Daniel Günther hat sich einen tristen, regnerischen Tag im April für seinen Wahlkampfbesuch im nordfriesischen Husum ausgesucht. Auf einer kleinen, runden Bühne in der Mitte des Marktplatzes spricht der christdemokratische Ministerpräsident Schleswig-Holsteins über ein zentrales Thema seines Wahlkampfes: innere Sicherheit.
„Wir haben auch Menschen, die hier in Schleswig-Holstein, die für unser aller Sicherheit sorgen. Die Polizistinnen und Polizisten. Michel Deckmann hat es eben gesagt, dass wir in den letzten fünf Jahren die Zahl der Polizeistellen aufgestockt haben, dass wir deutlich mehr Polizistinnen und Polizisten ausbilden, dass wir den Trend gestoppt haben auch dahin, Polizeistationen in den ländlichen Räumen zu schließen, sondern, dass wir in der Fläche präsent sind.“
„Wir haben auch Menschen, die hier in Schleswig-Holstein, die für unser aller Sicherheit sorgen. Die Polizistinnen und Polizisten. Michel Deckmann hat es eben gesagt, dass wir in den letzten fünf Jahren die Zahl der Polizeistellen aufgestockt haben, dass wir deutlich mehr Polizistinnen und Polizisten ausbilden, dass wir den Trend gestoppt haben auch dahin, Polizeistationen in den ländlichen Räumen zu schließen, sondern, dass wir in der Fläche präsent sind.“
Spitzenkandidat Günther (CDU) liegt laut Umfragen klar vorn
Der 48-jährige Günther, ein studierter Politikwissenschaftler und praktizierender Katholik, regiert seit fünf Jahren das nördlichste deutsche Bundesland. Er gilt als diszipliniert und manch einer traut ihm zu, auch in der Bundespolitik Karriere zu machen. Das sei für ihn noch kein Thema, betont er oft. Er gehöre nach Kiel. Tatsächlich hat er gute Chancen, auch nach der Landtagswahl am kommenden Sonntag Ministerpräsident zu bleiben: In den Umfragen liegt die CDU klar vorn. Günther hat eine sogenannte Jamaika-Koalition mit FDP und den Grünen trotz Coronakrise ohne größere Friktionen und Skandale durch die Legislaturperiode geführt. Sein Herausforderer von der SPD ist Thomas Losse-Müller, der Umfragen zufolge im Land wenig bekannt ist. Doch der gibt sich gelassen:
„Es geht ja nicht um das Pferderennen zwischen zwei Menschen, es geht um Parteien und die Frage, welche Koalitionen wir schaffen. Und es gibt Mehrheiten für eine gesellschaftliche Koalition, die dieses Land modernisieren kann, nach vorne führt, nicht einfach nur „Weiter so!“
„Es geht ja nicht um das Pferderennen zwischen zwei Menschen, es geht um Parteien und die Frage, welche Koalitionen wir schaffen. Und es gibt Mehrheiten für eine gesellschaftliche Koalition, die dieses Land modernisieren kann, nach vorne führt, nicht einfach nur „Weiter so!“
Grüne Spitzenkandidatin Heinold zeigt sich machtbewusst
Wilhelm Knelangen, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Kiel, sieht das ganz anders: „Thomas Losse-Müller als Person, das zeigen die Umfragewerte, hat offensichtlich Schwierigkeiten aufzuholen in diesem Persönlichkeitswahlkampf mit Daniel Günther, den es natürlich auch gibt. Und Frau Heinold von den Grünen ist ja auch noch eine Spitzenkandidatin für das Ministerpräsidentinnenamt. Und auch da zeigen ja die Umfragen, dass das jetzt keine spinnerte Idee ist, sondern dass das sogar ganz gut hinkommen könnte, wenn die Wahl entsprechend ausgeht.“
Die Grünen liegen in den Umfragen jetzt bei 17 Prozent, nur knapp hinter den Sozialdemokraten. Spitzenkandidatin Monika Heinold ist seit über 20 Jahren in der Landespolitik, seit zehn Jahren ist sie Finanzministerin – also auch schon in der Vorgängerregierung aus SPD, Grünen und der Partei der dänischen Minderheit, dem Südschleswigschen Wählerverbund, kurz SSW.
