Kommentar
Die Landtagswahlen - eine Zeitenwende?

Diese Landtagswahlen krempeln das Parteiensystem der Republik um, findet DLF-Chefredakteurin Birgit Wentzien. Vor allem sei es aber ein Weckruf für die Bundesregierung und den Kanzler, endlich für mehr Sicherheit zu sorgen.

Ein Kommentar von Birgit Wentzien |
Besucher des Erfurter Landtags betrachten auf einem Bildschirm die Hochrechnung der ARD von 19.29 Uhr.
Landtagswahl in Thüringen: Die AfD ist in dem Bundesland stärkste Kraft geworden. (Michael Kappeler / dpa / Michael Kappeler)
Es ist unübersehbar: Diese Landtagswahlen krempeln das Parteiensystem der Republik um. Überhaupt nicht ausgeschlossen, dass da aus dem Osten was Neues kommt – auch für den Westen. Erstmals gewinnt in einem Bundesland eine nachweislich rechtsextreme Partei die Mehrheit der Stimmen.
Aus dem Stand konnte der AfD in Thüringen und ihrem nachgewiesen rechtsextremen Frontmann Björn Höcke nur eine Frau gefährlich werden: Sahra Wagenknecht und ihr Bündnis, von dem überhaupt noch nicht klar ist, was drinnen steckt.
Die Lage der Ampelparteien ist mindestens vertrackt. Das spürt vor allem die SPD, der Ende des Monats mit den Landtagswahlen in Brandenburg womöglich nach drei Jahrzehnten die Macht und auch der bisherige Ministerpräsident und Spitzenkandidat Dietmar Woidke abhandenkommen kann.

Ist der Osten wirklich blau-dominiert?

Genau hinsehen lohnt: Der Osten ist nicht blau und von der AfD dominiert. Das ist eine der vielen nicht belastbaren Erzählungen der AfD. Die Mehrzahl der Menschen in beiden Bundesländern hat andere Parteien gewählt, erachtet die eigene persönliche Lage als gut, schätzt aber die Stimmung und Atmosphäre im Land als verunsichert und unzufrieden ein. Gemeinsam mit der Mehrzahl der Unternehmen und Firmen in beiden Ländern: Ohne Zuwanderung geht es nicht und die AfD ist ein Fachkräfte-Risiko, ganz und gar.
Die CDU – so sieht es aus – ist in diesen beiden Bundesländern das Volkspartei-Einhorn, die einzige Konstante in einer politischen Landschaft, die momentan umgepflügt wird und in der schon erste Rufe zu hören sind, die Ost-CDU solle selbstbewusster und selbstständiger werden, sich aus der westdeutsch dominierten Umklammerung lösen.
Wenn jetzt alle Bundesspitzen signalisieren, die Landesverbände der Parteien entscheiden selbst, wird das noch abzuwarten sein.

Die Verantwortung des Kanzlers

Dies alles am Tag der Trauerfeier von Solingen. Die vielen noch nicht beantworteten Fragen, die wenigen emotionalen Gesten angesichts des Horrors der Tat und des Grauens. Der Kanzler trägt die Verantwortung dafür, dass sich der Eindruck verfestigt, der Staat habe die Kontrolle verloren, könne sein Sicherheitsversprechen nicht mehr halten. Der Kanzler muss sein Versprechen einlösen und die Kapazitäten für Polizei und Justiz ausbauen in dieser immens widrigen Lage.
Die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger verlangt nichts Unmögliches, sondern dass die Regierung sich zusammenreißt, zusammenarbeitet und das Schutzversprechen der Sicherheit einhält.
Thüringen und Sachsen zeigen dies einmal mehr: Aus Angst, Wut, Zorn muss Politik werden in Stadt und Land. Geschieht dies nicht, wird dieses Land von dieser Bundesregierung und der sie tragenden Parteien unterhalb ihrer Notwendigkeiten und Möglichkeiten regiert.