen seien vielen wichtig, sagt Spitzenkandidatin Julia Willie Hamburg: „Viele Menschen verstehen nicht so richtig, warum wir gerade Wahlkampf machen, weil sie eigentlich ganz andere Sorgen haben. Sie haben die Angst, dass sie im Winter frieren müssen, dass sie sich die Heizkosten nicht mehr leisten können. Und deswegen ist dieser Wahlkampf schon sehr dominiert von diesen Sorgen, wo wir mit Menschen ins Gespräch kommen. Und trotzdem freue ich mich, dass viele Menschen uns zutrauen, Verantwortung zu übernehmen und die richtigen Antworten in dieser Situation zu haben. Das gibt uns natürlich Rückenwind bei all der Belastetheit, die diese Zeit mit sich bringt.“
Aber die Grünen in Niedersachsen kennen auch andere Zeiten. Der Wechsel der grünen Landtagsabgeordneten Elke Twesten zur CDU hatte im Sommer 2017 die damalige rot-grüne Landesregierung zu Fall gebracht – bei den vorgezogenen Neuwahlen verloren die Grünen deutlich an Zustimmung.

"Grüne werden vermutlich leicht unter 20 Prozent landen"

Seit langem aber stehen sie in den Umfragen für die Landtagswahlen am Sonntag stabil zweistellig, teilweise sogar über 20 Prozent, zuletzt wieder deutlich darunter. Eine Angleichung an den Bundestrend sieht in diesen Umfragen Politikwissenschaftler Andreas Busch von der Universität Göttingen: „Und die leichten Schwankungen nach unten in den grünen Umfragezahlen in den letzten zwei Monaten, die spiegeln auch genau das, was auf der Bundesebene stattfindet. Hier ist ja vor allem der Minister Habeck für die innenpolitische Krisenbewältigung im Rampenlicht. Und das hat die grünen Zahlen etwas sozusagen leiden lassen in den letzten Monaten, aber auf einem doch immer noch im historischen Vergleich sehr, sehr hohen Niveau. Die Grünen werden vermutlich leicht unter 20 Prozent landen, wenn die Umfragen das korrekt wiedergeben. Und daraus wird natürlich auch ein Anspruch auf Regierungsbeteiligung erwachsen.“
Schon vor Monaten haben sich sowohl Bündnis90/Die Grünen als auch die SPD, die laut Umfragen mit über 30 Prozent stärkste Kraft werden könnte, offen für eine Neuauflage von Rot-Grün ausgesprochen, der amtierende Ministerpräsident Stephan Weil sprach von einer Wunschkoalition. Zu Wahlkampfbeginn klingt seine Rhetorik aber etwas vorsichtiger: „Die Grünen sind für uns im Wahlkampf natürlich ein politischer Gegner. Umgekehrt wird das ganz genauso sein. Das heißt jetzt, da kämpfen in den nächsten Wochen alle Parteien für sich um Stimmen. Die SPD vorneweg.“

Auch CDU wirbt um die Grünen

Aber auch die CDU, laut Umfragen bei 27, 28 Prozent, wirbt um die Grünen. Von einer Zukunftskoalition spricht Bernd Althusmann mit Blick auf eine mögliche schwarz-grüne Regierung, wie es sie in anderen Bundesländern schon gibt. „Wir treten nicht an für Koalitionen, Rot-Grün ist out. Warum aber nicht wie in Nordrhein-Westfalen oder aber in Schleswig-Holstein auf neue denkbare Option setzen? Ich glaube, dass dies möglich ist.“

"Wir werden mit allen Parteien nach der Wahl reden"