Sie selbst bezeichnet sich als machtbewusst: „Das sag ich auch immer offen, es wird ja so erwartet von Frauen, dass sie sagen: Ach ja, Macht und will ich das gar nicht. Nein, ich bin machtbewusst, weil ich sage: Wenn wir mitbestimmen als Frauen, wenn wir mitbestimmen als Grüne, dann verändert sich auch etwas. Nur daneben zu sitzen und andere zu kritisieren, ist nicht mein Ding. Deshalb: Wir reden gut und nicht schlecht über andere, wir wollen vorankommen.“
Losse-Müller (SPD) verspricht Investitionen in Schulbau (*)
Im Wahlkampf standen unterschiedliche Themen im Vordergrund: Sicherheit bei der CDU, Klimaschutz bei den Grünen und die kostenfreie Kita bei der SPD. Und deren Spitzenkandidat Thomas Losse-Müller will noch mehr: Im Falle eines Wahlsiegs verspricht er ein 500 Millionen Euro schweres Sonderprogramm für den Schulbau. Schulen sollen modernisiert und neu gedacht werden:
„Die große Ungerechtigkeit in Corona war jetzt gerade, dass die Frage, ob eine Schülerin oder ein Schüler guten Digitalunterricht hatte, davon abhing, ob zufällig eine Lehrkraft sich mit dem Thema Digitalisierung auskannte. Ich glaube, dass wir da als Land eine ganz andere Aufgabe haben, wir müssen dafür sorgen, dass jede Schule vernünftige Computer hat, ich glaube, dass wir dafür sorgen müssen, dass jedes Kind ab der achten Klasse wirklich ein Tablet oder ein Laptop hat, das muss das Land auch bezahlen, das kann ich nicht der Gemeinde, der Kommune oder gar den Eltern überlassen.“
SSW fordert mehr Tablets für Schülerinnen und Schüler
Damit liegt er mit dem Südschleswigschen Wählerverbund auf einer Linie. Auch die Partei der dänischen Minderheit will kostenlose Endgeräte für Schülerinnen und Schüler. Nur so könne Bildungsgerechtigkeit erreicht werden, meint SSW-Spitzenkandidat Lars Harms.
„Wir wollen, dass die Schülerinnen und Schüler alle ein Tablet kriegen, damit sie überhaupt auch online dem Unterricht folgen können. Sonst hilft der beste Online-Unterricht nichts. Das sind alles Themen, die immer wieder hochploppen, die die bisherige Landesregierung so eben nicht auf die Reihe bekommen hat. Und dafür braucht man dann den SSW.“
Bildungsgerechtigkeit hänge nicht allein an digitalen Endgeräten, kontert FDP-Spitzenkandidat und Wirtschaftsminister Bernd Buchholz. Die Schulen in Schleswig-Holstein müssten in die Lage kommen, Schülerinnen und Schüler individuell zu fördern.
„Dass wir die digitalen Möglichkeiten, die eine Individualisierung des Unterrichts ermöglichen, und damit eine stärkere Bearbeitung der jeweils einzelnen, individuellen Talente, dass wir dieses vorantreiben, dass wir auch das Ganztagsangebot ausweiten, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf voranzubringen.“
CDU will eine Stunde mehr Unterricht in Grundschulen
Der amtierende Ministerpräsident Daniel Günther schreibt sich auf die Fahnen, in seiner Regierungszeit schon viel für die Schulen gemacht zu haben. Vor allem die weitgehende Abkehr vom so genannten „Turbo-Abi“ nach zwölf Schuljahren sei ein wichtiger Schritt gewesen. Strukturell wolle er in der kommenden Legislaturperiode also nichts ändern, inhaltlich aber schon.
