Trier, Koblenz, Mainz – wo Gastwirte und Hoteliers für die Öffnung ihrer Betriebe demonstrieren, da ist auch Joachim Streit, Spitzenkandidat der Freien Wähler Rheinland-Pfalz. Fast 1,90 Meter groß, welliges Haar nach hinten gekämmt, große Brille mit Silberrand. In Mainz darf der Landrat des Eifelkreises Bitburg-Prüm als einziger Außerparlamentarischer auf Einladung des Hotel- und Gaststättenverbands sprechen.
"Ich sage, öffnet die Hotels und Gaststätten!"
Bitburger Landrat als Stimmenfänger
Die Vertreterinnen der Ampel-Koalition und der Spitzenkandidat der oppositionellen CDU behalten bei ihren Ansprachen die Mäntel an und stellen sich brav hinters Mikrofonstativ. Joachim Streit dagegen hat den Mantel abgelegt, er löst das Mikro vom Ständer. Zum leuchtend blauen Anzug trägt der Mittfünfziger eine blass-orangefarbene Krawatte, sie erinnert an die Farbe seiner Partei.
Die protestierenden Gastronomen haben blaue Teppichläufer auf dem Mainzer Schillerplatz verlegt, um Hotel-Atmosphäre zu simulieren. Joachim Streit bewegt sich darauf wie ein Showmaster. Beim Reden rotiert der Spitzenkandidat der Freien Wähler, als wolle er jedem Protestierenden im Halbrund mal in die Augen schauen. Seinen Doktortitel unterschlägt der promovierte Jurist. Aber dass er mal Jura-Studierende trainierte als sogenannter Repetitor und Klein-Unternehmer, das unterstreicht der Bitburger Kommunalpolitiker vor den Corona-gebeutelten Gastwirten.
"Ich war selbst, bevor ich Bürgermeister und Landrat wurde, Solo-Selbständiger. Ich weiß, was das bedeutet, wenn man selbst krank ist als Solo-Selbständiger und kein Einkommen hat."
Eine Papaya-Koalition möglich?
Reichlich Topfdeckelscheppern als Beifall fährt Joachim Streit an diesem Vormittag ein. Und er selbst applaudiert auch jemandem: Christian Baldauf nämlich, dem rheinland-pfälzischen CDU-Spitzenkandidaten. Der fordert ebenfalls, die Außengastronomie sofort zu öffnen.
Zeichnet sich da im Landtagswahlkampf ein Schulterschluss von CDU und Freien Wählergruppen, kurz FWG, ab? Gar eine Papaya-Koalition? Mit den Christdemokraten als schwarze Kerne im orangefarbenen FWG-Fruchtfleisch? Christian Baldauf scheint nicht gerade elektrisiert von dieser sehr vagen Aussicht, die regierende Ampel-Koalition unter Malu Dreyer abzulösen.
"Nein, nein, nein, nein. Wenn der Spitzenkandidat der FWG unsere Ideen richtig findet, kann er uns ja wählen und kann uns unterstützen. Spaß beiseite: Wir stehen für unsere Ideen."
Zumindest auf kommunaler Ebene, in Neuwied, hat sich die CDU aber für eine Papaya-Koalition mit den Freien Wählern entschieden: im Dreierbund mit den Grünen allerdings. FWG-Orange in Rheinland-Pfalz gibt sich anschlussfähig nach vielen Seiten.
Enttäuschte Wähler im Visier
Gegen die AfD grenzt sich Spitzenkandidat Streit aber energisch ab, selbst wenn er deren enttäuschte Wähler und auch andere Frustrierte gerne einfangen würde. Nach 30 Jahren SPD-Regentschaft in Rheinland-Pfalz gibt es da Potential, stellt sich bei einer Zufallsumfrage in Mainz heraus.
"Ich bin die parteilichen Verflechtungen ziemlich leid und wünsche mir schon einen Wechsel, unbedingt einen Wechsel. Weil das unserem Land auf allen Ebenen - sei es in der Wirtschafts-, Bildungs- und Flüchtlingspolitik - guttäte, wenn da mal frischer Wind reinkommt. Ich persönlich tendiere gerade zu solchen Gruppierungen wie Freie Wähler, denn ich finde, die haben durchaus eine Chance verdient."
Was diese Wählerin bekäme, wenn die FWG in den Mainzer Landtag einzöge? Eine neoliberale Kraft? Joachim Streit federt in den Knien. Neoliberal, das will der Spitzenkandidat nicht auf sich sitzen lassen.
"Der Neoliberalismus hat über Deutschland viel Unglück gebracht. Das, was die FDP mit der Privatisierung deutscher Infrastrukturen getan hat, war ein Riesen-Fehler. Wir sind auf gar keinen Fall Neoliberalisten. Wir Freien Wähler sind bürgerliche Mitte. Wir sind auch sozial, aber nicht nur gegenüber den Menschen, sondern auch gegenüber der Wirtschaft."
Joachim Streit, ein bürgernaher Macher. Als 24-Jähriger gründete er 1989 die Wählergemeinschaft "Liste Streit" und zog in den Stadtrat von Bitburg ein. Mit 31 Jahren wurde er dort Bürgermeister, seit 2009 ist er Landrat des Eifelkreises Bitburg-Prüm, zuletzt bestätigt mit fast 90 Prozent. In Rheinland-Pfalz südlich der Eifel aber unbekannt. "Unverbraucht", korrigiert der Spitzenkandidat der Freien Wähler und blinzelt in die Mainzer Frühlingssonne.
Freie Wähler in Bayern als Vorbild
"Es ist in Rheinland-Pfalz nicht üblich, dass Oberbürgermeister und Landräte in den Landtag streben, sondern eher umgekehrt: In der letzten Periode sind fünf Landtagsabgeordnete Landräte geworden."
Ein "Brain Drain", also eine Abwanderung von Spezialisten aus der Landespolitik Richtung Kommune.
"Und es fehlt halt dieser Brain Drain von der Kommune in den Landtag. Und diese kommunale Stimme wollen die Freien Wähler sein."
Ob die Freien Wähler selbst eine Regierungsbeteiligung anstreben, aus einer Ampel-Koalition vielleicht die FDP vertreiben wollen? Joachim Streit wehrt ab. Beim Lächeln zeigt er gern die Zähne.
"Wir Freien Wähler werden nicht das Orange an einer Ersatz-Ampel sein."
Woher der Eifler die Zuversicht nimmt, dass seine Freien Wähler am 14. März in den Mainzer Landtag einziehen?
Joachim Streit verweist auf Bayern. Dort lagen die Orangefarbenen 2008 in den Umfragen bei unter vier Prozent, mit über 10 Prozent schafften sie es dann doch ins Parlament. Seit 2018 bilden sie mit der Söder-CSU eine Koalitionsregierung.
Der rheinland-pfälzische FWG-Spitzenkandidat hat in der Endphase des Wahlkampfs Fernsehrichter Alexander Hold zu Gast im digitalen Frühschoppen, Mitglied im Fraktionsvorstand der Freien Wähler Bayern. Der weiß, wie es geht.