Althusmann wirbt im Wahlkampf dabei auch für eine längere Laufzeit der deutschen Atomkraftwerke, auch für das in Lingen in Niedersachsen. Ein No-Go für die Grünen in Niedersachsen, die aber schließen eine Zusammenarbeit mit der CDU dennoch nicht aus. Spitzenkandidatin Julia Willie Hamburg: „Wir haben in den letzten fünf Jahren gemerkt, dass weder SPD noch CDU diese drängenden Fragen für die Zukunft angehen. Und unsere Überzeugung ist, dass wir endlich ins Machen kommen müssen. Das haben beide nicht getan. Deswegen wollen wir Grüne so stark werden wie möglich und danach schauen, wo die stärkste grüne Handschrift ist. Das heißt, wir werden mit allen Parteien nach der Wahl reden und dann schauen, wo wir am meisten durchsetzen können.“
Aus Sicht des Göttinger Politikwissenschaftlers Andreas Busch sei es aber kaum absehbar, "dass der nun relativ linke und sozusagen immer etwas revoluzzerische grüne Landesverband Niedersachsen eine Präferenz für eine Koalition mit der CDU haben wird. Das ist unwahrscheinlich, auch wenn die Grünen natürlich aus taktischen Gründen versuchen, sowas wie Äquidistanz zu simulieren. Aber das ist nur, um die Preise ein bisschen hochzutreiben. Also ich denke, jeder, der das seit längerem beobachtet, wird erwarten eben aufgrund der Veränderungen in den Mehrheitsverhältnissen der Parteien, dass es eine Zwei-Parteien-Koalition geben wird.“

„Wir treten an, um in die Regierung zu kommen"

Zum Ärger der FDP, die dafür rechnerisch nicht gebraucht würde: „Wir treten an, um in die Regierung zu kommen, um Regierungsverantwortung zu übernehmen.“
Sollte es für ein Zweierbündnis nicht reichen, stünde wohl die FDP bereit. Auch ihr Spitzenkandidat Stefan Birkner war von 2012 bis 2013 schon einmal Landesminister, in einer schwarz-gelben Koalition, jetzt aber könnte er sich auch die Zusammenarbeit unter anderem mit der SPD vorstellen: „Das ist am Ende eine Frage der konkreten Koalitionsverhandlungen und Gespräche. Natürlich ist unser Ziel dann unsere Programmatik optimal durchzusetzen und in der Regierung wiederzufinden.“

FDP kämpft um Wiedereinzug in den Landtag

Die FDP kämpft derzeit mit Umfragewerten knapp über der Fünf-Prozent-Hürde um ihren Wiedereinzug in den Landtag. Thematisch setzt sie unter anderem auf längere Laufzeiten der Atomkraftwerke – ähnlich wie die AfD und ihr Spitzenkandidat Stefan Marzischewski-Drewes. Der sagt: „Je mehr Windkraftwerke Sie bauen, je mehr Reservekraftwerke brauchen Sie. Deswegen haben wir ja soviel Gaskraftwerke, damit Sie im Notfall grundlastfähigen Strom haben. Wir errichten also eine doppelte Struktur, und das ist teuer. Und deswegen ist unser Strom schon vor dem Ukraine-Krieg der teuerste in Europa.“

AfD wird mit hoher Sicherheit in den Landtag einziehen

In der ablaufenden Legislaturperiode hatte die AfD nach Streitereien und Austritten den Fraktionsstatus verloren, ihre Abgeordneten agierten als Fraktionslose. Aktuell gibt es Vorwürfe wegen Untreue bei der Wahlaufstellung der Partei, die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen eines Anfangsverdachts. In den neuen Landtag aber wird die AfD – in Umfragen liegt sie bei 10 Prozent – mit hoher Sicherheit einziehen.
Politikwissenschaftler Andreas Busch: „Alle Krisen haben die AfD immer gestärkt. Man kann mit ziemlicher Sicherheit, ohne unfair zu sein, sagen, die niedersächsische AfD hat dazu nichts beigetragen. Sie ist intern zersplittert, zerstritten und gespalten. Aber Protest manifestiert sich eben bei solchen Parteien. Er kommt eben im Moment, wie wir sehen, vor allem der AfD zugute. Die Linkspartei als weiterer sozusagen potenzieller Kanal für Proteststimmen, scheint im Moment weniger zu ziehen.“ Ein Wiedereinzug der Linken in den niedersächsischen Landtag, wie einmalig 2008, scheint derzeit unwahrscheinlich.
In den letzten Tagen vor der Wahl werden noch einmal Bundespolitikerinnen und -politiker ihre jeweiligen Parteien im Wahlkampf unterstützen, darunter auch Bundeskanzler Olaf Scholz. Auch Friedrich Merz wird noch nach Hannover kommen, in der Hoffnung auf einen Wahlsieg der CDU. Das Wahlergebnis dürfte auch Einfluss haben auf die Bundespolitik in den nächsten Monaten. Alle Parteien – ob Regierung oder Opposition – hoffen auf Rückenwind aus Niedersachsen.