„Das heißt wir wollen bei den jungen Menschen auch anfangen, Deutsch, Mathe, eine Stunde mehr auch in der Grundschule zu machen, damit die Allgemeinbildung auch in den Bereichen gestärkt und gefördert wird. Und unser Ziel ist ja, dass das Schulsystem junge Menschen auch dafür vorbereitet, in Schleswig-Holstein einen Arbeitsplatz zu bekommen, das heißt, berufliche Ausbildung ist wichtig, duale Ausbildung ist wichtig, denn da haben wir einen großen Fachkräftemangel in dem Bereich. Und das ist Ziel in der Bildungspolitik, dass wir da auch entsprechend gegen angehen.“
Grüne stehen für Bildungsgerechtigkeit ein
Für die Grünen steht Bildungsgerechtigkeit vor allem an Schulen in so genannten sozialen Brennpunkten vorne an. Auf Listenplatz 2 tritt Aminata Touré für die Grünen an, sie ist selbst in einem solchen Brennpunkt in Neumünster aufgewachsen und sagt:
„Das ist für uns ein absolut wichtiger Punkt. Und die Schulen so auszustatten, dass sie genügend Personal haben, die eben mit allen Herausforderungen, die Kinder und Jugendliche haben, zurechtkommt. Psychologinnen beispielsweise, Schulsozialarbeiterinnen. Und was uns auch nach wie vor immer wieder wichtig ist: eben auch gerade Gemeinschaftsschulen zu stärken und gerade auch eine Durchlässigkeit im Bildungssystem hinzubekommen.“
Lehrergewerkschaft GEW: Konzept für Ganztagsangebot fehlt
Die Landesvorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW, Astrid Henke, sitzt in ihrem Kieler Büro und blättert durch die Wahlprogramme der Parteien. Deren Ideen für die Bildungspolitik der kommenden fünf Jahre interessieren die Gewerkschafterin besonders:
„Ich hab mal geguckt, in allen Programmen hab ich etwas gefunden, das uns gefällt. Also, das kann ich sagen, also zum Beispiel bei den Grünen die Ausbildungsplatzgarantie, oder mehr Unterrichtsstunden für die Grundschule bei der CDU und bei der FDP, eine Pflichtstundenreduzierung beim SSW und bei den Linken oder auch für Kitas in den Brennpunkten eine besondere Berücksichtigung bei der SPD.“
Allerdings sagt sie auch: Keine Partei schaffe den großen Wurf. Wichtige Punkte bleiben ihrer Ansicht nach sogar unberührt:
„In den Grundschulen ist klar: Ab 2026 ist ein verpflichtendes Ganztagsangebot für die Eltern ab Klasse eins. Da muss man doch jetzt auch das Konzept überlegen! Welche Fachkräfte sollen denn da hin? Und wer zahlt denn die Fachkräfte?“ Denn dafür seien mehr Lehrkräfte und Profis aus Schulsozialarbeit und Psychologie notwendig. Und die fehlten derzeit noch:
„Also man muss deutlich mehr ausbilden, gerade im Grundschulbereich und auch bei den sozialpädagogischen Fachkräften, um genügend Fachkräfte zu haben für den Kita-Bereich und den Ganztagsbereich und von daher ist das eine riesige Herausforderung, das hinzukriegen in Schleswig-Holstein.“
Widerstand gegen Windräder überwinden – mit Bürgerwindparks
Ein weiteres wichtiges Wahlkampfthema ist die Klimakrise. Die gibt es nicht nur in Schleswig-Holstein, aber hier wird eigentlich schon seit Jahrzehnten an der Energiewende gearbeitet. Tausende Windräder drehen sich vor allem an der Westküste des Landes. Ein Beispiel dafür ist der Bürgerwindpark im Kirchspiel Medelby. Thomas Jessen ist hier nicht nur Bürgermeister, sondern auch Geschäftsführer des Bürgerwindparks, wie er neben dem Umspannwerk erklärt, mit dem der Windstrom ins Netz eingespeist wird:
„Insgesamt haben wir hier im Kirchspiel 27 Windmühlen errichtet, mit 86 Megawatt. Wir errichten zurzeit weitere vier und auch im nächsten Jahr noch mal vier, auch als hundertprozentige Bürgerwindparks. Wir errichten also unsere Windmühlen und speisen den Strom hier ein und verkaufen ihn.“
Gegen die Windmühlen, die sich hier drehen, hat niemand etwas. Auch, weil mehr als 400 Familien aus der Umgebung direkt daran beteiligt sind:
„Das ist ein Projekt, das gemeinsam mit den Bürgern entwickelt worden ist. Hier vor Ort bei ihnen. Mein Schwiegervater hat das mal auf den Punkt gebracht, ganz kurz, er hat gesagt: Wenn man morgens aus dem Fenster schaut, beim Frühstücken mit seiner Familie, und man schaut auf eine Windmühle, an der man beteiligt ist, dann kommt positive Stimmung auf. Und wenn man darauf schaut und es gehört Investoren aus München, dann sieht man es negativ.“
Verzögerung beim Ausbau der Windenergie – wer trägt die Schuld?
Die Kosten für die Planung und den Bau der Windräder und auch für das zugehörige Umspannwerk haben die Anteilseigner des Bürgerwindparks mitfinanziert und sie profitieren direkt vom Verkauf des Stroms.
Aber mal eben so ein Windrad aufzustellen, ist nicht einfach. Zwei Prozent der Landesfläche stehen in Schleswig-Holstein grundsätzlich für Windkraft zur Verfügung. Die Landesregierung hat sogenannte „Wind-Vorrangflächen“ in mehreren Regionalplänen definiert. Nur dort dürfen neue Windkraftanlagen entstehen oder durch neue, leistungsfähigere Anlagen ersetzt werden. Das hat kurioserweise dazu geführt, dass in der vergangenen Legislaturperiode überhaupt keine neuen Windräder in Schleswig-Holstein errichtet wurden, erklärt Markus Hrach vom Landesverband für Erneuerbare Energien:
„Es gab 2015 ein Urteil, was entschieden hat, dass die Regionalpläne, die damals gültig waren, für ungültig erklärt wurden. Wegen verschiedener Verfahrensfehler. Dann musste natürlich ein neuer Regionalplan entwickelt werden, weil es ja irgendwie weitergehen sollte mit dem Ausbau. Aber diese Erstellung hat fünfeinhalb Jahre gedauert.“
Verzögerungsfaktor: Streit über Abstandsregelungen
Dabei war auch die Landtagswahl 2017 ein großer Verzögerungsfaktor, denn damals ging es im Wahlkampf und später in den Koalitionsverhandlungen sehr viel um den Abstand zwischen Wohnhäusern und Windrädern:
„Da sind CDU und FDP mit hohen Forderungen in den Wahlkampf gegangen: 1.200 Meter Abstände, 1.000 Meter Abstände, die halt gar nicht alle unter einen Hut zu kriegen gewesen wären mit einem weiteren Ausbau oder mit einer ambitionierten Zielfestlegung, wie viel Energiewende wir in Schleswig-Holstein schaffen wollen. Trotzdem wurde als Kompromiss mit den Grünen reingeschrieben in den Koalitionsvertrag, dass die Abstände erhöht werden sollen, wo es möglich ist, nämlich auf neuen Flächen.“
Im aktuellen Wahlkampf stellen die Regierungsparteien das heute als Erfolg dar, im Gegensatz zur SPD-geführten Vorgängerregierung habe man immerhin einen rechtsgültigen Regionalplan aufgestellt. Die neu ausgewiesenen Wind-Vorrangflächen sind aber schwerer zu bebauen, etwa weil der Boden dort nicht tragfähig ist oder die Anlagen aus Gründen des Naturschutzes monatelang abgeschaltet werden müssen. Aber das ist noch nicht alles: Dass der Ausbau der Windkraft so sehr ins Stocken geraten ist, habe auch an der Bundespolitik gelegen:
Bundesregierung habe den Ausbau der Windkraft gebremst
„In den vier Jahren der alten Bundesregierung war mit Minister Altmaier einfach ein riesiger Bremsklotz am Werke, der ganz viel einfach unmöglich gemacht hat. Also, wir haben wirklich regulatorisch vom Ausbauleitfaden her eine absolute Vollbremsung hingelegt, mit Abstandsdiskussionen, also alles Diskussionen, die nur dazu beigetragen haben, dass am Ende weniger gebaut wurde, statt mehr. Was halt eigentlich vor fünf Jahren schon angesagt gewesen wäre.“
Aber Hrach sagt auch: Der Grund, warum so gut wie kein weiterer Ausbau der Windkraft in Schleswig-Holstein stattgefunden hat, ist nicht nur in Berlin zu suchen:
„Das ist schon eindeutig die Landesplanung gewesen und die Länge der Landesplanung. Und das wurde maßgeblich politisch auch in Kauf genommen, wenn nicht sogar gesteuert, indem halt diese Diskussion reingebracht wurde, dass man höhere Abstände zur Wohnbebauung braucht. Das ist eine Diskussion, wo mit Akzeptanz begründet wurde, wobei es halt etliche Studien gibt, empirisch nachgewiesen, dass es keinerlei Korrelation gibt zwischen dem Abstand von Wohnbebauung und der Akzeptanz von Windenergieanlagen.“
Generationswechsel könnte zu besserer Kommunikation führen
Das gilt nicht nur für Energieerzeugung, an der die Bürger direkt beteiligt sind, betont Hrach. Auch ein investorengeführter Park erzeuge ja Gewerbesteuereinnahmen für die Gemeinde, komme also allen zu Gute. Thomas Jessen vom Bürgerwindpark in Medelby hat einen einfachen Rat für die zukünftige Landesregierung:
„Ich finde, man sollte versuchen, Schritt für Schritt zu gehen. Man sollte auf die Akteure vor Ort hören, man sollte also versuchen, im Gespräch mit den Akteuren vor Ort weitere Flächen zu finden. Die Landesplanung, da findet gerade ein Generationswechsel statt, und ich gehe davon aus, dass die jungen Akteure bereit sind, mehr im Raum zu arbeiten und nicht in Kiel am Schreibtisch.“
Grüne: Mehr Fläche für Windkraft bereitstellen
Die Positionen der Parteien sind hier unterschiedlich: CDU-Mann Daniel Günther verweist darauf, rechtskräftige Regionalpläne aufgestellt zu haben – der Zubau müsse sich in deren Rahmen bewegen. FDP-Spitzenkandidat Bernd Buchholz möchte den Ausbau der Windkraft hauptsächlich Offshore, also auf See, vorantreiben und die Grüne Monika Heinold will künftig drei statt zwei Prozent der Landesfläche für Windkraft bereitstellen. Nur so könnten die Ausbauziele noch erreicht werden, meint sie.
Der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten, Thomas Losse-Müller, will im Fall eines Wahlsiegs die Windplanung der Jamaika-Koalition überprüfen lassen und ungeeignete Gebiete wieder ausnehmen.
Im jetzigen Landtag sitzen noch zwei weitere Parteien: Der Südschleswigsche Wählerverbund SSW und die AfD. Ob die AfD den Wiedereinzug in den schleswig-holsteinischen Landtag schafft, ist nach der neuesten Meinungsumfrage von infratest dimap fraglich: Die Partei verliert dabei einen Punkt und steht nun bei genau fünf Prozent. Die Landtagsfraktion galt in den vergangenen fünf Jahren als zerstritten. Politikwissenschaftler Wilhelm Knelangen:
„Eigentlich geht es um die Frage „Wollen wir eine rechtsextremistische Partei sein oder wollen wir noch anschlussfähig bleiben für konservative, vielleicht sehr konservative Wählerinnen und Wähler?“ Das merkt man tatsächlich in dieser Partei an allen Orten, auch hier in Schleswig-Holstein. Frau Sayn-Wittgenstein ist von der AfD selbst ausgeschlossen worden, weil man hier rechtsextremistische Gedanken bei ihr vermutet hat. Das hat ja auch zu der Auseinandersetzung bei einer anderen Person im Landtag geführt, die gesagt hat: Das ist mir alles zu heiß hier, für bestimmte Werte, die die AfD hier vertritt, möchte ich einfach nicht mehr eintreten.“
SSW steht für Sozialstaat nach skandinavischem Vorbild
Keine Sorge um den Einzug in den nächsten schleswig-holsteinischen Landtag muss sich der SSW machen, der Südschleswigsche Wählerverbund. Die Partei der dänischen und friesischen Minderheit ist von der Fünf-Prozent-Hürde befreit, eben weil sie nationale Minderheiten vertritt. Die gibt es hier seit 1920, als der Verlauf der deutsch-dänischen Grenze nach jahrhundertelangem Streit per Volksentscheid festgelegt wurde. Der SSW steht einerseits für Minderheitenpolitik und sieht sich andererseits als die Partei für soziale Gerechtigkeit, er steht für einen Sozialstaat nach skandinavischem Vorbild.
„Der SSW tritt im Grund genommen an für ein idealtypisches Bild einer nordischen Politik, die auch im Einzelnen nie genau definiert wird. Auch in der ganzen Kommunikation des SSW gilt sozusagen der Norden oder eben auch das Dänische immer so ein bisschen wie ein ideales Bild, das man von der Politik hat. Das hat auch vielleicht manchmal ein bisschen was von Bullerbü. Ich will es gar nicht so kritisch sagen, aber es ist zumindest so, dass natürlich die Wirklichkeit in Dänemark, und auch in den anderen skandinavischen Ländern, durchaus widersprüchlicher ist. Das findet sich natürlich in dieser sehr, sehr vereinfachten Anlehnung an „den Norden“ in der Kommunikation nicht wieder.“
Nachteile der Jamaika-Koalition
Und wie sieht der Politikwissenschaftler die Regierungsbilanz der schwarz-gelb-grünen Jamaika-Koalition? Trotz insgesamt konstruktiver Zusammenarbeit habe sie sich in vielen Punkten auch selbst blockiert, sagt Knelangen:
„Es gab auf der einen Seite das ganz klare Bemühen: Wir wollen das miteinander schaffen, auch wenn wir uns nicht überall einig sind, wir wollen diese fünf Jahre ausschöpfen. Unter anderem auch – da hatten wir ja noch gar keine Bundestagswahl – also um überall zu zeigen, Jamaika ist eine prinzipielle Option, die geht. Und dafür hat man viel investiert, insbesondere hat man sehr viel investiert in Vertrauensaufbau, regelmäßige Absprachen, dort wo ein Thema so aufflackerte und zu einem Konfliktthema zu werden drohte, hat man gleich versucht, irgendwelche Kompromisslinien abzuräumen. Das wiederum hat natürlich auch dazu geführt, dass wir als Bürgerinnen und Bürger gar nicht richtig haben erkennen können, wo sind denn jetzt eigentlich die Konfliktlinien, wofür steht die eine, wofür steht die andere Partei?“
Nach der Wahl dürften sich ohnehin neue Koalitionsoptionen ergeben: Derzeitigen Umfragen zufolge könnte es etwa auch für ein Zweierbündnis aus CDU und Grünen oder CDU und SPD reichen. Eine solche schwarz-rote Koalition wird von Beobachtern allerdings als die unwahrscheinlichste Paarung bezeichnet.
(*) Anmerkung der Redaktion: In dieser Zwischenüberschrift hatten wir den SPD-Spitzenkandidaten Losse-Müller versehentlich der CDU zugeordnet.